Zinsinversion deutet auf Rezession im Herbst hin
Technische Analyse
Zinsinversion deutet auf Rezession im Herbst hin
Von Robert Rethfeld*)
Die Inversion der US-Zinsstrukturkurve zehn Jahre minus drei Monate hat ein neues Tief erzielt. Am 4. Mai unterbot sie mit einem Wert von −1,92 Prozentpunkten das Tief vom November 1973 (−1,86 Prozentpunkte). Damit bleibt nur noch die Inversion von Anfang der 1980er Jahre (−3,71 Prozentpunkte) unerreicht. Das Thema inverse Zinsstruktur dürfte jedem bekannt sein, der sich mit den Finanzmärkten beschäftigt. Dies war vor 15 Jahren anders. Der im Vorfeld der Finanzkrise aufgetretenen Inversion wurde wenig Aufmerksamkeit zuteil. Dies hatte seinen Grund in einer zuversichtlichen Marktstimmung. Die Liquidität sei derart hoch, so hieß es damals, dass der Markt kein Problem damit hätte, mögliche Ausfälle zu kompensieren. Die damalige Stimmungslage lässt sich anhand von Umfragedaten der US-Börsenbriefschreiber (Investors Intelligence) oder der US-Retail-Investoren (AAII) nachvollziehen.
Im Gegensatz dazu sah im dunklen Finanzherbst 2022 alle Welt eine große Rezession auf die Märkte zurollen, die im ersten Quartal 2023 beginnen sollte. Dies geschah nicht, aber die Inversion der Zinsstruktur passte als Puzzlestück ins Bild. Das Sentiment erholte sich seit dem Herbst-2022-Tief nur wenig.
Eine inverse Zinsstrukturkurve ist ein Phänomen, bei dem die langfristigen Zinssätze niedriger sind als die kurzfristigen Zinssätze. Dies ist das Gegenteil der normalen Zinsstrukturkurve, bei der die langfristigen Zinssätze typischerweise höher sind als die kurzfristigen Zinssätze. Die Zinsstrukturkurve gilt als invertiert, wenn die Rendite einer langfristigen Anleihe, wie der zehnjährigen Staatsanleihe, niedriger ist als die Rendite einer kurzfristigen Anleihe, wie der dreimonatigen Staatsanleihe. Investoren verlangen höhere Renditen für kurzfristige Anlagen als für langfristige Anlagen.
Eine invertierte Zinsstrukturkurve wird oft als Warnsignal für eine bevorstehende wirtschaftliche Abschwächung oder Rezession angesehen. Dies liegt daran, dass eine invertierte Zinsstrukturkurve typischerweise auftritt, wenn Investoren unsicher über die zukünftigen wirtschaftlichen Aussichten sind und die Sicherheit von langfristigen Anlagen suchen, was die Rendite auf diese Anlagen senkt. Gleichzeitig können die kurzfristigen Zinssätze aufgrund geldpolitischer Entscheidungen der Zentralbank höher sein, wie z. B. der Anhebung des Leitzinses zur Kontrolle der Inflation.
Derzeit kaufen Investoren Anleihen am langen Ende in Erwartung einer wirtschaftlichen Abschwächung (die zehnjährige Rendite fällt), während die Fed die Zinsen am kurzen Ende zwecks Inflationsbekämpfung hochhält. Viel extremer kann die Spanne kaum noch werden. Denn einerseits scheint die Fed ihren Zinserhöhungszyklus beendet zu haben, und andererseits hat die Wette der Spekulanten auf eine steigende zehnjährige US-Rendite ihr Maximum aus dem Jahr 2018 erreicht.
Hohe Trefferquote
Historisch gesehen hat eine invertierte Zinsstrukturkurve oft Rezessionen vorweggenommen, einschließlich der letzten sieben Rezessionen in den USA. Eine invertierte Zinsstrukturkurve ist jedoch kein unfehlbarer Indikator. Es gab Fälle, in denen sie nicht zu einer Rezession geführt hat. Als Beispiel dient der Herbst des Jahres 1966, als nach einer Inversion von −0,46 Prozentpunkten eine Rezession ausblieb. Allerdings war die damalige Inversion gering.
Wie viele Monate vergehen nach einer ersten Inversion, bevor eine US-Rezession beginnt? Wir haben uns die US-Zinsstruktur-Inversionen in fünf unterschiedlichen Beziehungspaaren angeschaut: zehn Jahre minus zwei Jahre, zehn Jahre minus drei Monate, dreißig Jahre minus zwei Jahre, dreißig Jahre minus drei Monate und zehn Jahre minus fünf Jahre. Maximale Wartezeiten sind in keiner dieser Beziehungen bisher erreicht. Allerdings werden die durchschnittlichen Wartezeiten in vier der fünf Zinspaare übertroffen – nur bei zehn Jahren minus drei Monaten noch nicht. Dort wären noch vier Monate zu gehen. Man kann – wie erläutert – den Beginn einer Inversion als rechnerischen Bezugspunkt annehmen. Es gibt weitere Möglichkeiten, denn sowohl das Maximum als auch das Ende einer Inversion könnten interessant sein, um einem Rezessionsbeginn auf die Spur zu kommen.
Im Zinspaar zehn Jahre minus drei Monate vergehen vom Beginn der Inversion bis zum Rezessionsbeginn durchschnittlich neun Monate, vom Maximum der Inversion sind es sieben Monate. Das Ende der Inversion fällt durchschnittlich bereits in die Rezession hinein. Wäre jetzt das Inversionsmaximum erreicht worden, dann würde der Durchschnittswert auf den November 2023 als Rezessionsbeginn verweisen. Es gibt allerdings eine erhebliche Varianz, was den tatsächlichen Eintrittszeitpunkt betrifft.
*) Robert Rethfeld ist Herausgeber des handelstäglichen Börsenbriefs Wellenreiter-Invest.