Oswald Grübel

„Schulden­finanzierte Blase muss irgendwann platzen“

Die Bankerlegende Oswald Grübel ist sicher, dass die schuldenfinanzierte Spekulationsblase an der Börse platzen wird. Wann das passieren wird, würde der leidenschaftliche Investor selbst gern wissen.

„Schulden­finanzierte Blase muss irgendwann platzen“

Daniel Zulauf.

Herr Grübel, mit Aktien hat man auch 2021 wieder sehr viel Geld verdienen können. Wohin wird der Markt 2022 gehen?

In 2021 sind die Aktienmärkte spekulativer geworden, hauptsächlich in den USA. Deshalb sollten die Aktienmärkte in 2022 viel anfälliger auf negative Nachrichten reagieren, die Schwankungen können größer werden.

Sie werden sich konkreter positionieren müssen.

Nach altem Muster würde man sagen: Ein Markt, der so stark gestiegen ist und in dem die Investitionen in so hohem Maß schuldenfinanziert sind, kann eigentlich nur noch fallen. Mir scheint, dass dies die Meinung einer Mehrheit der Investoren trifft. Jedenfalls komme ich zu diesem Schluss, wenn ich lese und höre, was jeden Tag über die Börse berichtet wird.

Aber Sie wird man wohl kaum auf der Seite der Mehrheit antreffen.

Wenn die Mehrheit glaubt, dass der Markt fallen wird, dann hat er eine bessere Chance zu steigen. Ein psychologisches Gesetz.

Das ist schön gesagt. Aber die Börsenpsychologie müssen Sie erklären!

Wenn die Mehrheit überzeugt ist, der Markt wird fallen, dann wird sich diese Mehrheit wappnen. Sie sichert sich gegen Kursverluste ab, meistens durch Verkäufe, wie wir im Dezember gesehen haben. Danach passiert im Markt oft das Gegenteil von dem, was die Mehrheit erwartet. Denn der Markt geht den Weg des geringsten Widerstands, wenn ein Sicherheitsnetz gespannt ist.

Wie sieht Ihr Rückblick auf das vergangene Jahr aus?

2021 war ein Jahr von größter und sehr oft schuldenfinanzierter Spekulation.

Und trotzdem sagen Sie, es kann so weitergehen?

Längerfristig sicher nicht. Eine schuldenfinanzierte Spekulationsblase muss irgendwann platzen.

Wann platzt sie denn?

Das würde ich selbst gerne wissen. Vielleicht später in 2022. Zurzeit bestehen Unmengen an Liquidität, die die Regierungen zuletzt unter die Leute gebracht haben. Zum Beispiel sind in den USA mehr als 4500 Mrd. Dollar in Geldmarktfonds geparkt, 1500 Mrd. Dollar mehr als Anfang 2021. Wenn dieses Geld in Aktien investiert wird, kann der Markt leicht ein paar Prozent steigen.

Was meinen Sie mit unter die Leute gebrachter Liquidität?

Ich meine jene 20 Bill. Dollar, welche verschiedene Regierungen, allen voran die amerikanische, mehr oder weniger bedingungslos an die Bevölkerung verteilt haben. Das kommt mir vor wie die wundersame Brotvermehrung im Neuen Testament. Wir reden von einer Summe, die der Wirtschaftsleistung der USA eines ganzen Jahres entspricht. Das muss man sich konkret vorstellen. Wenn so viel Geld einfach ohne Gegenleistung verteilt wird, hat das überall große Folgen, auch an der Börse.

Zunächst einmal haben die staatlichen Überbrückungshilfen eine schlimmere globale Coronarezession verhindert. An welche Folgen denken Sie denn?

Während der Lockdowns haben sich viele zu Hause vor den Computer gesetzt und angefangen, an der Börse zu spekulieren. Die amerikanischen Gratisbroker konnten ihre Umsätze um 50% steigern.

Wer sind diese neuen Spekulanten?

Es sind unter anderen jene, die den Coronascheck, den sie von ihrer Regierung erhalten haben, sofort an der Börse eingelöst haben. Wir reden von schätzungsweise 17 Millionen solcher Investoren, die zwar alle nur mit ein paar 1000 Dollar spekulieren, in der Summe aber ein sehr bedeutender Marktfaktor geworden sind.

Welche Rolle werden sie im neuen Jahr spielen?

Das weiß man nicht. Es ist eine neue Investorenklasse, die sich über die sozialen Medien kurzschließt und oft kollektiv agiert. Das Beispiel Game­stop hat gezeigt, dass diese Investorenklasse die Strategien großer und ganz großer Investoren durchkreuzen und diesen in kurzer Zeit gewaltige Verluste bescheren kann. Bislang sind diese Investoren immer wieder den Empfehlungen ihrer Gratisbroker gefolgt, die den Markt mit Hilfe computergestützter Modelle nach instabilen Situationen à la Gamestop absuchen, in denen sich eine Wette gegen die Hedgefonds im Markt lohnen kann. Das ist nur ein Beispiel für die Veränderung der Spekulation.

Gibt es noch andere?

Sicher. Nehmen Sie diese Special Purpose Acquisition Companies, genannt Spacs. Allein 2021 haben die Investoren 160 Mrd. Dollar in etwa 500 solche Börsenvehikel investiert – in Erwartung, dass diese wertsteigernde Akquisitionen machen können. Da hat sich manche Prophezeiung gleich selbst erfüllt.

Wie zum Beispiel?

Ich denke etwa an die Spac von Donald Trump. Er lancierte diese, um sein eigenes soziales Netzwerk Truth Social mit Hilfe einer Übernahme zu stärken und eine Konkurrenz zu Twitter aufzubauen. Zu Beginn kostete eine Aktie der Trump-Spac 10 Dollar. Als im Oktober die Fusion mit Digital World Acquisition angekündigt wurde, schossen die Titel auf bis zu 175 Dollar in die Höhe, jetzt stehen sie bei 50 Dollar.

Inwiefern war das denn eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Das ganze Medienprojekt von Trump ist doch stark politisch getrieben, und Trump hat rund 70 Millionen Anhänger. Es war deshalb voraussehbar, dass die Trump-Aktie durch die Decke gehen würde, wenn auch nur ein Teil seiner Anhänger investiert.

Wie lange kann die fröhliche Spekulation weitergehen?

Solange die Zinsen deutlich tiefer bleiben als die Inflationsraten.

Die Notenbanken in den USA und in Großbritannien sagen, sie werden jetzt die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu bremsen. Glauben Sie nicht daran?

Nicht wirklich. Ich denke, die Politiker, in den USA wie in Europa, haben kein Interesse daran, die Zinsen substanziell anzuheben. Auch die Zentralbanken nicht. Deshalb werden die Zinsen keine Gefahr für die Aktienmärkte. Zudem werden die Unternehmen 2022 sowohl in Amerika als auch in Europa wieder sehr robuste Gewinne zeigen.

Sie haben die letzten beiden großen Inflationsperioden in den 1970er und 1980er Jahren bei Credit Suisse als Chef des Bondhandels in London miterlebt. Nützen solche Erfahrungen im aktuellen Umfeld?

Ich glaube nicht. Die 1970er und 1980er Jahre sind mit den heutigen Zeiten nicht mehr vergleichbar. Da­mals gab es zum Beispiel keine sozialen Medien. Die Politiker mussten auf die Straße gehen, um zu hö­ren, was ihre Wähler wollen. Jetzt gibt es dafür Computerprogramme, welche die Resonanz in den sozialen Medien analysieren. Auch die Zentralbanken entscheiden heute politisch.

Inwiefern?

Damals waren die Inflationsbekämpfung und Werterhaltung der Währung die wichtigsten Aufgaben der Zentralbanken und wurden mit heftigen Zinserhöhungen gesteuert. Es kam zu Rezessionen. Unprofitable Firmen wurden aus dem Markt gedrängt, und die Arbeitslosenquoten stiegen. Obschon die Wirtschaft im Zug solcher Krisen meist stärker wurde, ist ein solches Vorgehen heutzutage politisch nicht mehr tragbar. Lobbygruppen beschweren sich via Medien und erhalten dank der Politik rasch auch Einfluss auf die Notenbanken. Wir leben heute in einer anderen Welt mit staatlich garantiertem Überfluss.

Für die Geldentwertung von damals wurden die Sparer wenigstens teilweise durch hohe Zinsen entschädigt. Was können sie jetzt noch tun, um sich schadlos zu halten?

Sparer müssen gezwungenermaßen umdenken. Wie wir gesehen haben, sind seit Jahrzehnten Aktien viel stärker gestiegen als die Inflation, und ich glaube, auch in Zukunft müssen Sparer andere Anlagemöglichkeiten als das Sparbuch in Betracht ziehen, denn wie gesagt werden die Zinsen die Inflation auch künftig nicht ausgleichen. Das bedeutet ein erheblich höheres Risiko für alle, die ein Ver­mö­gen haben oder eines schaffen wollen. Dafür dürfen wir uns bei un­seren gewählten Politikern bedanken.

Beim Goldpreis hat sich in den vergangenen zwölf Monaten gar nichts getan. Hat das gelbe Metall als traditioneller Inflationsschutz ausgedient?

Nein, im Gegenteil, es wird immer ein langfristig sicherer Inflationsschutz bleiben. Es tut das schon seit über 2000 Jahren. In den letzten zwei Jahren ist es von 1500 Dollar auf 2000 Dollar pro Unze gestiegen. Der jüngste Preisrückgang ist eine Folge des höheren Dollarkurses.

Wie sehen Sie die Zukunft von Bitcoin und anderen Kryptowährungen?

Bitcoin und Co. sind keine Währungen. Ich spreche deshalb nur von Kryptotoken. Sie sind eine Glaubenssache. Zurzeit gibt es genug Gläubige, die diese Token kaufen, weil sie überzeugt sind, dass unser derzeitiges Währungs- und Wirtschaftssystem kollabieren wird. Eine Studie vom National Bureau of Economic Research hat festgestellt, dass 0,01% der Bitcoin-Besitzer 27% der 19 Millionen Bitcoins kontrollieren. Zudem muss man wissen, dass der Handel in diesen Token sehr undurchsichtig ist, da es keine Regulierung gibt. Jeder der schon einmal Bitcoin gekauft und verkauft hat, weiß das. Sie sind ein beliebtes Spekulationsobjekt und deshalb sehr volatil. Wenn Sie ein Glückspilz sind, können Sie mit Kryptotoken viel Geld verdienen.

Sind Sie ein Glückspilz?

Ich glaube nicht, ich verlasse mich auf meinen Verstand, vielleicht zu sehr.

Der Anstieg der Kapitalmarktzinsen im vergangenen Jahr hat den Bankaktien in vielen Ländern starken Auftrieb gegeben. Sind Bankaktien wieder eine Wette wert?

Wenn man an weiter steigende Zinsen glaubt, ja. Man muss aber bedenken, dass viele Bankaktien schon stark gestiegen sind.

Ja, im Durchschnitt etwa 30% im vergangenen Jahr. Außer Credit Suisse. Die haben fast so viel verloren. Ist die Aktie jetzt günstig?

Ich kenne nicht alle Fakten, um eine zuverlässige Antwort geben zu können. Aber Credit Suisse ist eine Turnaround-Situation. Der Aktienkurs spiegelt die Kapitalverluste der vergangenen Jahre. Wenn keine weiteren Verluste hinzukommen und der Turnaround erste Früchte zeigt, dann ist die Aktie ein Kauf.

Credit Suisse hätte 2021 die Chance gehabt, an die besten Ergebnisse ihrer Geschichte anzuknüpfen. Stattdessen liegt erneut ein mageres Resultat vor. Kann sich die Bank noch einmal aufrappeln?

Das beste Ergebnis ihrer Geschichte waren 11,5 Mrd. Gewinn in 2006. Ich glaube nicht, dass man daran hätte anknüpfen können. Das Bankgeschäft ist aber per se immer profitabel, und deshalb ist es die Aufgabe jeder Bank, profitabel zu sein.

Wie bitte? Wir haben uns längst an Milliardenverluste von Banken gewöhnt. Wie kommen Sie darauf, dass Banken per se immer profitabel sind?

Banken berechnen Gebühren für jede Dienstleistung, belasten Zinsen für jeden Kredit. Sie verlieren nur Geld, wenn sie ihre Risiken nicht managen können oder wenn sie zu hohe Kosten haben.

Warum ist UBS erfolgreicher als Credit Suisse?

UBS hat schon in 2009, nach der Finanzkrise, drastische Schritte unternommen, um das Risikomanagement zu verbessern und zur langfristigen Profitabilität zurückzukehren. Zudem hatte UBS in den letzten Jahren weniger Verluste zu verbuchen.

Der letzte Baustein zur Vollendung der Europäischen Bankenunion ist die Schaffung eines gemeinschaftlichen Sicherungssystems für Bankeinlagen. Werden wir das noch erleben?

Ich glaube schon. In vielen Staaten gibt es schon heute Sicherungssysteme begrenzt auf 100000 Euro.

Aber in Deutschland kann man sich noch nicht so richtig vorstellen, im Zweifelsfall auch für die Sicherung italienischer, französischer oder griechischer Spargelder geradezustehen.

Die ganze EU ist schon heute finanziell von Deutschland abhängig, alle Zinssätze in den 27 EU-Ländern basieren auf der Kreditwürdigkeit Deutschlands. Zahlen kann nur das Land, das dazu in der Lage ist, und das ist Deutschland. Was natürlich auch bedeutet, dass die Kreditwürdigkeit Deutschlands vom finanziellen und wirtschaftlichen Verhalten der anderen EU-Staaten beeinflusst wird.

Für die stark fragmentierte europäische Bankenlandschaft wäre eine vollendete Bankenunion der Startschuss für grenzüberschreitende Fusionen. Die Schweizer Großbanken könnten dann plötzlich viel kleiner aussehen.

Außer sie beteiligen sich an der Konsolidierung.

Den Impfstoffhersteller Moderna kannte vor zwei Jahren noch kaum jemand. Jetzt gehört die Firma mit einem Börsenwert von 100 Mrd. Dollar zu den weltgrößten Medikamentenherstellern. Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass kleine Unternehmen flexibler sind, die besten Wissenschaftler anzustellen, als große etablierte Unternehmen.

Novartis ist vor 25 Jahren aus der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz entstanden. Ist die Zeit solcher Großfusionen vorbei?

Das kommt auf die Branche an. Ich denke, dass es keine großen Unternehmen braucht, damit Innovation entstehen kann.

Im Automobilgeschäft hat sich Tesla weit von der Benzin- und Dieselherde abgesetzt. Wird Tesla diese führende Position verteidigen können?

Tesla hat einen großen Technologievorsprung geschaffen, lange keine Konkurrenz gehabt und wird deshalb an der Börse so hoch bewertet. Jetzt drängen alle Automobilfirmen in das Elektrosegment und die Konkurrenz wird auch für Tesla härter.

VW-Chef Herbert Diess hat die Gewerkschaften im Herbst mächtig erschreckt, als er davon sprach, dass in Wolfsburg ein Abbau von 30000 Arbeitsplätzen nötig werden könnte. Sind Sie überrascht, dass er CEO geblieben ist?

Nein, denn Herr Diess hat Recht. Aber die Gewerkschaften wollen das nicht wahrhaben. Das ist leider ein Nachteil für VW.

Wird der Streit eskalieren müssen, bis eine Lösung gefunden wird?

Nein, der Abbau der Belegschaft wird einfach langsamer stattfinden, zu Lasten der Aktionäre.

VW überlegt gerade, die Sportwagensparte Porsche AG abzuspalten. Ergibt das einen Mehrwert für die Aktionäre?

Ja, denn Porsche hat einen Eigenwert von etwa 80 Mrd. Euro im Vergleich zum VW-Konzern mit rund 115 Mrd. VW müsste allerdings mehr als 50% abgeben, um das Potenzial auszuschöpfen.

Immerhin haben alle deutschen Automobilbauer die gleichen Be­dingungen.

Das glaube ich nicht. Oder wissen Sie, ob Tesla in der neuen Fabrik in Deutschland Gewerkschaften akzeptieren wird? Ich denke, Tesla wird versuchen, das zu vermeiden, – zum Vorteil der Tesla-Aktionäre.

Deutschland hat eine neue Regierung. Was heißt das für die deutsche Automobilindustrie, die bisher immer auf den Rückhalt aus Berlin zählen konnte?

Das würde man gerne wissen. Ich glaube, es kommt darauf an, was für eine Umwelt- und Energiepolitik letztlich zum Vorschein kommt.

Also vorerst Hände weg von Automobilaktien?

Der Markt hat das schon vorweggenommen, Automobilaktien sind sehr preiswert.

Das Interview führte

BZ+
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