GELD ODER BRIEF

Uber laufen Anleger in Scharen davon

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 8.11.2019 Die Aktie des im Mai mit viel Hype an die Börse gegangenen US-Fahrdienstes Uber befindet sich in einer schweren Krise. Am Montag brach der Aktienkurs um fast 10 % ein, am Dienstag um fast 9...

Uber laufen Anleger in Scharen davon

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDie Aktie des im Mai mit viel Hype an die Börse gegangenen US-Fahrdienstes Uber befindet sich in einer schweren Krise. Am Montag brach der Aktienkurs um fast 10 % ein, am Dienstag um fast 9 % und am Mittwoch um bis zu 9 %. Der Titel ist am selben Tag auf ein Rekordtief von 25,58 Euro gesunken. Gegenüber dem Zuteilungspreis beim Börsengang am 10. Mai von 45 Dollar ergibt sich damit ein Verlust von bis zu 43 %. Dabei ist nach den Standards der Wall Street eigentlich alles in Ordnung: Die von dem Unternehmen vorgelegten Zahlen zum dritten Quartal übertrafen die Konsensschätzung der Analysten. Und dass ein Internetwert unterm Strich nur Verluste produziert, daran müssten sich die Anleger eigentlich schon seit der Dotcom-Überbewertungsblase der späten neunziger Jahre gewöhnt haben.Gleichwohl ist der Hype bei Uber offensichtlich zu Ende, und bei den Investoren kehrt so etwas wie Realitätssinn zurück. Was den Kurs des einstigen Wall-Street-Darlings derzeit besonders unter Druck setzt, ist die Tatsache, dass die Haltefrist für die im Rahmen des Börsengangs erworbenen Aktien jetzt abgelaufen ist. Mit anderen Worten: Die bisherigen Anteilseigner laufen in Scharen davon. Etwa 1,5 Milliarden zusätzliche Aktien kommen mit dem Ablauf der Haltefrist auf den Markt, was die Zahl der handelbaren Titel in etwa verdoppelt und wodurch etwa 90 % der Aktien handelbar werden. Die Treue gehaltenEs gibt aber noch eine Gruppe von Wall-Street-Profis, die der Aktie quasi unerschütterlich die Treue halten. Die große Mehrheit der Analysten rät weiterhin zum Kauf der Aktie. Von insgesamt 38 Häusern, die die Aktie auf ihrem Radarschirm haben, raten nicht weniger als 25 bzw. rund zwei Drittel zum Kauf. Zwölf Analysten legen ihren Kunden nahe, das Papier im Portfolio zu behalten. Ein einziger Analyst rät zum Verkauf der Aktien. Das durchschnittliche Kursziel der Aktie für die kommenden zwölf Monate beträgt 45,58 Dollar laut Bloomberg und sogar 47,92 Dollar laut Tipranks. Bezogen auf den aktuellen Kurs wäre dies ein Potenzial von stolzen 68 %. Damit gibt es eine auffällige Diskrepanz zwischen den Analystenmeinungen und dem Verhalten der Investoren.Das Misstrauen der Anleger macht sich zu einem guten Teil an CEO Dara Khosrowshahi fest, dem erhebliche Mängel in seiner Kommunikation mit den Investoren vorgeworfen werden. Wettbewerber Lyft soll dies deutlich besser machen, wird an Wall Street kolportiert.Auf den ersten Blick sehen die Zahlen des dritten Quartals zwar gar nicht so schlecht aus. Der Verlust die Aktie betrug nur 68 Cent bei Erlösen von 3,81 Mrd. Dollar. Analysten hatten im Schnitt mit einem Minus von 81 Cent und einem Umsatz von 3,69 Mrd. Dollar gerechnet. Das Umsatzwachstum betrug immerhin 33 %, und auch für das Jahresschlussviertel wird mit weiterem Wachstum gerechnet. Das Management erwartet mittlerweile, dass für das gesamte Geschäftsjahr 2021 schwarze Zahlen geschrieben werden – freilich nur auf Basis des Ergebnisses vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda). Lyft rechnet dagegen erst für das vierte Quartal 2021 mit einem Gewinn. Uber hatte am Ende des Quartals noch Cash-Reserven von 12,7 Mrd. Dollar, eine Kapitalerhöhung ist also zumindest kurzfristig nicht zu erwarten. Die Quartalszahlen sollten vor dem Hintergrund der reichlichen Bewertung beim Börsengang von 82 Mrd. Dollar auf Basis des Zuteilungspreises gesehen werden, die der Aktie jetzt zum Verhängnis wird.Unterm Blech sehen die Quartalszahlen allerdings nicht mehr so freundlich aus. So hat es das Unternehmen geschafft, bei dem genannten Umsatz von 3,81 Mrd. Dollar einen Verlust von 1,2 Mrd. Dollar zu erzielen. Was zudem nicht gut angekommen ist, ist die Tatsache, dass Uber zuletzt auf eine monatliche Zahl von 103 Millionen aktiver Kunden gekommen ist. Analysten hatten im Schnitt mit 107 Millionen gerechnet. Die Summe der Buchungen betrug brutto 16,5 Mrd. Dollar, verglichen mit erwarteten 16,7 Mrd. Dollar.Zudem sind viele Investoren mit der Unternehmensstrategie nicht einverstanden, die für viele nach Wachstum um jeden Preis aussieht. Was die Expansion in andere Geschäftsfelder betrifft, so hat das Management offenbar keine besonders glückliche Hand. Der Lieferdienst für Mahlzeiten, Uber Eats, wächst langsamer als von den Analysten erwartet. Viel Gegenwind Zudem sieht sich das Unternehmen nach wie vor erheblichem Gegenwind in vielen Märkten ausgesetzt, wo traditionelle Taxi- und Fahrdienste preislich unterboten werden – auf Kosten der Einkünfte der als Kleinstunternehmer tätigen Fahrer. Dies gilt auch für den Heimatmarkt des in San Francisco beheimateten Unternehmens. Ein Gesetzentwurf in Kalifornien könnte dafür sorgen, dass Uber ihre Fahrer bald zu Angestellten machen muss, und in Los Angeles gibt es Erwägungen im Stadtrat, dass Uber und Lyft ihren Fahrern künftig möglicherweise 30 Dollar die Stunde zahlen müssen, nämlich 15 Dollar Lohn sowie 15 Dollar für Treibstoff und Ausgaben wie Versicherung und Wartung. Sollten sich derartige Niveaus durchsetzen, würde es für Betreiber von Fahrdiensten wie Uber deutlich schwieriger, Gewinn zu erzielen. Das Geschäftsmodell funktioniert nur mit den Spielregeln der “Gig Economy”, die aus den Fahrern im Grunde digitale Tagelöhner macht. Es ist zu erwarten, dass der Widerstand gegen ein solches Modell wegen der größer werdenden sozialen Spannungen in vielen Märkten zunimmt.Zuerst aber gilt es, dass der Markt die Auswirkungen der genannten 1,5 Millionen zusätzlich handelbaren Aktien verdaut. An Wall Street wird geschätzt, dass es rund 100 Handelstage dauern könnte, bis die Umwälzung des Besitzes von rund einer Milliard Aktien im Aktienkurs bewältigt ist. Erst danach lässt sich zuverlässig abschätzen, ob und wie die Aktionäre längerfristig zu ihrem Unternehmen stehen.