GELD ODER BRIEF

Siltronic-Aktie auf Rekordjagd

Von Joachim Herr, München Börsen-Zeitung, 4.8.2017 Die Halbleiterbranche ist eine Mimose, wenn es um die Konjunktur geht. Das heißt: Auch ihre Zulieferer hängen stark von der Nachfrage ab. So gesehen ist für die Produzenten von Siliziumscheiben,...

Siltronic-Aktie auf Rekordjagd

Von Joachim Herr, MünchenDie Halbleiterbranche ist eine Mimose, wenn es um die Konjunktur geht. Das heißt: Auch ihre Zulieferer hängen stark von der Nachfrage ab. So gesehen ist für die Produzenten von Siliziumscheiben, den sogenannten Wafern als Grundplatte für elektronische Bauelemente, die Welt seit knapp einem Jahr vollkommen in Ordnung. Denn die Kapazitäten sind komplett ausgelastet. So kann das Oligopol mit den fünf dominierenden Herstellern seine Marktmacht ausspielen. Dem deutschen Anbieter, dem Münchner Unternehmen Siltronic, ist es seit dem vierten Quartal 2016 gelungen, im Mittel mehr als 15 % höhere Verkaufspreise durchzusetzen.Das schlägt sich – gepaart mit Kostensenkungen – in den Geschäftszahlen und im Aktienkurs nieder. Seit dem Tiefpunkt vor eineinhalb Jahren ist der Börsenwert von Siltronic auf mehr als das Siebenfache gestiegen. Mit einem Kursplus von 101 % seit Anfang 2017 ist der Titel hinter Aixtron der erfolgreichste im TecDax in diesem Jahr. Ein Rekord jagt den nächsten. Erst vor zwei Tagen erzielte die Aktie mit 94,39 Euro einen neuen Höchststand.Das kommt nicht von ungefähr: Zumindest die kurzfristigen Aussichten für die Wafer-Branche sind ausgezeichnet. Die Marktforscher von IHS Markit erwarten für dieses Jahr einen Anstieg der Nachfrage um 5 % – gemessen an der Scheibenfläche. Dank der steigenden Preise legt der Umsatz stärker zu. Siltronic hat erst vor drei Wochen die Prognose für dieses Jahr erhöht: Das Unternehmen rechnet jetzt mit einem Erlösanstieg um mindestens 20 % auf 1,12 Mrd. Euro. Für die Umsatzrendite auf Basis des operativen Ergebnisses (Ebitda) werden 27 % in Aussicht gestellt. Im vergangenen Jahr hatte Siltronic 15,6 % erzielt. Kapazitätsausbau erwartet2018 hält Analyst Achal Sultania von Credit Suisse einen Anstieg der Marge auf 31 % für möglich. Er traut der Siltronic-Aktie weiterhin eine überdurchschnittliche Entwicklung zu und erhöhte zu Beginn dieser Woche das Kursziel von 104 auf 110 Euro. Aus seiner Sicht gibt es dafür vier Argumente: außer der starken Nachfrage nach Wafern, die das Angebot übertrifft, und der Aussicht auf weiter steigende Preise die bisher fehlende Absicht der Hersteller, ihre Fertigungskapazitäten zu erweitern. Viertens hält er einen Erfolg neuer Anbieter in China zumindest auf kurze und mittlere Sicht für fraglich.Bisher teilen sich fünf Hersteller fast den gesamten Markt, der im vergangenen Jahr ein Volumen von rund 7 Mrd. Dollar hatte. Branchenführer sind die japanischen Unternehmen Shin-Etsu und Sumco, gefolgt von Global Wafers in Taiwan nach der Übernahme des US-Konkurrenten Sun Edison. Siltronic steht vor LG Siltron (Südkorea) an vierter Stelle. In der Rangliste für die größten Wafer mit einem Durchmesser von 300 Millimetern liegt das Münchner Unternehmen hinter den beiden Japanern auf dem dritten Rang.Sollten die Preise für die größten Scheiben um mindestens 30 % steigen, wird die Branche voraussichtlich ihre Kapazitäten ausbauen. Siltronic sei auf einem guten Weg dorthin, sagte vor kurzem Christoph von Plotho, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, ohne preiszugeben, wann er damit rechnet. Nach Ansicht von Analyst Thomas Becker von der Commerzbank wird es spätestens am Ende dieses Jahres so weit sein. Dann würden die Hersteller einen Ausbau ankündigen. Er vermutet, dass alle schon einen Plan in der Schublade haben. Becker empfiehlt, die Aktie von Siltronic zu halten. Sein Kursziel lautet 90 Euro.Von der Ankündigung einer Erweiterung der Kapazitäten bis zum Produktionsstart dauert es in der Regel zwölf bis 18 Monate. Dass das passieren wird, ist aus Beckers Sicht gewiss, da die Halbleiterindustrie ohne ein größeres Angebot an Wafern nicht wachsen könne: “Die Frage ist nur, wann kommt der Ausbau und wie groß wird er sein.” Ein neuer Schweinezyklus?Er vermutet, dass die japanischen Marktführer das Startsignal geben werden und die anderen dann nachziehen. Verhalten sich alle Anbieter rational und erhöhen die Kapazitäten marktverträglich? “Siltronic kann nur bedingt Einfluss auf die Preise nehmen, die vorrangig von den Japanern gesetzt werden”, gibt Becker zu bedenken.In der Vergangenheit setzte ein vergrößertes Angebot häufig die Preise unter Druck – erst recht, wenn die Nachfrage abflaute. So entstanden Überkapazitäten. Der sogenannte Schweinezyklus kam in Gang.Der Vorstand von Siltronic hält als Argument dagegen, die Nachfrage nach elektronischen Bauelementen könnte dank immer neuer Anwendungen weiter wachsen – zwar mal mehr und mal weniger stark, aber stetig. Zu den treibenden Anwendungen zählen die Autoindustrie dank der Trends zu Hybrid- und Elektroantrieben sowie die Industrie 4.0.Der einstige Mutterkonzern Wacker Chemie scheint allerdings nicht so recht von einer dauerhaften Aufwärtsbewegung überzeugt zu sein: Im März verkaufte Wacker 6,3 Millionen Siltronic-Aktien und reduzierte damit den Anteil von 51,8 % auf 30,8 %. Die Gründe: Der relativ große Investitionsbedarf in der Halbleiterindustrie bindet Mittel, die im Chemiegeschäft fehlen. Und bisher schwankten die Ergebnisse recht stark: Von 2009 bis 2014 hatte Siltronic jedes Jahr einen Verlust vor Zinsen und Steuern ausgewiesen. Nicht zu vergessen ist auch, dass die im Juni 2015 für 30 Euro emittierte Aktie bis zum Tief acht Monate später mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren hatte. Kunde des GroßaktionärsWacker Chemie verkaufte vor fünf Monaten zum Kurs von 55,85 Euro. Seitdem legte die Siltronic-Aktie zwei Drittel an Wert zu. Wie für Privatanleger ist eben auch für den Großaktionär der richtige Zeitpunkt schwer zu treffen. Zudem verdeutlicht diese Episode die hohe Volatilität der Wafer-Branche.Nun könnte der steile Kursanstieg das Management von Wacker ins Grübeln bringen. Auch wenn der Vorstandsvorsitzende Rudolf Staudigl auf der Hauptversammlung im Mai beteuert hatte, ein weiterer Aktienverkauf sei nicht geplant. Ein Argument für dieses Bekenntnis ist die enge Geschäftsbeziehung beider Unternehmen. Siltronic ist ein großer Abnehmer des Polysiliziums von Wacker Chemie.