Wall Street: Geschichte wiederholt sich (nicht)
Wall Street
Geschichte wiederholt
sich (nicht)
Unser Gastautor Thomas Altmann ist Portfoliomanager beim Vermögensverwalter QC Partners.
Die Wall Street eilt aktuell von Rekord zu Rekord. Der Tech-Index Nasdaq 100 hat zuletzt neun Handelstage in Serie im Plus beendet. Das ist schon jetzt die längste Gewinnserie seit dem Jahr 2021. Das zweite Halbjahr ist noch nicht einmal zur Hälfte vorbei, dennoch hat der Nasdaq 100 in diesem Zeitraum bereits 16 Rekordhochs erreicht. Zum Vergleich: Im gesamten zweiten Halbjahr des Vorjahres waren es ebenfalls 16, im ersten Halbjahr 2025 nur 8.
Diese Rally ist beeindruckend und beängstigend zugleich. Immer häufiger werden Vergleiche mit der Rally der späten 90er, die schließlich in der Techblase mündete, gezogen. Wo liegen die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede?
Bewertungen steigen
Die gute Nachricht an dieser Stelle: Die Unternehmensgewinne steigen. Sichtbar ist das besonders an den 12-Monats-Gewinnen der sechs größten Tech-Unternehmen Nvidia, Microsoft, Apple, Amazon, Broadcom und Meta. Diese Sechs stehen für 30% des S&P 500 und gar 40% des Nasdaq 100. Und diese Sechs haben allesamt neue Gewinnrekorde erreicht. Entsprechend liegen auch die aggregierten Indexgewinne auf einem Rekordniveau. Die schlechte Nachricht: Die Gewinne sind zuletzt langsamer gestiegen als die Kurse. Und das macht sich in einem steigenden Kurs/Gewinn-Verhältnis bemerkbar. Schauen wir aufgrund der längeren Datenhistorie auf den S&P 500: Das historische KGV liegt mit 25 zwar noch fünf Punkte unter dem Höchstwert vor dem Platzen der Techblase. Es liegt aber auch sechs Punkte über dem 30-Jahres-Durchschnitt. Der aktuell sehr hohe Optimismus zeigt sich vor allem an der Zukunftserwartung: Das in zwei Jahren erwartete KGV liegt nur noch zwei Punkte unter dem Erwartungswert von vor 25 Jahren, aber fünf Punkte über dem historischen Mittel.
Andere Bewertungen sehen noch kritischer aus: Mit einem Wert von 5,5 hat das Kurs/Buchwert-Verhältnis den Höchstwert aus dem Jahr 2000 eingestellt. Das Kurs/Umsatz-Verhältnis hat mit 3,3 einen neuen Rekord erreicht. Vor 25 Jahren war bereits bei 2,3 Schluss – dabei war das damals ein neuer Rekord.
Hoher Optimismus
Damals wie heute wurde der Kursanstieg von hohem Optimismus begleitet. Dem mit aktuell 789 Mrd. Dollar größten ETF auf den S&P 500 sind in der vergangenen Handelswoche 32 Mrd. Dollar zugeflossen. Einen so hohen Wochenzufluss gab es noch nie in der 15-jährigen Historie. Das könnte ein Indiz für optimistische und gierige Privatanleger sein.
Zudem spielt Absicherung gegen fallende Kurse aktuell nur eine untergeordnete Rolle. Ein klassisches Absicherungsinstrument ist der Mini-Future auf den S&P 500. Hier ist die Zahl der ausstehenden Kontrakte kürzlich auf ein 18-Jahres-Tief gefallen – und lag damit 60% unter dem Rekord aus der Covid-Zeit. Dazu tragen auch die Hedge Fonds bei. Deren Future-Positionierung ist aktuell ein gutes Stück optimistischer als im 20-Jahres-Durchschnitt.
VIX auf Jahrestief
Besonders interessant ist die Hedge Fonds-Positionierung beim Future auf den Volatilitätsindex VIX. Der VIX ist vor wenigen Wochen auf ein neues Jahrestief abgesackt. Dennoch halten Hedge Fonds aktuell die größte netto-short-Position seit viereinhalb Jahren.
Diese Positionierung macht sich in einem anhaltend ruhigen Markt bezahlt. Turbulenzen mit erhöhten Schwankungen führen dagegen zu massiven Verlusten.
Ein weiterer Ausdruck des Optimismus ist das hohe Volumen kreditfinanzierter Aktienkäufe. Hier ist der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2021 fast erreicht. Steile Anstiege bei Aktienkrediten gab es zuvor vor dem Platzen der Techblase und im Vorfeld der Finanzkrise. In allen drei Fällen folgte ein Kurssturz.
Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie darf zum Nachdenken anregen. Und „Diesmal ist alles anders“ war an den Börsen schon manchmal ein teurer Ratgeber. Ob „Tanzen, solange die Musik spielt“ oder antizyklische Absicherung jetzt die bessere Wahl ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.