LEITARTIKEL

Vor der Rotation

An den Aktienmärkten scheint sich eine Wende anzudeuten. Der seit dem März-Crash boomende Technologiesektor hat einen empfindlichen Dämpfer erhalten. In nur drei Handelstagen hat der Nasdaq Composite 10 % eingebüßt. Allein am Dienstag haben die...

Vor der Rotation

An den Aktienmärkten scheint sich eine Wende anzudeuten. Der seit dem März-Crash boomende Technologiesektor hat einen empfindlichen Dämpfer erhalten. In nur drei Handelstagen hat der Nasdaq Composite 10 % eingebüßt. Allein am Dienstag haben die FAANG-Aktien zuzüglich Tesla zusammengerechnet mehr als 1 Bill. Dollar an Wert verloren. Gleichzeitig waren in den zurückliegenden Handelstagen Ansätze von Umschichtungen in Branchen zu beobachten, die in der Covid-Krise stark unter Druck geraten oder zumindest vom Technologiesektor bzw. Wachstumswerten mit weitem Abstand abgehängt worden sind. Die Korrektur des Nasdaq Composite relativiert sich allerdings angesichts der Tatsache, dass er seit dem März-Tief um bis zu 76 % gestiegen ist. Gewinnmitnahmen sind da nur normal. Jedoch führt der Einbruch den Investoren vor Augen, dass sich ein raketenhafter Anstieg, wie ihn der Technologiesektor gezeigt hat, nicht unbegrenzt fortsetzen kann und über kurz oder lang in einen Rückschlag münden muss – erst recht, wenn er weitgehend von einer sehr begrenzten Anzahl an Aktien getragen wird. Die Anleger müssen sich wohl darauf einstellen, dass der Tech-Höhenflug in dem Tempo der zurückliegenden Wochen vorbei ist.Einige wenige Handelstage sollten aber auch nicht überbewertet werden. Das Ende der Technologie-Outperformance auszurufen, wäre definitiv verfrüht. Denn die Treiber der Hausse, darunter überbordende Liquidität und die durch die Coronakrise für lange Zeit zementierten Niedrigzinsen, haben unverändert Bestand. Die Pandemie hat das Geschäft vieler Technologieunternehmen insbesondere durch den zusätzlichen Digitalisierungsschub angekurbelt, während der Großteil der übrigen Branchen mit ihren Folgen zu kämpfen hat – bis hin zum fast völligen Geschäftsstillstand. Auch wenn es Parallelen gibt, ist ein Vergleich mit der Dotcom-Blase der Jahrtausendwende fehl am Platz. Die Technologieunternehmen sind sehr profitabel, anders als vor 20 Jahren funktionieren ihre Geschäftsmodelle.Dennoch stellt sich die Frage, ob die Aktienmärkte nun am Beginn oder vor einer großen Rotation stehen, einer Rotation aus stark gelaufenen Corona-Profiteuren wie u. a. dem Tech-Sektor in von der Krise gebeutelte Branchen, aus defensiven bzw. Growth- in zyklische bzw. Value-Aktien. Immerhin hat sich durch die lange Underperformance der Value-Aktien erhebliches Aufholpotenzial aufgebaut. Nachdem etwa der MSCI World Growth Index sein Value-Gegenstück im zurückliegenden Jahr bereits um rund 14 Prozentpunkte abgehängt hat, hat sich die Performance-Schere in der Coronakrise noch weiter geöffnet. Der Growth-Index hat seit dem Jahresbeginn um 15,3 % zugelegt, während der Value-Index 15 % eingebüßt hat.Entsprechend hat sich auch die Bewertungsschere deutlich ausgeweitet. Während etwa das gleitende Zwölf-Monats-KGV des Nasdaq Composite seit dem März-Tief bis zur Korrektur von 18 auf 32 und damit um sagenhafte 14 Punkte geklettert ist, hat sich das KGV des stärker von zyklischen bzw. Value-Aktien geprägten Dax lediglich um 7 KGV-Punkte ausgeweitet. Die Ausweitung der Bewertungsdifferenzen erhöht gerade aus Sicht von Investoren, die sich mit den Bewertungsniveaus des Technologiesektors zunehmend unwohl fühlen, die relative Attraktivität von abgehängten Zyklikern beziehungsweise Value-Aktien.Es gibt jedoch einen Haken, wie gerade das Beispiel des deutschen Leitindex zeigt. Auch wenn sein Zwölf-Monats-KGV bei weitem nicht so deutlich zugelegt hat wie dasjenige des Nasdaq 100, befindet es sich mit 17 aber ebenfalls auf einem alles andere als günstigen Niveau. Letztlich zeigen die Daten eines: Vor einer großen Rotation aus Growth- in Value-Aktien müssen noch einige Hürden überwunden werden. So bedarf es vor umfangreichen Umschichtungen eines Mindestmaßes an Vertrauen der Investoren, dass eine konjunkturelle Normalisierung nicht allzu lange auf sich warten lässt. Sie würde auch die der Technologiebranche zugutekommenden Coronaeffekte abschwächen. Derzeit ist aber noch nicht deutlich genug auszumachen, wann die Normalisierung gelingen kann. Das Gleiche gilt für eine entscheidende Voraussetzung einer Normalisierung, die Verfügbarkeit eines Coronaimpfstoffes. Der Rotation im Weg stehen auch die Unsicherheiten um die anstehende US-Wahl. Auch diese müssen schwinden, damit sich die Investoren zu umfangreichen Umschichtungen in Value-Aktien entscheiden.——Von Christopher KalbhennVor einer großen Rotation aus Growth- in Value-Aktien müssen zunächst noch einige Hürden überwunden werden.——