Spaniens Aktien Europas Schlusslicht

Ibex verliert seit Jahresbeginn 26,5 Prozent - Hohes Gewicht der Tourismusbranche ein Klotz am Bein

Spaniens Aktien Europas Schlusslicht

Mit einem Minus von 26,5 % im Ibex 35 ist der spanische Aktienmarkt in diesem Jahr das Schlusslicht in Europa. Das spiegelt die überdurchschnittlich schlechte Wirtschaftsentwicklung des Landes wider, das nicht zuletzt unter der schweren Krise des wichtigen Tourismus leidet.Von Thilo Schäfer, MadridBörsenkurse sind nicht unbedingt ein Spiegelbild der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Doch in Spanien sind die Zahlen unter dem Einfluss der Corona-Pandemie eindeutig. Die Wirtschaftskraft des Landes hat in der ersten Jahreshälfte den härtesten Rückschlag in Europa erlitten, und die Madrider Börse ist folglich das Schlusslicht in Europa. Der Schwergewichtsindex Ibex 35 hat seit Jahresbeginn 26,5 % an Wert eingebüßt, verglichen mit den 13,1 % des Euro Stoxx 50. Während der europäische Index und etwa der Dax seit Ende Mai zugelegt haben, liegt der Ibex seither im Minus, wozu auch die Halbjahreszahlen vieler Konzerne in den letzten beiden Wochen beigetragen haben. Nach einem schwachen letzten Jahr hatte der Ibex 35 im Februar kurzzeitig die Marke von 10 000 Punkten durchbrochen. Nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes wegen Sars-Cov-2 Mitte März rutschte das Börsenbarometer bis auf 5 800 Punkte ab. Seit Wochen hat sich der Ibex nun um die 7 000 Punkte eingependelt. BIP bricht heftig einDie spanische Wirtschaft ist von Covid-19 besonders hart betroffen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sackte im zweiten Quartal um ganze 18,5 % ab, wie die vorläufigen Zahlen von Eurostat am vergangenen Freitag ergaben. Das ist ein Rekord für Spanien. Die allermeisten Volkswirte erwarten für das Gesamtjahr einen Rückgang des BIP von mehr als 10 %. Die spanische Notenbank hält in ihrem Negativszenario sogar ein Minus von 15 % für möglich. Dass Spanien vom europäischen Rettungspaket ganze 140 Mrd. Euro erwartet, hat die Stimmung am Madrider Parkett nicht aufgehellt.Einer der Gründe für das unterdurchschnittliche Abschneiden Spaniens ist das große Gewicht der Tourismusbranche, mit einem Anteil von 12 % am BIP der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Zu der vom Virus arg gebremsten Reiselust der Europäer kam die für die Branche fatale Entscheidung der britischen Regierung hinzu, Spanien-Touristen bei der Rückkehr eine vierzehntägige Quarantäne aufzuerlegen.All das spiegelt sich natürlich an der Börse wider, wo die Werte aus der Reisebranche vor und nach Veröffentlichung der katastrophalen Quartalszahlen purzelten. Der Kurs von IAG, der Muttergesellschaft von British Airways und Iberia, liegt nach einem Halbjahresverlust von 3,8 Mrd. Euro mit mehr als 70 % im Minus. Ähnliches gilt für die Hotelkette Meliá (- 60 %). Auch Amadeus, der weltweit führende Betreiber von Reservierungssystemen, hat ordentlich Federn gelassen (- 41 %), auch wenn die Analysten von Berenberg überzeugt sind, dass der Wert “im Branchenvergleich attraktiv” ist.Aena (- 32 %), der halbstaatliche Betreiber fast aller spanischen Flughäfen, hat unter dem jähen Stopp des Flugverkehrs gelitten, der sich nur sehr langsam wieder erholt. “Wir denken, dass das Unternehmen die Mitbewerber überflügeln wird und die Dividende vor anderen wiederbringt, doch bedarf es einer klareren Entwicklung zur Normalisierung der Verkehrsströme, damit die Aktie maßgeblich zurückkommt”, schreibt Berenberg.Mehr noch als die vier Werte aus der Reisebranche haben die Banken den Ibex 35 heruntergezogen, da sie ein Fünftel des Index ausmachen. Alle sechs Geldinstitute haben 2020 wahre Kursabstürze erlitten. Die Aktienkurse der beiden Großbanken Santander und BBVA liegen nach Verlusten von jeweils fast 50 % und 40 % auf dem Niveau vor der Jahrtausendwende. Den übrigen Kreditinstituten geht es nicht viel besser, mit Kursverlusten seit Jahresanfang von 68 % bei Banco Sabadell, 34 % für Bankia und jeweils rund 30 % bei Caixabank und Bankinter. Die geringe Ertragskraft und eine im europäischen Vergleich eher dünne Eigenkapitaldecke lasten auf den Kursen.Santander überraschte letzte Woche die Märkte mit einem Verlust im Halbjahr von 10,8 Mrd. Euro, nachdem massive Abschreibungen auf das Auslandsgeschäft vollzogen waren. Spaniens größte Bank wird 2020 zum ersten Mal in ihrer Geschichte rote Zahlen schreiben. Der Hauptkonkurrent BBVA hofft trotz Abschreibungen auf die US-Tochter das Jahr noch im Plus zu beenden. “Wir glauben, dass die Verbesserung beim Kapital von den Märkten noch nicht honoriert worden ist, ebenso wie die Stärke vor Abschreibungen und die Fähigkeit, Verluste aufzufangen”, kommentierten die Analysten von Barclays. Alle Banken bestehen darauf, so schnell wie möglich wieder eine Dividende zu zahlen, sobald die Europäische Zentralbank ihr Verbot fallen lässt.Abgesehen von den Banken und der Reisebranche lasten auch andere Schwergewichte auf dem Ibex. Telefónica liegt fast 40 % im Minus, da die Anleger offenbar noch nicht vom neuen Geschäftsmodell überzeugt sind und sich um die nach wie vor hohe Verschuldung sorgen. Der Moderiese Inditex wurde wegen der Lockdown-bedingten Schließung seiner fast 8 000 Läden wie die der Kette Zara belastet. Der Erdölkonzern Repsol leidet neben dem gesunkenen Verbrauch unter dem Verfall der Rohstoffpreise.Zu den wenigen Lichtblicken zählt der Stromkonzern Iberdrola mit einem Plus im laufenden Jahr von 25 %. Der Gewinner im Ibex ist Cellnex, Europas führender Betreiber von Telefonmasten, der satte 50 % zulegen konnte. Kürzlich kündigte Cellnex zudem eine Kapitalerhöhung von 4 Mrd. Euro an, die sich großer Nachfrage erfreut. Es gibt also noch Käufer für spanische Aktien.