InterviewMartin Hermann, Berenberg

„Die Sprachmodelle sind deutlich besser geworden“

Der Hype rund um das Thema KI ist zuletzt etwas abgeflacht. Dabei hat für Portfoliomanager Martin Hermann die nächste Wachstumsphase bereits begonnen. Im Interview erklärt der Berenberg-Experte, welche Unternehmen die Gewinner sind und warum Palantir ein Sonderfall ist.

„Die Sprachmodelle sind deutlich besser geworden“

Im Interview: Martin Hermann

„Die Sprachmodelle sind deutlich besser geworden“

Berenberg-Fondsmanager sieht vier große KI-Gewinner – Europäische Anbieter großteils abgehängt – Aleph Alpha in Nische etabliert

Der Hype rund um das Thema KI ist zuletzt etwas abgeflacht. Dabei hat für Portfoliomanager Martin Hermann die nächste Wachstumsphase bereits begonnen. Im Interview erklärt der Berenberg-Experte, welche Unternehmen die Gewinner sind und warum Palantir ein Sonderfall ist.

Herr Hermann, für Sie hat die nächste Wachstumsphase von KI bereits begonnen. Was meinen Sie damit?

Der Beginn der aktuellen KI-Wachstumsphase war die Veröffentlichung von ChatGPT. Die Jahre 2022 bis 2024 waren durch Investitionen in Recheninfrastruktur geprägt. Die Weiterentwicklung der großen Sprachmodelle machte vor allem Ende 2024 deutliche Fortschritte. Als ich mit meiner Frau Ende 2022 zusammensaß, habe ich in ChatGPT als Befehl mal eingegeben: „Schreibe mir ein Liebesgedicht!“ Das Sprachmodell hat dann ein paar Zeilen zusammengeschrieben und ich fand das superspannend. Inhaltlich war zwar schon ein bisschen Substanz erkennbar, aber eben noch nicht viel mehr.

Und jetzt geht da mehr?

Ja, man muss sich das heute anschauen! Heute kann man mit diesen Sprachmodellen eine komplette Analyse zu einem sehr komplexen Thema machen. Auf dem Weg von „Schreibe ein Liebesgedicht!“ bis zur komplexen Analyse gab es unglaublich viele technologische Entwicklungsschritte. Die erste Phase 2023/24 diente vor allem dem Training dieser großen Sprachmodelle. Angefangen hat es mit Text und Bild, mittlerweile können einige Modelle auch ganze Videos generieren. Was wir seit dem ersten Quartal 2025 sehen, hat außerdem eine ganz andere Tiefe. Die Modelle sind deutlich besser geworden. Und durch diese neuen Fähigkeiten können sie heute für viel breitere und tiefere Aufgabenstellungen eingesetzt werden.

Wo kommen diese Analysen zum Einsatz?

Diese Analysen können zum Teil bereits Consultants ersetzen. Auf der Softwareseite sehen wir, dass die Sprachmodelle bei vielen neuen Softwareanwendungen bereits im Hintergrund – also im Backend – integriert sind. Beim Software Coding, das heißt, wenn ein Entwickler einen Software-Code schreibt, kann das durch Coding Agents unterstützt werden. Bei Rechtsanwälten gibt es eine Software, die Harvey heißt und die Anwälte bei der Bearbeitung von komplexen rechtlichen Fragestellungen unterstützt. Sogenannte autonome Agenten können sogar komplette Geschäftsprozesse abbilden und Verkaufsabwicklungen oder Kundenservice nahezu vollständig selbst durchführen. Es gibt ja unglaublich viele Prozesse oder Workflows, die ein Unternehmen zu managen hat und das können Agenten zum Teil eben auch schon voll autonom und in mehreren Schritten durchführen. Die ersten zwei Jahre waren KI-Modelle eher eine Spielerei. Man konnte Texte generieren und ein paar interessante Dinge ausprobieren. Heute hingegen sind bereits relativ komplexe Geschäftsabläufe sowie tiefgehende Analysen zu unterschiedlichsten Themen möglich, unterstützt von den großen Sprachmodellen. Genau das markiert die nächste Wachstumsphase.

Zu Jahresbeginn schien das Interesse am Thema KI etwas abzuflachen. Seit Jahresmitte steigen die Aktien wieder. Woher kommt der neue Schwung?

Die große Sorge war zwischenzeitlich, also Ende 2024, ob und wie sich diese Modelle weiter verbessern lassen. Wie kann man die Performance von diesen Modellen alle paar Jahre um einen Faktor X besser machen? In der Vergangenheit geschah das durch mehr Daten, mehr performante Chips. Dadurch stieg auch die Leistungsfähigkeit der KI. Ende letzten Jahres verlagerte sich der Fokus dann etwas weg vom reinen Computing hin zu intelligenteren Algorithmen im Hintergrund. Ein wichtiger Teil war hier Reinforcement Learning. Das ist quasi eine Technik, bei der das Modell mitdenkt, wenn man die Frage stellt. Es greift nicht nur auf das Wissen zurück, das es bereits hat, sondern überlegt noch mal und greift teilweise auch auf externe Wissensdatenbanken zu. Dadurch verbessert sich die Antwortqualität erheblich. Während der ganzen Diskussion um Trumps Zölle, als alle gedacht haben, die Welt geht unter, hat sich die Anzahl der User der Sprachmodelle vervielfacht. Ein großer Grund dafür war eben, dass die Modelle deutlich besser wurden. So ist neues Momentum in diesem Sektor entstanden.

Womit erklären Sie sich die jüngsten Rücksetzer in der Branche? Zuletzt haben Palantir-Aktien herbe Verluste hinnehmen müssen – ein Wert, der sehr stark mit KI assoziiert wird.

Palantir ist ein Sonderfall. Das Unternehmen ist unglaublich hoch bewertet. Klar kann man sagen, es wächst noch stark und zudem hat die Firma keine Schulden. Aber der Unternehmenswert im Verhältnis zum Umsatz liegt beim 65-fachen. Wenn wir im Vergleich auf andere hochwachsende Softwareunternehmen wie Datadog schauen: Dort liegt er bei zehn. Und Datadog sollte auch von KI profitieren. Die Bewertung von Palantir hat daher wenig mit klassischen Fundamentaldaten zu tun. Es handelt sich um eine hochspekulative Aktie. Die Firma ist zwar sehr gut unterwegs, sie ist richtig positioniert und das Wachstum hat sich zuletzt deutlich beschleunigt. Trotzdem steht die Bewertung sehr losgelöst von den gesamten positiven Fundamentaldaten. Solche Aktien neigen deshalb zu massiven Kursschwankungen.

Aber sind die Bewertungen im KI-Bereich nicht auch insgesamt sehr hoch?

Ja, die Bewertungen sind insgesamt hoch, sowohl im historischen Vergleich, als auch mit Blick auf die kommenden Jahre. Deshalb muss man noch sorgfältiger hinschauen. Vor allem bei Firmen, die enttäuschen oder wo sich das Narrativ verschlechtert. Das kann dann schnell sehr unangenehm werden, wie wir bereits im Frühjahr 2025 gesehen haben. Man muss schon einen differenzierten Blick auf den Sektor haben und darf nicht blind alles kaufen, was irgendwie nur mit KI in Verbindung steht.

Im Tech-Sektor war in den letzten Jahren immer von den „Magnificent Seven“ die Rede. Sie sprechen jetzt in Bezug auf KI von den „großen Vieren“.

Das war bezogen auf die führenden großen Sprachmodelle. Also hier vor allem ChatGPT von OpenAI, Claude von Anthrophic, Gemini von Google und Grok von Musks X. Diese vier sind führend in Bezug auf Performance und in Bezug auf die Verbreitung – sprich die Annahme dieser Modelle und auch in Bezug auf die Kostenführerschaft, was die westliche Welt betrifft. Das sind im Moment die Modelle, die sich zuletzt deutlich vom Rest abgehoben haben. Das ist spannend zu sehen, weil viele der Applikationen, die ich vorher genannt habe, und auch viele der Chatbots auf diesen Modellen aufbauen. Alle vier sind bei der Performance auf einem guten Weg.

Und wenn wir jetzt auf die Firmenebene schauen, wen sehen Sie dort als Gewinner und wen als Verlierer in dieser Phase der KI-Entwicklung?

Am Ende des Tages sind erstmal die Firmen die Gewinner, die durch KI einen echten Mehrwert für ihre Kunden schaffen, deren Produkte also durch KI nachweislich besser werden. Dafür brauchen diese Firmen ein sehr gutes Verständnis davon, was sie ihren Kunden anbieten können, sowie eine Datenbasis, auf die kein Wettbewerber Zugriff hat.

Können Sie das präzisieren?

Wir können die ganze Wertschöpfungskette durchgehen: Bei Hochleistungschips und der Netzwerkinfrastruktur dominiert derzeit Nvidia zusammen mit Broadcom und etwas abgeschlagen AMD. In der Produktion von Chips ist allerdings TSMC absolut tonangebend, denn praktisch alle müssen dort fertigen lassen. Mindestens in den nächsten zwei Jahren führt an TSMC kein Weg vorbei. Im Cloud-Bereich sehen wir Microsoft mit Azure, Alphabet mit Google Cloud und Amazon mit AWS an der Spitze. Oracle holt auf und ist ebenfalls gut im Rennen. Das ganze Computing für KI passiert in der Cloud. Und dann gibt es noch die Firmen, die vom Cloud-Wachstum profitieren, etwa Datadog.

Und auf der Softwareseite?

Auf der Softwareebene gibt es Gewinner und Verlierer. Wahrscheinlich wird es nicht jedes Unternehmen schaffen, KI gut in ihre Produkte und ihre Services zu integrieren. Hinzu kommt, dass sich das Geschäftsmodell von Software durch KI grundlegend verändert. Code kann schneller und günstiger erstellt werden. Dadurch sinken die Eintrittsbarrieren, möglicherweise auch die Preise. Auf der Softwareseite wird es definitiv Gewinner geben, aber wahrscheinlich auch ein paar Verlierer. Eben die, die nicht den Sprung auf eine bessere KI-Integration schaffen.

Sehen Sie denn auch europäische, gar deutsche Unternehmen, die mit den „großen Vieren“ auch nur annähernd mithalten können?

Nein. Europa ist da abgeschlagen. Mistral aus Frankreich ist zwar nicht in den Top vier, dürfte aber zu den führenden zehn zählen – ein europäisches Startup bei den führenden großen Sprachmodellen. In Deutschland kann man noch eine Aleph Alpha nennen. Besonders für Behörden und überall, wo man starke Compliance-Anforderungen hat. In Europa ist die Regulatorik nochmal anders als in den USA und Aleph Alpha hat sich in dieser Nische etabliert. Dabei geht es vor allem um die DSVGO und Compliance und darin ist das Unternehmen stark. Ein weiterer Akteur ist Hugging Face. Die Plattform bietet über ihr Model Hub Zugriff auf Tausende von vortrainierten Modellen für Aufgaben wie Spracherkennung, Textgenerierung und Textzusammenfassung.

Sie sehen durch KI auch Chancen für traditionelle Unternehmen, also etwa Industrieunternehmen. Wo genau?

Dabei haben wir z.B. an jene Firmen gedacht, die durch ihre Hilfe beim Ausbau von Datencentern profitieren. Schneider Electric etwa kann sich um die ganze Infrastruktur und Stromversorgung für Datencenter kümmern. Auch in den USA hat die steigende Nachfrage nach Strom ein paar Energieversorgern geholfen sowie Unternehmen, die in der Stromproduktion tätig sind.

Das Interview führte Tobias Möllers.

Das Interview führte Tobias Möllers.