Geld oder BriefRolls-Royce

Eine Wette auf die Luftfahrtbranche

Die Rolls-Royce-Aktie ist eine Wette auf die Luftfahrtbranche. Der weltweite Flugverkehr bewegt sich allerdings schon fast wieder auf dem vor der Pandemie erreichten Niveau. Es sind also Zweifel angebracht, was das weitere Kurspotenzial angeht.

Eine Wette auf die Luftfahrtbranche

Geld oder Brief

Rolls-Royce ist eine Wette auf die Luftfahrtbranche

Von Andreas Hippin, London

Der ehemalige BP-Manager Tufan Erginbilgic hat mit starken Worten nicht gespart, als er den Mitarbeitern von Rolls-Royce auf einer Betriebsversammlung im Januar den Ernst der Lage klarmachte. Er verglich die FTSE-100-Gesellschaft dabei mit einer brennenden Ölplattform. Um seine Ziele zu erreichen, verordnete er dem Technologiekonzern eine weitere Restrukturierung. Es gehe dabei nicht um unmittelbare Rendite, sondern darum, sich in der Branche wieder als starkes Unternehmen Geltung zu verschaffen, sagte er. Tatsächlich gab es schon reichlich Restrukturierungsmaßnahmen, bevor Erginbilgic im Januar den Chefsessel übernahm. Sein Vorgänger Warren East hatte das Unternehmen 2021 nach einem Milliardenverlust vorübergehend in die Gewinnzone geführt, bevor es 2022 erneut mit einem Milliardenverlust abschloss.

Überraschend gutes Halbjahr

Die Luftfahrtbranche befindet sich in einer rasanten Erholung. Gut möglich, dass sich der neue CEO auf die Kunst der Inszenierung versteht. Stellt man die Lage möglichst dramatisch dar, sind auch kleine Fortschritte ein großer Erfolg. Man kann es ihm nicht verdenken, denn der MTU-Rivale war in den vergangenen Jahren immer wieder für eine negative Überraschung gut. Umso größer war im vergangenen Monat die Freude der Anleger darüber, dass das Halbjahresergebnis weit über den Markterwartungen lag. Das Geschäft mit der Wartung von Flugzeugtriebwerken, das während der Pandemie mit dem weltweiten Flugverkehr darniederlag, war ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung. Sell-Side-Analysten hatten den Markt auf schwache Zahlen eingestimmt. Das bereinigte operative Ergebnis belief sich auf 673 Mill. Pfund. Analysten hatten im Schnitt lediglich 328 Mill. Pfund auf der Rechnung, bevor der Triebwerksbauer noch vor dem Veröffentlichungstermin per Ad-hoc-Mitteilung ein deutlich besseres Ergebnis in Aussicht stellte. Noch dramatisch fiel die Differenz zwischen Erwartung und Realität beim Free Cashflow aus. Das Unternehmen lieferte 356 Mill.Pfund. Analysten hatten lediglich 50 Mill. Pfund angesetzt. Das von ihm losgetretene mehrjährige „Transformationsprogramm“ habe gut angefangen, konstatierte Erginbilgic. „Es ist viel mehr zu tun, um eine bessere Performance zu liefern und Rolls-Royce in ein Unternehmen zu verwandeln, das eine hohe Leistung liefert, wettbewerbsfähig und robust ist und wächst.“

Im Gesamtjahr wird nun ein bereinigter operativer Gewinn von 1,2 Mrd. bis 1,4 Mrd. Pfund erwartet. Im Februar war man lediglich von einem Wert zwischen 0,8 Mrd. und 1,0 Mrd. ausgegangen. Die Zivilluftfahrtsparte soll den Löwenanteil des Ergebnisses liefern. Dahinter steckt vor allem eine höhere Rentabilität des Aftermarket-Geschäfts, also der Wartung von Triebwerken. Die Erlöse orientieren sich daran, wie lange die Flugzeuge in der Luft waren. Dem Luftfahrtverband IATA zufolge bewegte sich der internationale Flugverkehr zuletzt auf 94,2% des vor der Pandemie erreichten Niveaus. Im ersten Halbjahr sei das Verkehrsaufkommen im Vorjahresvergleich um knapp die Hälfte (47,2%) gestiegen. Im Juni habe die Sommerreisesaison auf der nördlichen Halbkugel mit zweistelligen Nachfragewachstum um einer durchschnittlichen Auslastung der Maschinen von mehr als 84% stark begonnen, sagte IATA-Generalsekretär Willie Walsh. „Alle profitieren von der laufenden Erholung der Branche.“

Analysten in Hochstimmung

Die Rolls-Royce-Aktie ist eine Wette auf die Luftfahrtbranche. Bedenkt man, dass sich der Flugverkehr nahezu vollständig von den Reisebeschränkungen zur Eindämmung des Sars-Cov2-Virus erholt hat, sind Zweifel angebracht, was das weitere Kurspotenzial angeht. Wie Bloomberg berichtete, gab es bis Donnerstag, erstmals seit 17 Jahren, keine Verkaufsempfehlungen von Aktienanalysten. Dann urteilte Sejal Varshney von AlphaValue “Reduzieren”. Derzeit lautet bei den von dem Finanzinformationsdienst zusammengetragenen Studien die Anlageempfehlung von zehn Analysten “Kaufen”, neun bewerten Rolls-Royce mit “Neutral” und einer mit “Verkaufen”. Das durchschnittliche 12-Monats-Kursziel liegt bei 219 Pence und befindet sich damit nicht allzu weit vom aktuellen Kurs (207,9 Pence) entfernt.

Nun sind viele bestellte Maschinen wegen Lieferengpässen der Hersteller noch gar nicht an die Fluggesellschaften ausgeliefert worden. Andere befinden sich am Boden, weil Ersatzteile nicht schnell geliefert werden können. Es gibt also für das Wartungsgeschäft noch ein bisschen Luft nach oben. Steuern in Folge der Erholung des Flugverkehrs mehr Flugzeuge turnusgemäß die Werkstatt an, dürfte sich das auch positiv auf die operative Marge auswirken. In der Zivilluftfahrtsparte hatte sie im ersten Halbjahr bei 12,4% gelegen, allerdings wurde sie durch Sondereffekte aufgehübscht. Die Analystin Chloe Lemarie von der US-Investmentbank Jefferies geht in ihrem Basisszenario davon aus, dass sie 2025 bis auf 15,6% steigen dürfte. Bis dahin sollte sich das Unternehmen aus ihrer Sicht auch komplett entschuldet haben.

Die Analysten der UBS wiesen darauf hin, dass das Management von Rolls-Royce keine genauen Angaben dazu machte, was das Ergebnis der Zivilluftfahrtsparte in die Höhe treiben soll. Aus ihrer Sicht könnte es sich vor allem um das effizientere Eintreiben von Forderungen handeln. Die Flugstunden bewegten sich im Rahmen der Vorhersagen. Bei den Auslieferungen von Triebwerken und den Werkstattbesuchen habe es keine Veränderungen der Erwartungen gegeben. Und die meisten Verbesserungsmaßnahmen, auch bei der Preisgestaltung, bräuchten länger, um ihre Wirkung zu entfalten.

Rolls-Royce ist ein breit aufgestellter Technologiekonzern, der neben dem Triebwerksgeschäft auch noch über andere Sparten verfügt, etwa das Rüstungsgeschäft, das mit seinem operativen Ergebnis für das erste Halbjahr ebenfalls die Analystenschätzungen übertraf. Power Systems spielte dagegen weniger ein. Doch geht das Management für den Rest des Jahres von einem Anstieg der operativen Marge auf Grund von Preiserhöhungen, Kostensenkungen und saisonal höheren Volumina aus. Und dann sind da noch Hoffnungsträger wie die Entwicklung kleiner modularer Atomreaktoren, die auf der Wunschliste der Regierung stehen, um “Net Zero” zu erreichen. Hier musste mehr Geld ausgegeben werden, um Meilensteine zu erreichen.