Wacker Chemie weckt Begeisterung und Skepsis
Von Joachim Herr, MünchenSteil nach oben geht es mit dem Kurs von Wacker Chemie. Im vergangenen Jahr legte die Aktie des Münchner Spezialchemiekonzerns fast zwei Drittel an Wert zu. Daran knüpfte der MDax-Titel in den ersten Tagen des neuen Jahres an, so dass er den höchsten Kurs seit sieben Jahren erreichte. Und der Abstand zum bisherigen Spitzenwert – vor zehn Jahren waren es knapp 200 Euro – ist gar nicht mehr so weit.Einen Schub gab dem Kurs zuletzt die Commerzbank, die ihre Empfehlung für die Wacker-Chemie-Aktie von “Halten” auf “Kaufen” erhöhte. Analyst Michael Schäfer setzte das Kursziel von 115 auf die Ende 2007 knapp verfehlten 200 Euro hoch. Seine Begründung: Die Spezialisierungsstrategie im Siliziumgeschäft bilde das Rückgrat der künftigen Gewinnentwicklung. Diese Sparte dürfte nach Schäfers Ansicht bis zum Jahr 2021 die Hälfte zum jährlichen Wachstum des operativen Ergebnisses beitragen. Branche hoch bewertetAndere raten nach der Kursrally jedoch zur Vorsicht. Die DZ Bank hält Wacker Chemie mit einem Preis von 146 Euro für fair bewertet und empfiehlt deshalb den Verkauf. Auch die US-Investmentbank J.P. Morgan rät zur Zurückhaltung und stufte in dieser Woche die Aktie von “übergewichten” auf “neutral” herunter, erhöhte allerdings das Kursziel von 122 auf 165 Euro. Nach Ansicht von Analyst Chetan Udeshi könnte die Chemieindustrie ihren guten Lauf zwar noch einige Quartale fortsetzen, dann aber dürfte sich die Lage verdüstern. Zudem sei die Branche an der Börse schon sehr hoch bewertet – getrieben von Übernahmen, steigenden Preisen und einem Konjunkturhoch.Ähnlich zuversichtlich wie die Commerzbank zeigen sich für Wacker Chemie dagegen Mainfirst mit einem Kursziel von 191 Euro und die Privatbank Berenberg mit 178 Euro. Dem Münchner Unternehmen gelingt es offenbar, mit einer vielversprechenden Zukunft zu überzeugen. Selten sei der Ausblick von Wacker Chemie so optimistisch ausgefallen, vor allem für die Geschäftssegmente Silikone und Polysilizium, berichtete Berenberg-Analyst Sebastian Bray vor knapp vier Wochen nach einem Treffen mit Managern des Unternehmens. Bray überschrieb seine Zusammenfassung mit dem Titel “Silicontastic”.Für seine Begeisterung nennt Bray zwei wesentliche Gründe: Zum einen bleibt das Angebot von Silikonen nach Einschätzung von Wacker Chemie noch mindestens zwei Jahre knapp, weil die Nachfrage weiter steigt und die Zeiten erst einmal vorbei sind, in denen vor allem in China neue Produktionskapazitäten aufgebaut wurden. Zum anderen werden in Elektroautos viel mehr solche synthetische Polymere gebraucht als in Fahrzeugen mit einem Verbrennungsmotor – etwa als hitze- und feuerbeständiger Füllstoff in Batterien. Silikone finden zudem Verwendung im Bau, in der Chemie, Kosmetik und Medizintechnik sowie in den Branchen Energie und Elektronik, Papier und Textil.Das Polysiliziumgeschäft profitiert von der weiter wachsenden Zahl installierter Solaranlagen. Der Ausbau geht schneller als erwartet. Wacker Chemie bietet einen besonders reinen Grundstoff an. Der Markt wird diesen nach Ansicht von Berenberg künftig wahrscheinlich mit höheren Preisen vergüten. Denn es gebe einen Trend von polykristallinen Solarmodulen zu den leistungsstärkeren und teureren monokristallinen. Longi und Zhonghuan Semiconductor in China, die größten Hersteller von Solarzellen in der Welt, planten einen Ausbau ihrer Fertigungskapazitäten monokristalliner Produkte, für die sie die von Wacker angebotene hohe Qualität benötigten. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres war die operative Marge dieser Sparte von Wacker Chemie allerdings gesunken, unter anderem wegen eines ungünstigeren Produktmix. Das könnte sich bald ändern. An Siltronic beteiligtPolysilizium ist außer für Solaranlagen der Grundstoff für Wafer, die einen Boom erleben. Einer der Kunden ist Siltronic in München. In diese Tochterfirma hatte Wacker Chemie das Geschäft mit den Siliziumscheiben für die Halbleiterindustrie ausgegliedert und in einem zweiten Anlauf 2015 an die Börse gebracht. Seit Aktienverkäufen im vergangenen Frühjahr besitzt Wacker Chemie noch einen Anteil von knapp 31 % an Siltronic.Auch das starke Geschäft von Siltronic und der rasante Wertanstieg dieser Beteiligung geben Wacker Chemie an der Börse Rückenwind – und in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Ende Oktober hatte der Konzern auch dank Siltronic die Prognose für das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) für 2017 auf 1 Mrd. Euro erhöht. Die Analysten rechnen im Durchschnitt mit 1,02 Mrd. Euro und mit 1,1 Mrd. Euro für dieses Jahr. Diese Zahlen nennt Wacker Chemie auf ihrer Internet-Seite. Grundlage sind die Schätzungen von 16 Analysten.Wie hoch das Ebitda im vergangenen Jahr tatsächlich ausgefallen ist, wird das Unternehmen voraussichtlich Anfang Februar mit anderen Eckdaten veröffentlichen. Am 13. März folgen der Geschäftsbericht und die Bilanzpressekonferenz. Dann wird auch der Dividendenvorschlag für die Hauptversammlung am 9. Mai zu erfahren sein. Ernte einfahrenDie angestrebte Ausschüttungsquote erhöhte das Unternehmen seit dem vergangenen Jahr von mindestens einem Viertel des Jahresgewinns auf die Hälfte. Für 2016 erhielten die Aktionäre einen Anteil von 53 %. Von 2010 bis 2016 hatte die Dividende im Durchschnitt 36 % des Jahresüberschusses betragen.Nach dem Ende einer Phase mit größeren Investitionen will Wacker Chemie nun und in den nächsten Jahren in der sogenannten Leverage-Phase die Ernte einfahren und rechnet mit einem Anstieg des Mittelzuflusses (Cash-flow) und des freien Cash-flow. Die Leverage-Phase, die zunächst nur bis 2018 dauern sollte, verlängerte der Konzern bis 2021. Erst danach stehen wieder größere Investitionen in Produktionsanlagen an. Bis dahin soll die Fertigung erweitert werden. Sebastian Bray von der Berenberg Bank attestiert Wacker eines der günstigsten Cash-flow-Profile in der europäischen Chemiebranche. Für ihn ist das ein weiterer Grund, den Kauf der Aktie zu empfehlen.