Warum die Renaissance des Euro bevorstehen dürfte
Devisenwoche
Warum die Renaissance des Euro bevorstehen dürfte
Von Xueming Song *)
Wird der Euro den 25. Geburtstag am 1. Januar 2024 mit einem Kursfeuerwerk feiern? Die Wahrscheinlichkeit dafür erscheint sehr hoch, auch wenn viele Marktteilnehmer angesichts der Schwäche der Gemeinschaftswährung im vergangenen Jahr noch ein großes Fragzeichen hinter diese Prognose setzen würden. Dabei ist es gerade das Geschehen 2022, das dazu Hoffnung gibt: Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Länder des Euroraums näher zusammengebracht, die Energiekrise hat die Versorgung Europas auf ein breiteres Fundament gestellt, und die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Bewährungsprobe als Inflationsbekämpferin gut bestanden.
Bewährungsprobe bestanden
Die Politikwissenschaft spricht erst dann von der Stabilität eines politischen Systems, wenn es die wesentlichen Bewährungsproben bestanden hat. Die Gemeinschaftswährung wurde seit der Einführung 1999 oft für tot erklärt. Direkt nach der Einführung fiel der Eurokurs von 1,16 unter die Parität zum Dollar, weil der Finanzplatz New York nicht an eine Zukunft der Gemeinschaftswährung glaubte. Der Euro hat die Existenzfrage jedoch schon früh beantwortet, nachdem die „Teuro“-Phase überstanden war und viele Länder der Währungsgemeinschaft beitreten wollten. Mit der Griechenland-Krise 2010 kamen abermals große Zweifel am Euro auf, so dass der damalige Präsident der EZB, Mario Draghi, sich zu seinem legendären Satz veranlasst sah, „whatever it takes“ zu tun, um die Gemeinschaftswährung zu retten. So hat der Euro die Fiskalkrise nach der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands dank des vollen Einsatzes der EZB im Laufe der Zeit gut überstanden.
Jedoch stand bis zuletzt noch eine zentrale Frage im Raum, die beantwortet werden musste: Kann die EZB die innere Stabilität wahren, so dass die Gemeinschaftswährung langfristig bestehen kann? Innerhalb der ersten 23 Jahre nach der Einführung des Euro war die Inflation im gemeinsamen Währungsgebiet gering. Man kann behaupten, dass die Väter des Euro alles getan haben und die institutionellen Rahmenbedingungen so gesetzt waren, dass die innere Stabilität gegeben war. Doch eine reale Bewährungsprobe für die EZB stand noch aus. Diese kam mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Die massiv steigenden Öl- und Nahrungsmittelpreise führten zu einer so hohen Inflation, wie Europa sie seit 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Aufgrund der Heterogenität des Stabilitätsgedankens in den verschiedenen Ländern hätte man erwarten können, dass die EZB eine halbherzige Politik zur Inflationsbekämpfung betreiben würde. Italien beispielsweis hat immer eine hohe Teuerung toleriert. Doch das rigorose Vorgehen der lateinameri-
kanischen Länder wie Brasilien oder Chile und der Federal Reserve gegen die Inflation wurde weltweit begrüßt. Schließlich folgte die EZB, getrieben durch die nördlichen Länder des Euroraums, ebenfalls dieser Politik. Damit hat die Notenbank bewiesen, dass sie eine erfolgreiche Politik gegen die Inflation verfolgen kann. Die institutionellen Rahmenbedingungen für eine solide Gemeinschaftswährung erweisen sich also als effizient.
Die Väter des Euro, vor allem Helmut Kohl und François Mitterrand, waren große Europäer und standen voll hinter der Gemeinschaftswährung. Die politische Unterstützung für den Euro hat seit der Griechenland-Krise jedoch aus verschiedenen Gründen abgenommen. Zuletzt ließ sich das während der Parlamentswahl in Italien 2022 beobachten. Die rechtspopulistische Partei „Fratelli d‘Italia“ schürte antieuropäische Stimmungen und propagierte ein „Italy first“. Doch nachdem die Regierung von Giorgia Meloni vereidigt war, verschwand diese antieuropäische Stimmung plötzlich wieder. Das kann nicht nur daran liegen, dass Italien viel Geld aus dem Next-Generation-Fonds der EU bekommen will, sondern ist auch zu großen Teilen im Ukraine-Krieg begründet. Die russische Invasion hat nicht nur die „hirntote“ Nato revitalisiert, sondern auch die politische Kohäsion innerhalb der EU verstärkt: Jedes einzelne Land ist zu klein, um eine internationale Herausforderung zu bewältigen, aber eine Gemeinschaft kann dies schon. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, muss aber immer wieder neu erlebt werden. Der politische Rückhalt für die EU beziehungsweise die Gemeinschaftswährung ist somit enorm ge-
stiegen.
Für hartgesottene Skeptiker freilich ist immer noch eine Frage aus der Theorie des optimalen Währungsraums ungeklärt: Der Euroraum ist nicht optimal für eine einzige Währung, da ein Land keine fiskalische Unterstützung erhält, falls es notwendig sein sollte. Das könnte zum Scheitern des Währungsgebiets führen. Dieser fiskalische Aspekt ist seit Herbst 2021 zum Teil mit dem Next-Generation-Fonds der EU – eine Reaktion auf die Coronakrise – gelöst worden. Es ist zwar noch keine Fiskalunion vereinbart, doch die Vergemeinschaftung von Schulden ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung. Damit könnten langfristig alle Bedenken gegen den Euro weitgehend ausgeräumt werden.
„Money is coming back“
Wird die Gemeinschaftswährung nach all diesen bestandenen Bewährungsproben jedoch wieder auf 1,40 gegenüber dem Dollar steigen, also auf das Niveau während der Griechenlandkrise beziehungsweise vor der Einführung der Negativzinspolitik? Der realwirtschaftliche Wechselkurs des Euro – ein Index, der monatlich von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel berechnet wird – lag 2009 bei 115 und beläuft sich heute auf 98. In diesem Zeitraum war die Inflation im gemeinsamen Währungsgebiet jedoch nicht höher als in den USA, und auch die Produktivität entwickelte sich normal. Die reale Abwertung des Euro ist daher ökonomisch nicht zu erklären. Mit dem Abschied von der Negativzinspolitik dürfte auch das in diesem Zeitraum abgeflossene Kapital – Schätzungen gehen von etwa vier Billionen Euro aus – wieder in das gemeinsame Währungsgebiet zurückfließen. „Money is coming home“ wird momentan am Devisenmarkt herumgereicht. Aus diesen Gründen ist ein Wechselkurs 1,40 nicht unrealistisch. Schließlich ist es schon einmal vorgekommen, dass der Wert der Gemeinschaftswährung binnen eines Jahres um rund 25 Prozent gestiegen ist, und zwar von März 2002 bis März 2003, also ebenfalls von einem wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Niveau. Die Situation ist heute ähnlich wie damals.
Ist diese Bewegung schon eingeleitet worden? Kurzfristige ökonomische Argumente sprechen jedenfalls dafür: Der Finanzmarkt preist eine Zinswende und eine milde Rezession in den USA ein, während der Euroraum eine Rezession in diesem Jahr wohl vermeiden kann. Diese optimistische Sicht für das gemeinsame Währungsgebiet liegt vor allem daran, dass die Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs viel besser als erwartet bewältigt wurde. Ein langfristiger und zuverlässiger Indikator zeigt dies auch bereits an: die Renditedifferenz zwischen der 10-jährigen US- und der entsprechenden deutschen Staatsanleihe hat sich zugunsten des Euro gewendet.
*) Xueming Song ist Chief Currency
Strategist der DWS.