Trotz der MD-11-Tragödie befindet sich Boeing auf Erholungskurs
Trotz der MD-11-Tragödie befindet sich Boeing auf Erholungskurs
Geld oder Brief
Boeing bleibt auf Erholungskurs
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Manchmal werden Unternehmen von Fehlentscheidungen der Vergangenheit heimgesucht, die neue Belastungen schaffen. Aktuell hat es den krisengeschüttelten amerikanischen Flugzeughersteller und Rüstungskonzern Boeing erneut erwischt. In Louisville im Bundesstaat Kentucky ist ein Produkt des Unternehmens, nämlich ein Frachtflugzeug vom Typ MD-11, auf tragische und spektakuläre Weise abgestürzt. Die amerikanische Flugaufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) zog sofort die Notbremse und hat in einem eher unüblichen Schritt ein absolutes Flugverbot für den Flugzeugtyp verhängt.
Triebwerk fällt ab
Beim Start fiel nicht nur das linke der insgesamt drei Triebwerke ab, sondern gleich auch noch die Halterung das Triebwerks. Dies löste ein enormes Feuer in der linken Tragfläche aus und brachte das Flugzeug in eine Konfiguration, in der es auch von erfahrenen Piloten nicht mehr zu retten war. Das Modell ist spätestens seit dem Swissair-Absturz vom September 1996 als Passagierflugzeug umstritten, 2014 wurde es vom letzten Betreiber KLM im Passagierdienst in Rente geschickt. Kritisiert wird von Piloten, dass die MD-11 aufgrund von Design-Entscheidungen, die das Flugzeug effizienter machen sollten, insbesondere bei Start und Landung anspruchsvoller zu fliegen ist und Pilotenfehler weniger toleriert als andere Maschinen.
Aus der Tragödie von Louisville können für Boeing noch finanzielle Belastungen resultieren, dennoch hat sie bei weitem nicht die Bedeutung wie etwa die Abstürze des Volumenmodells Boeing B737 Max, die den Konzern an den Rand des Abgrunds gebracht hatten. Gleichwohl steht die MD-11 für vieles, was bei Boeing schief gelaufen ist. Das Flugzeugmodell kam über die verhängnisvolle Fusion mit McDonnell Douglas im Jahr 1996 zu Boeing, die dazu führte, dass die bewährte ingenieurszentrierte Unternehmenskultur von Boeing durch die von Kostenrechnern und kurzfristigen Gewinnmaximierern geprägte Kultur von McDonnell Douglas abgelöst wurde − mit den bekannten gravierenden Folgen für den Konzern. Allerdings ist der Flugzeugtyp wegen Sicherheitsbedenken, vor allem aber hoher Betriebskosten schon lange aus dem Passagierverkehr entfernt worden und auch die Frachtflieger wie Fedex und UPS planten den Ersatz des Modells, der nun vorgezogen werden dürfte.
Analysten optimistisch
Insofern ist zu erwarten, dass Boeing die unter seinem jetzigen Chef, dem ausgebildeten Ingenieur Kelly Ortberg, begonnene Erholung fortsetzen wird. Auf Sicht von einem Jahr hat sich die Aktie bereits um rund 42% erholt, von 25 Analysten raten nicht weniger als 17 zum Kauf der Aktie. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 255 Dollar, womit der Titel gegenüber dem aktuellen Kurs noch ein Potenzial von 30% hätte.
Dennoch hat Boeing noch einen weiten Weg vor sich. Der Aktienkurs liegt derzeit um rund 55% unter seinem Allzeithoch von 446 Dollar. Für das laufende Jahr wird noch kein Gewinn erwartet, es handelt sich damit um das siebte Jahr in Folge mit Verlusten. Kein anderes Unternehmen im S&P 500 hat seit 2019 so viel Geld verloren wie Boeing. Im laufenden Jahr will der Konzern rund 600 Verkehrsflugzeuge ausliefern, zwar deutlich mehr als 2024 mit lediglich 350 Stück, aber weniger als beispielsweise 2018 mit 806 Flugzeugen. Laut den Analysten der Bank of America hängt der Erfolg von Boeing im Wesentlichen daran, wie viele Flugzeuge ausgeliefert werden können, weil dies Cash generiert. Bislang muss sich Boeing vorwerfen lassen, seit den beiden Abstürzen der B737 Max in rekordverdächtigen 70% aller Fälle die Analystenerwartungen verfehlt zu haben. Dies gilt übrigens auch für das jüngste dritte Quartal, für das sich ein Verlust der Aktie von 7,14 Dollar ergab, verglichen mit einer Konsensschätzung von rund 5 Dollar. Eine Sonderbelastung von 4,9 Mrd. Dollar auf das schon seit langem verzögerte Modell B777X verhagelte das Ergebnis. Noch immer ist dieses Flugzeugmodell von der FAA nicht zertifiziert. Aber immerhin lag die Umsatzentwicklung über den Erwartungen und der Konzern kam erstmals seit 2023 auf einen positiven Cashflow.
Neues Modell in der Planung
Der langfristige Erfolg von Boeing wird vor allem davon abhängen, ob es gelingt, endlich einen Nachfolger für das Volumenmodell B737 Max zu entwickeln, was der Konzern laut einem Bericht des Wall Street Journal nun endlich ernsthaft erwägt. In diesem für den Konzern kritischen Geschäftsfeld hat Rivale Airbus nämlich mittlerweile mit seiner Flugzeugfamilie A320 neo einen Marktanteil von rund 70%. Auffällig ist, dass diese Nachricht keinerlei Kursschub für die Aktie auslöste, was insofern verständlich ist, als das eine solche Entwicklung viele Milliarden Dollar kostet und mit großen Risiken behaftet ist. Dennoch ist ein solches Projekt für das langfristige Überleben des Konzerns essentiell. Analysten erwartet, dass das neue Flugzeug etwas größer würde als die B737 Max und insofern vor allem mit der A321 neo konkurrieren würde. Zuvor hatte Ortberg noch die Entwicklung eines sehr experimentellen Flugzeugtyps X-66 trotz erhoffter Zukunftsperspektiven aufgrund der enormen Risiken gestoppt.
Ortberg dreht viele Entscheidungen seiner Vorgänger zurück. Er hat das Management von Chicago zurück nach Seattle verlegt, damit wieder näher an die Produktion. Er hat zudem Teile der Sparte Digital Aviation Solutions für rund 10 Mrd. Dollar verkauft und im Herbst 2024 über eine Emission von Aktien und Wandelanleihen dem Konzern neue Finanzmittel im Volumen von rund 16 Mrd. Dollar beschafft. Allerdings konnten die Aktien nur zu mageren 143 Dollar am Markt untergebracht werden. Außerdem ist das Thema der Streiks der über viele Jahre vernachlässigten Belegschaft noch nicht ganz ausgestanden. Aktuell betrifft es 3.200 Mitarbeiter in St. Louis, wo die Kampfflugzeuge F-15 und F-18 gebaut werden. Dies alles demonstriert, dass Boeing nach Ansicht der meisten Analysten zwar auf dem richtigen Weg ist, dass ein Investment in die Aktie aber noch eine recht hohe Risikobereitschaft erfordert.
