Gastbeitrag

US-Staatsanleihen: Warum Zinssenkungen keine Kursgewinne garantieren

Die Wirkung von Zinssenkungen auf die Zinsstrukturkurve – also die Verteilung der Zinssätze über verschiedene Laufzeiten – kann sehr unterschiedlich ausfallen.

US-Staatsanleihen: Warum Zinssenkungen keine Kursgewinne garantieren

US-Staatsanleihen: Warum Zinssenkungen keine Kursgewinne garantieren

Von Thomas Romig

Der Druck auf die US-Notenbank Federal Reserve, die Leitzinsen zu senken, nimmt spürbar zu. Nach den schwachen US-Arbeitsmarktzahlen im Juli gilt eine geldpolitische Lockerung als immer wahrscheinlicher. Die Finanzmärkte rechnen inzwischen mit bis zu drei Zinsschritten à 25 Basispunkte bis zum Jahresende. Trotzdem sollten Anleiheinvestoren Vorsicht walten lassen: Die Wirkung von Zinssenkungen auf die Zinsstrukturkurve – also die Verteilung der Zinssätze über verschiedene Laufzeiten – kann sehr unterschiedlich ausfallen. Es gab in den Vereinigten Staaten und Europa immer wieder Phasen, in denen Zinssenkungen am kurzen Ende durch steigende Langfristzinsen konterkariert wurden – etwa im vergangenen Jahr, als trotz des Beginns eines Lockerungszyklus die Renditen am langen Ende zulegten, oder Mitte der 1970er-Jahre, als eine hohe Inflation trotz geldpolitischer Lockerung die langfristigen Renditen nach oben trieb.

Grundsätzlich kann eine Zentralbank das kurze Ende der Kurve – also Anleihen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren – durch ihre Geldpolitik aktiv steuern. Der Leitzins beeinflusst direkt den Interbanken- und Geldmarkt. Veränderungen schlagen daher in der Regel schnell auf die Renditen kurzfristiger Staatsanleihen und Kreditkonditionen durch. Die Entwicklung der Zinsen am langen Ende, also bei Laufzeiten von zehn Jahren und mehr, ist aber wesentlich komplexer. Hier spielen neben der Geldpolitik die Erwartungen der Marktteilnehmer an das langfristige Wirtschaftswachstum, die Inflationsentwicklung sowie die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung eine große Rolle. Auch globale Kapitalströme, etwa Käufe und Verkäufe ausländischer Investoren, können erheblichen Einfluss haben. Diese Faktoren spiegeln sich in der „Laufzeitprämie“ wider – dem zusätzlichen Renditeaufschlag, den Anleger für das Halten von Anleihen mit langen Laufzeiten verlangen.

Warum trotz Zinssenkungen Langläufer steigen können

Trotz Leitzinssenkungen können Renditen langer Laufzeiten zulegen, etwa wenn Inflationserwartungen anziehen oder Risikoaufschläge steigen. Ein aktuelles Beispiel ist der deutsche Staatsanleihenmarkt: Seit Beginn der geldpolitischen Lockerung im Juni 2024 hat die EZB den Einlagenzins in mehreren Schritten von 4% auf 2% gesenkt. Während die Renditen einjähriger Bundesanleihen von 3,3% auf 1,9% fielen, stiegen die Renditen von Anleihen mit 30-jähriger Laufzeit von 2,7% auf rund 3,2%. Auslöser waren unter anderem umfangreiche fiskalpolitische Maßnahmen – das 500-Mrd.-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur sowie die Lockerung der Schuldenbremse inklusive Ausnahmen für höhere Verteidigungsausgaben. Die Aussicht auf zusätzliche Emissionen am langen Ende erhöhte die Laufzeitprämie und trieb die Renditen trotz expansiver Geldpolitik nach oben.

Eine ähnliche Dynamik ist derzeit auch in den USA zu beobachten. Dort hat die moderate Lockerung der Federal Reserve im Herbst 2024 zu einer steileren Zinskurve beigetragen. Allerdings sind die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten deutlich komplexer als in der Eurozone. Die Gefahr eines „Policy Errors“ seitens der Fed fällt entsprechend höher aus. Zwar hat sich die Teuerung zuletzt etwas verlangsamt, lag im Juli mit einer Inflation von 2,7% und einer Kerninflation von 3,1% jedoch weiterhin klar über dem 2%-Ziel der Notenbank. Die Auswirkungen der Importzölle dürften sich in den aktuellen Zahlen erst zum Teil widerspiegeln. Der Produzentenpreisindex – ein Frühindikator für die Inflation, der sensibel auf Veränderungen bei Handelskosten reagiert – legte im Juli mit einem Anstieg von 3,3% gegenüber dem Vorjahr deutlich stärker zu als die Verbraucherpreise. Eine zu starke oder zu frühe Lockerung der Geldpolitik könnte zudem über sinkende Finanzierungskosten die Konjunktur anheizen. Bei begrenzten Produktionskapazitäten würde so tendenziell zusätzlicher Preisdruck erzeugt. Zinssenkungen in diesem Umfeld bergen das Risiko, dass Inflationserwartungen wieder anziehen. In Folge dessen könnte das lange Ende der Zinskurve unter Aufwärtsdruck geraten, da Investoren für das zusätzliche Inflationsrisiko einen höheren Renditeaufschlag verlangen.

Expansive Fiskalpolitik

Verstärkt wird dieser Druck durch die expansive Fiskalpolitik der US-Regierung. Umfangreiche Ausgabenprogramme verschärfen die langfristige Defizitdynamik. Mit über 37 Bill. Dollar hat die Staatsverschuldung ein Rekordniveau erreicht, während die jährlichen Zinsausgaben bei mehr als 1 Bill. Dollar liegen – Tendenz steigend. Der damit einhergehende erhöhte Refinanzierungsbedarf dürfte ebenfalls treibend auf die Renditen langlaufender Staatsanleihen wirken.

Zusätzlich wächst die politische Einflussnahme auf Institutionen wie die Federal Reserve und das Bureau of Labor Statistics. Sollten Zweifel an der Unabhängigkeit der Fed oder der Verlässlichkeit offizieller Daten zunehmen, könnten Investoren höhere Risikoaufschläge fordern oder ihr Engagement in US-Staatsanleihen am langen Ende reduzieren.

Laufzeiten bewusst staffeln

Zinssenkungen sind kein Garant für Kursgewinne über alle Laufzeiten. In einem Umfeld, in dem die Geldpolitik stark datenabhängig ist und Investoren auf jedes neue Konjunktursignal reagieren, kann sich die Zinsstrukturkurve kurzfristig deutlich verschieben. Für die Federal Reserve ist die Lage besonders anspruchsvoll: Sie muss zwischen Preisstabilität und der Stützung der Konjunktur abwägen, während die Inflation noch klar über der Zielmarke liegt und der staatliche Refinanzierungsbedarf hoch bleibt. Lockert sie zu schnell oder zu stark, steigen die Risiken anziehender Inflationserwartungen und damit höherer Renditen am langen Ende; bleibt sie zu zögerlich, droht eine spürbare Abschwächung der Konjunktur.

Für Investoren heißt das: Laufzeiten bewusst staffeln und die Duration begrenzen, um Schwankungen am langen Ende abzufedern, inflationsgeschützte Anleihen als Puffer bei steigenden Inflationserwartungen beimischen und Unternehmensanleihen solider Bonität zur Stabilisierung der Ertragsquelle nutzen. Entscheidend ist ein flexibles Vorgehen mit regelmäßiger Überprüfung der Ausrichtung – gerade weil neue Daten zu Inflation und Arbeitsmarkt die Erwartungen an den Kurs der Fed laufend verändern und die Laufzeitprämie damit in Bewegung halten.

Unser Gastautor Thomas Romig ist CIO Multi Asset von Assenagon.