Geld oder BriefRolls-Royce

Rolls-Royce lädt zu Gewinnmitnahmen ein

Rolls-Royce hat einen vergleichbaren Höhenflug wie Nvidia hinter sich. Doch nun wird die Luft dünn für den Triebwerksbauer.

Rolls-Royce lädt zu Gewinnmitnahmen ein

Geld oder Brief

Rolls-Royce lädt zu Gewinnmitnahmen ein

von Andreas Hippin, London

Gibt es eine Aktie, die in den vergangenen fünf Jahren eine ähnliche Kursentwicklung hingelegt hat wie Nvidia? Man sollte es kaum für möglich halten, aber der britische Triebwerksbauer Rolls-Royce kann mit dem über die Maßen gehypten US-Chiphersteller mithalten. Im September des Pandemiejahres 2020 dümpelte sein Kurs bei 65 Pence herum. Wer bei der 2 Mrd. Pfund schweren Bezugsrechtskapitalerhöhung im Folgemonat mitzog, konnte weitere Stücke für je 32 Pence erwerben. Mittlerweile hat der Kurs die Schwelle von zehn Pfund überschritten.

CEO Tufan Erginbilgic hält es für möglich, bei der Marktkapitalisierung Spitzenreiter unter den britischen börsennotierten Gesellschaften zu werden. Das würde eine weitere Kursverdoppelung voraussetzen, sollten die bisherigen Top 3 – AstraZeneca, HSBC und Shell – nicht unerwartet in die Knie gehen. Doch so langsam wird die Luft dünner. Hätte man den rasanten Kursanstieg vorhersehen können?

Auch hausgemachte Probleme

Vor fünf Jahren befanden sich Passagierflugzeuge rund um den Globus am Boden. Die Reisebeschränkungen zur Eindämmung des Sars-Cov2-Virus hatten den Flugverkehr weltweit um vier Fünftel einbrechen lassen. Ein Impfstoff war damals noch nicht in Sicht. Zahllose Airlines stornierten Neubestellungen. Das Wartungsgeschäft lag darnieder, weil sein Erlös von den geleisteten Flugstunden der Triebwerke abhängt.

Auch hausgemachte Probleme machten Rolls-Royce zu schaffen. Die Zivilluftfahrtsparte litt unter langwierigen Problemen mit den Triebwerken vom Typ Trent 1000. Am Markt fragte man sich, ob der Rivale von GE und Pratt & Whitney über Wartungsverträge je so viel verdienen würde, dass sich die Entwicklungskosten der Triebwerke gerechnet hätten. Shortseller begannen damit, sich auf die Aktie einzuschießen.

Unvorhersehbares Re-Rating

Gewiss, die Pandemie musste irgendwann einmal vorbei sein. Rolls-Royce war für herausragende ingenieurstechnische Leistungen bekannt und hatte eine starke Marktposition. Doch war damals nicht absehbar, dass es zu einem derart dramatischen Re-Rating kommen würde. Erginbilgic würde es sicher gerne zu seinem eigenen Erfolg erklären. In der City gab man dem ehemaligen BP-Manager in Anlehnung an eine Triebwerkstechnologie den Spitznamen „Turbofan“, weil er bei einer ganzen Reihe von schwächelnden Geschäften die Kehrtwende geschafft hat. Als er Anfang 2023 den Chefsessel von Rolls-Royce übernahm, verglich er das Unternehmen mit einer brennenden Ölplattform und schritt zur Tat. Er trennte sich von unrentablen Geschäften. Pläne für ein Elektroflugzeug gab er auf.

Rüstung und Atomkraft

Ihm half nicht nur die Erholung des weltweiten Flugverkehrs. Der russische Einmarsch in die Ukraine sorgte für großes Interesse an den Aktien von Rüstungskonzernen. Rolls-Royce liefert nicht nur Triebwerke für den Eurofighter Typhoon und militärische Transportflugzeuge vom Typ Lockheed Martin C-130J Hercules, sondern auch Antriebe für die britische Atom-U-Bootflotte. Das verschafft dem Unternehmen einen Vorteil bei der in Großbritannien zu beobachtenden Renaissance der Kernkraft. Die Regierung machte es zum bevorzugten Bieter für eine neue Generation von kleinen Reaktoren in Modularbauweise.

Sie könnten künftig den Energiehunger von KI-Rechenzentren decken. Auch die Mobilitätswende und der staatlich verordnete Abschied von der Gasheizung sorgen für eine höhere Stromnachfrage. Erginbilgic schätzt den weltweiten Bedarf bis 2050 auf 400 Reaktoren. Ob es dazu kommen wird, ist schwer zu sagen. Das gilt auch für die an der Börse gehandelten Aufrüstungsfantasien. Steuererhöhungen für Kanonenboote sind zumindest in Großbritannien wenig wahrscheinlich. Erginbilgic hat seinem Vorgänger Warren East viel zu verdanken. Er hatte Rolls-Royce 2021 nach einem Milliardenverlust in die Gewinnzone geführt. In der City hoffte man, dass er die schwerfälligen Strukturen des Konzerns runderneuern würde. Doch trotz Entrümpelung der Führungsetage war Rolls-Royce weiter für negative Überraschungen gut.

Rühriger Vorgänger

Pensionsverbindlichkeiten sind für viele britische Konzerne ein Riesenproblem. Zu den größten Coups von Erginbilgic gehört die Übertragung von 4,3 Mrd. Pfund an den Run-off-Experten Pension Insurance Corp im August. Damit kümmert sich künftig der Spezialversicherer um die 36.000 Mitglieder des leistungsorientierten Altersvorsorgeplans von Rolls-Royce. Der beitragsorientierte Rolls-Royce Retirement Savings Trust bleibt dem Unternehmen allerdings erhalten.

Die jüngsten Geschäftszahlen lagen weit über den Prognosen. Das Management nahm seine Jahresziele nach oben. Den Aktionären kommt all das zugute. Rolls-Royce zahlt wieder Dividende. Von einem eine Mrd. Pfund schweren Aktienrückkauf sind bereits um die 400 Mill. Pfund abgearbeitet. Doch Analysten steigen zunehmend auf neutrale Empfehlungen um. Der rasante Kursanstieg lässt sich durch kein Discounted-Cash-flow-Modell rechtfertigen. Es ist eben ein Re-Rating. Die Branche ist konjunkturanfällig. Eine Fortsetzung des Steigflugs ist wenig wahrscheinlich. Die Zeit für Gewinnmitnahmen ist gekommen.

Aktionäre werden bedacht