Kapitalmarktforschung

Vermögens­ungleichheit – Motivations­treiber oder Anlass zur Frustration?

Die Vermögen privater Haushalte sind in Europa unterschiedlich verteilt. In Ländern mit höherer Ungleichheit ist ein größerer Anteil der Bevölkerung davon überzeugt, dass Chancengleichheit besteht und die Menschen eine angemessene Bezahlung erhalten.

Vermögens­ungleichheit – Motivations­treiber oder Anlass zur Frustration?

Die Vermögensungleichheit privater Haushalte ist innerhalb Europas sehr unterschiedlich ausgeprägt. Unabhängig vom verwendeten Maßstab gehört Deutschland zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit. In einer aktuellen Forschungsarbeit mit Thomas Jansson und Yigitcan Karabulut (IMFS Working Paper 161) haben wir eine überraschende Übereinstimmung aufgedeckt: In Ländern mit höherer Ungleichheit ist ein größerer Anteil der Bevölkerung davon überzeugt, dass Chancengleichheit besteht und die Menschen eine angemessene Bezahlung erhalten. Diese positive Einschätzung teilen jedoch nur diejenigen, die einen Hochschulabschluss vorweisen können, während sich bei geringer Gebildeten kein signifikantes Muster feststellen lässt.

Daraus lässt sich die Frage ableiten, ob eine höhere Vermögensungleichheit bei Menschen mit höherer Bildung zu der Einsicht führt, dass das System gerecht ist, und sie motiviert, Vermögen aufzubauen. Im Gegensatz dazu ließen sich weniger Gebildete davon entmutigen und würden am Ende abgehängt, während gleichzeitig die Vermögensungleichheit wächst und soziale Spannungen zunehmen. Welche Schlüsse sollte die Politik daraus ziehen, oder ist dies eine Tatsache, die wir schlicht akzeptieren müssen? Möglicherweise könnte es sich auch um eine zufällige Übereinstimmung handeln, für die sich auch viele weitere Beispiele anführen lassen.

Zufall oder Korrelation?

Vergleicht man den Anteil des Gesamtvermögens der reichsten 10% aller Haushalte mit dem Anteil der Personen, die den Aussagen über Chancengleichheit und Fairness zustimmen (siehe Grafik), beweist das nicht, dass die Vermögensungleichheit ausschlaggebend für die Einschätzung ist. Genauso gut können diesem Phänomen unbeobachtbare länderspezifische Faktoren zugrundeliegen, die dazu führen, dass die Menschen mit dem System zufrieden sind, andererseits aber Ungleichheit erzeugen. Ebenso könnten die Gebildeten die bestehenden institutionellen und politischen Strukturen, die zu einer größeren Vermögensungleichheit führen, erst geschaffen haben und nun bestrebt sein, dieses System aufrechtzuerhalten­. Möglicherweise haben wohlhabendere Menschen in Ländern mit großer Ungleichheit zwar höhere Bildungschancen, sind aber gleichzeitig davon überzeugt, dass diese Chancen allen offenstehen und das System gerecht ist. Vielleicht zieht es die Gebildeten in Regionen mit höherer Vermögensungleichheit, die ihnen aber auch größere Chancen bieten, und sie sind daher zufrieden. Die Möglichkeiten für eine Scheinkorrelation scheinen unbegrenzt und sind lediglich beschränkt durch unsere Vorstellungskraft und unseren Einfallsreichtum.

Feldexperiment zur Bildung

Wie könnte ein Feldexperiment aussehen, das alle störenden Faktoren ausschließt und gleichzeitig die Rolle der Wahrnehmung der Vermögensungleichheit auf die Risikobereitschaft der Haushalte und die mittel- und langfristigen Vermögensergebnisse herausfiltert? Ein solches Experiment würde eine drastische Vorgehensweise erfordern, denn wir müssten dafür Personen, die sich – abgesehen vom Bildungsniveau – so ähnlich wie möglich sind, nach dem Zufallsprinzip auf – außer im Ausmaß der Vermögensungleichheit – homogene Regionen verteilen. 10 bis 20 Jahre später würden wir untersuchen, ob die gebildeten Menschen, die wir den Regionen mit der größten Ungleichheit zugewiesen haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit Risiken im Beruf und in ihrem Anlageportfolio eingegangen sind und sich vielleicht den Traum vom Eigenheim erfüllt haben und somit ein höheres Vermögensniveau und eine höhere Position in der Vermögensverteilung erreichen konnten. Doch wer sollte in einem demokratischen Land, in dem jeder Mensch seinen Wohnort frei wählen kann und wo sich Menschen und Regionen in vielerlei Hinsicht unterscheiden, ein solches Experiment vorschlagen, genehmigen oder gar finanzieren?

Glücklicherweise können wir uns einem solchen Vorgehen mit Daten aus Schweden annähern. Weitere relevante Unterschiede zwischen Menschen und Regionen werden dabei mittels ökonometrischer Methoden berücksichtigt. Diese Daten stammen aus einem Programm zur Zuweisung von Flüchtlingen in Schweden aus den Jahren 1987 bis 1991, das die Überforderung von Großstädten und die Entstehung von Engpässen auf dem Arbeitsmarkt verhindern sollte. Die Verantwortlichen verteilten Flüchtlinge nach dem Zufallsprinzip auf verschiedene Gemeinden in ganz Schweden, sofern dort Unterkünfte frei waren. Dabei achteten sie auf die familiäre Situation, das Bildungsniveau und die Muttersprache der Flüchtlinge. Für die Flüchtlinge war es per Definition der Beginn ihrer wirtschaftlichen Teilhabe in Schweden.

Diese Daten standen auch für die Forschung zur Verfügung; Interviews wurden nicht durchgeführt. Der Fokus der Untersuchung lag dabei auf denjenigen, die als Mittellose die zugewiesenen Wohnungen annahmen und die von der Regierung angebotenen Integrationsmöglichkeiten nutzten. Im Durchschnitt blieben sie mehr als acht Jahre in diesen Gemeinden wohnen und wurden auch nach einem Umzug weiterhin von der Statistik erfasst. Für all diese Personen lassen sich 10 bis 20 Jahre später das Niveau und die Zusammensetzung ihres Vermögens ermitteln. Auch die jeweiligen Herkunftsländer und eine lange Liste von Haushaltsmerkmalen, die für ihr Vermögen und Anlageverhalten relevant sind, sind verfügbar. Darüber hinaus kennen wir die Gemeinden der Erstzuweisung inklusive wichtiger Merkmale wie des durchschnittlichen Haushaltseinkommens, des Vermögens der Haushalte und der Einkommensungleichheit zum Zeitpunkt der Zuweisung. Aufgrund dieses umfangreichen Datensatzes können wir das Problem ausräumen, dass sich die Flüchtlinge, auch wenn sie anfangs alle mittellos waren, in vielerlei Hinsicht unterschieden und auch die Gemeinden heterogene Strukturen aufwiesen.

Die Untersuchung zeigt, dass gebildete Menschen, die an ihrem Wohnort einer größeren Vermögensungleichheit ausgesetzt waren, 10 bis 20 Jahre später mit höherer Wahrscheinlichkeit vergleichsweise erfolgreicher waren. Deutlich wird dies im größeren Vermögen, einer höheren Position in der Vermögensverteilung innerhalb ihrer Alterskohorte und einem höheren Vermögen im Vergleich zum Einkommen. Sie waren auch eher bereit, Risiken einzugehen, und zwar in Form von beruflicher Selbständigkeit oder bei ihren Vermögensentscheidungen zu Wertpapierbesitz und Wohneigentum. Wichtig ist, dass diese Effekte nur in den Regionen mit einer höheren Vermögensmobilität, also den obersten 50% der Gemeinden, signifikant waren – nicht jedoch in den übrigen.

Gebildet und wohlhabend

Wieso sind gebildete Menschen am Ende wohlhabender, wenn sie zu Beginn ihrer ökonomischen Entscheidungen einer größeren Vermögensungleichheit ausgesetzt waren? Die Betrachtung geht dabei über den Aspekt höherer Risikobereitschaft hinaus. Überraschenderweise scheint sich die Erfahrung einer größeren Vermögensungleichheit bei gebildeten Menschen nicht in ihrer späteren Position auf dem Arbeitsmarkt widerzuspiegeln: Einer größeren Vermögensungleichheit ausgesetzt zu sein führt 10 bis 15 Jahre später weder zu einem höheren Arbeitseinkommen noch zu einem geringeren Risiko, arbeitslos zu werden. Diese Erfahrung scheint die Flüchtlinge auch nicht bei ihrer Entscheidung zu beeinflussen, ob und wie viel zusätzliche Bildung sie erwerben, nachdem sie Vermögensungleichheit in ihrem Umfeld erlebt haben. Orientieren sich die Gebildeten an den riskanten Entscheidungen der wohlhabenderen Menschen in ihrem Umfeld und ahmen sie nach? Belege für eine solche Nachahmung lassen sich nicht ableiten, ganz zu schweigen davon, dass die Menschen von denjenigen an der Spitze lernen: Die Diversifizierung und die Umschichtung von Portfolios scheinen nicht mit dem Phänomen der Ungleichheit in Beziehung zu stehen. Es lassen sich nicht einmal Hinweise darauf finden, dass die gebildeten Flüchtlinge sich die gebildeten Wohlhabenden als Vorbild nehmen. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, dass gebildete Menschen in einem Umfeld, das Mobilität ermöglicht, größere Vermögensungleichheit als Chance wahrnehmen. Es steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in ihrer Selbständigkeit und bei risikoreichen Finanz- und Immobilieninvestitionen erfolgreich sind und schließlich ein höheres Vermögensniveau erreichen.

Frage der Wahrnehmung

Bei weniger gebildeten Menschen sind die Aussichten weniger vielversprechend. Dieser Effekt ist nicht feststellbar – unabhängig davon, welche Erfahrungen sie in ihrem Umfeld mit Vermögensmobilität gemacht haben. Eine Erklärung könnte sein, dass sie Wohlstandsgefälle und -mobilität nicht richtig wahrnehmen. Doch selbst wenn dies der Fall ist, sind sie unter Umständen nicht imstande, risikoreiche Chancen zu nutzen, um ein höheres Vermögensniveau zu erreichen.

Menschen sind nicht unbedingt in der Lage, Ungleichheit um sich herum präzise wahrzunehmen. Jüngste Forschungen zur Einkommensungleichheit in den Bereichen Wahrnehmung, Kognition, Entwicklungs- und Sozialpsychologie haben untersucht, wie Menschen in ihrer Umgebung Hinweise auf Ungleichheit erkennen und verarbeiten können: Sie ordnen Gleichaltrige nach ihrer sozialen Klasse ein, entnehmen Informationen aus Zeitungen und haben einen Blick für die baulichen Gegebenheiten in ihrer Umgebung. Finanzielle Bildung wird durch soziale Interaktion mit Gleichaltrigen vermittelt, wie wir in einer früheren Arbeit belegen konnten. Gerade Schweden ist eine sehr transparente Gesellschaft, in der die Lokalzeitungen oft über das Vermögen der Reichen berichten. Geringer Gebildete haben allerdings möglicherweise größere Schwierigkeiten, diese Signale wahrzunehmen, da ihre Altersgenossen wahrscheinlich schlechter informiert sind und sie seltener einheimische Medien nutzen. Ihre Wahrnehmung von Vermögensungleichheit ist daher stärker auf Merkmale wie Bauweise und Wohnsituation angewiesen.

Rendite spiegelt Bildung

Entscheidender als die Wahrnehmung der Vermögensungleichheit ist die Frage, ob geringer Gebildete risikoreiche Berufs- und Portfolioentscheidungen effektiv nutzen können, um ihre eigene Position in der Vermögensverteilung zu verbessern. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status, also mit geringer Bildung und niedrigem Einkommen, tendenziell pessimistischer sind, was die Rendite von Vermögenswerten angeht. Eine geringere Bildung ist demnach auch mit geringeren erzielten Renditen verbunden.

Geht es bei den politischen Implikationen also ausschließlich um Bildung im Allgemeinen? Lässt sich die Gefahr wachsender Vermögensungleichheit und sozialer Spannungen eindämmen, indem die allgemeine Schulpflicht verlängert wird? Zahlreiche aktuelle Forschungsergebnisse deuten eher darauf hin, dass der erreichte Bildungsstand und die erzielte Rendite des Vermögens und seiner Komponenten auf einen grundlegenderen Faktor zurückzuführen sind: die angeborene Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, und damit letzten Endes auch, mit Geld umzugehen.

Sollen geringer Gebildete dazu befähigt werden, auf größere Vermögensungleichheit zu reagieren, indem sie sich bietende Gelegenheiten nutzen können, um Vermögen aufzubauen, müssen wir einen mehrgleisigen Ansatz verfolgen: Geringer Gebildete müssen über die Möglichkeiten der Vermögensbildung informiert werden. Sie benötigen Beratung, wie sie diese nutzen können, ohne an den Risiken zu scheitern, und sie müssen auf einfachere Finanzprodukte zurückgreifen können und für den Fall, dass sie sich selbst nicht dafür entscheiden, müssen sie von automatisch aktivierten Varianten profitieren.

Wenn wachsende Vermögensungleichheit den sozialen Zusammenhalt bedroht, weil geringer Gebildete abgehängt werden, während andere den Gipfel des Erfolgs erklimmen, bietet ein solches Vorgehen eine Alternative oder zumindest eine Ergänzung zu Umverteilungsprogrammen und Vermögensteuern. Die Besteuerung von Vermögen erzeugt nicht nur politischen Widerstand, sondern setzt auch Fehlanreize für eine Risikobereitschaft, die mit Erfolg belohnt wird. Weniger gebildete Menschen in die Lage zu versetzen, finanzielle Entscheidungen zu treffen, und sie dabei zu unterstützen, schafft dagegen Anreize für sie, ihr finanzielles Wohlergehen zu verbessern. Gleichzeitig könnte eine Demokratisierung der Finanzen dem Finanzsektor neue Wachstumschancen eröffnen.

Von Michael Haliassos