Bankenregulierung

Höhere Kapital­anforde­rungen an Banken quasi durch die Hinter­tür

Ein EU-Diskussionspapier über neuartige Kapitalpuffer für Banken sorgt für Unruhe in der Branche. Ziel der Ansätze ist es, den nationalen Aufsichtsbehörden einen leichteren Eingriff zu ermöglichen.

Höhere Kapital­anforde­rungen an Banken quasi durch die Hinter­tür

Ein 20-seitiges Diskussionspapier sorgt für Aufregung in der Brüsseler Bankenlobby. Mit dem als „Non-Paper“ qualifizierten Dokument hat die EU-Kommission die Schlussverhandlungen zum EU-Bankenpaket mit einer umstrittenen Überlegung zur makroprudenziellen Kapitalsteuerung angeheizt. Ein heißes Thema, denn es geht darum, dass die Länder die Kapitalausstattung der Banken schneller und einfacher hochsetzen können. Dazu soll der schon lange bestehende antizyklische Kapitalpuffer flexibler gestaltet werden. Das Instrument sei zu starr.

Aufseiten der Bankenbranche hat der Vorstoß der EU-Kommission dem Vernehmen nach „für Unruhe gesorgt“. Laut übereinstimmenden Schilderungen aus Teilnehmerkreisen hat sich die EU-Kommission deshalb von ihrem ursprünglichen Plan verabschiedet, unabhängig vom Bankenpaket Basel III zu makroprudentiellen Maßnahmen, wozu die Kapitalpuffer zählen, etwas vorzulegen. Der EU-Kommission geht vor den Europawahlen im Frühjahr 2024 schlicht die Zeit aus.

Ihr neues Anliegen zur Krisen­vorsorge über einen erweiterten Kapitalpuffer bringt sie nun durch die Hintertür in die Schlussver­handlungen zu Basel III ein. Sie habe es allerdings versäumt, dies rechtzeitig zu tun, wird kritisiert. Im Non-Paper unterstreicht die EU-Kom­mission, dass die Einführung des zusätzlichen Kapitalpuffers auf freiwilliger Basis gedacht ist – wie das auch schon bisher bei dem antizyklischen Kapitalpuffer (CCyB) und dem Systemrisikopuffer (SyRB) der Fall ist. Es liegt also stets im Ermessen der nationalen Behörden, einen Kapitalpuffer einzuführen. Doch mancher in der Branche befürchtet, dass eine Änderung zu einer dauerhaft höheren Kapitalbelastung führen könnte.

Länderspezifische Maßnahme

Das System der Kapitalpuffer ist europaweit schon seit Jahren im Einsatz und wird unterschiedlich genutzt. „Der antizyklische Kapitalpuffer wird von den nationalen Aufsichtsbehörden festgelegt, da das Instrument auch den nationalen Gegebenheiten entsprechen soll“, erläutert Christian Schiele, Partner der Beratungsgesellschaft ZEB. Die Kritik der deutschen Branchenverbände beim Einsatz der beiden Puffer vor einem Jahr war dennoch groß. Die Argumente lauten: falsches Timing und zu harte Maßnahme. „Aus Sicht der Banken ist es verständlich, dass sie einen stufenweisen Einsatz befürworten oder eine Begrenzung auf das Neugeschäft. Das Instrument ist allerdings anders konstruiert“, sagt Schiele.

In der Sache ist der Nutzen der Kapitalpuffer allerdings grundsätzlich unstrittig. „Das Instrument macht Sinn, da Risiken nie 100-prozentig zu quantifizieren sind und es darum geht, einen Puffer für schlechte Zeiten aufzubauen“, sagt Martin Neisen, Partner bei PwC.

Mit der jetzt in Brüssel diskutierten Flexibilisierung des antizyklischen Kapitalpuffers und der Idee, auch in einem neutralen Umfeld eine positive Rate zuzulassen, unabhängig von zyklischen Risiken, geht die Regulierung Branchenvertretern entschieden zu weit.

Es wird zudem bezweifelt, dass der Puffer schon in seiner jetzt bestehenden Form geeignet sei, antizyklisch zu wirken. Kritisiert wird auch, dass es in dem Non-Paper keine fundierte Begründung gebe und keine Impact-Studie durchgeführt worden sei.

Mit dem neuen Diskussionspapier wird darauf abgezielt, dass die Aufsichtsbehörden aktiver vom Kapitalpuffer Gebrauch machen und das Instrument einfacher nutzen können. Das soll über veränderte Kennzahlen und neue Fristen gehen. Mit den heutigen Puffern haben die Banken sehr viel Zeit, Kapital aufzubauen. Das soll geändert werden, damit man schneller reagieren könne. Für viele in der Branche stellt sich die Frage, wie das funktionieren soll und ob eine Bank laufend damit rechnen müsse, dass die Aufsicht den Kapitalpuffer ändere.

Kritisch wird zudem bewertet, dass künftig laut Non-Paper bei unerwarteten Schocks mit den Kapitalpuffern reagiert werden könnte. Es sei aber schwierig zu sagen, welche Art von Schocks erwartet und welche unerwartet seien, heißt es in Finanzkreisen. Insgesamt könnte der Ansatz zu einer noch stärkeren Fragmentierung der Regulierung führen, da die Länder das Instrument unterschiedlich nutzen dürften.

Als die Pandemie 2020 ausbrach, waren die Kapitalpuffer der Banken trotz einer langen Phase des Wirtschaftswachstums eher klein. Damit gab es keinen Spielraum für eine makroprudenzielle Reaktion durch eine Senkung der Puffer. Dieser Nachteil wurde durch die massiven fiskalischen und monetären Unterstützungsmaßnahmen ausgeglichen. Besser wäre es gewesen, wenn man in der Situation auch über den Kapitalpuffer hätte steuern können.

Die Flexibilität des bestehenden Puffers wird unter anderem auch dadurch behindert, dass eine Aufstockung im Wesentlichen an dem Indikator Kreditwachstum zu BIP festgemacht wird. Eine Klarstellung, dass die Kennzahl Kredit/BIP-Lücke nur eines von mehreren Kriterien bei der Festlegung des Puffers ist (d. h. Verringerung der Bedeutung des Indikators), wäre aus Sicht der Autoren des Non-Papers sinnvoll. In dem Zusammenhang sollte der Europäische Ausschuss für Systemrisiken seine Empfehlung zum Indikator aktualisieren.

Außerdem müssen heute außergewöhnliche Umstände vorliegen, wenn man den Puffer schneller in Gang setzen wollte; bislang ist eine Frist von zwölf Monaten von der Ankündigung bis zum Vollzug vorgesehen. Rasches Handeln sei so nicht möglich. Das einfachste wäre, den Verweis auf außergewöhnliche Um-stände zu streichen. Dann könnten Aufseher kürzere Umsetzungsfristen festlegen, wenn sie dies für nötig erachten, „während den betroffenen Instituten immer noch ein angemessener Zeitrahmen für den Aufbau des Puffers zur Verfügung steht“, heißt es in dem Papier. Drittens sei nicht hinreichend klar, ob der Puffer bei einem Abschwung auch außerhalb des vierteljährlichen Überprüfungsrhythmus freigegeben würde.

Positiv-neutraler Puffer

Aus Sicht der Autoren sollte daher ausdrücklich die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Aufsichtsbehörden einen antizyklischen Kapitalpuffer festlegen können, auch wenn die konjunkturellen Systemrisiken nicht erhöht sind. Die Rede ist daher von einem positiv-neutralen antizyklischen Kapitalpuffer, also ein Wert über null, auch wenn die zyklischen Systemrisiken noch nicht erhöht sind.

Als ein weiteres „Spielzeug“ der Aufseher wird der Systemrisikopuffer (SyRB) angesehen. Das Instrument ist für Risiken vorgesehen, die nicht durch den CCyB und andere Puffer abgedeckt sind. Ausdrücklich geht es zudem um bestimmte Sektoren. Um die Flexibilität des SyRB zu erhöhen und das Instrument zur Bekämpfung eines breiten Spektrums von Systemrisiken zu nutzen, wurde in der CRD V die Bedingung gestrichen, dass der SyRB nur zur Bekämpfung struktureller Systemrisiken genutzt werden kann.

Eine Reihe von Behörden hat einen Puffer aktiviert, um zyklischen Systemrisiken im Immobiliensektor zu begegnen. Gleichwohl fehle es an einer Klarstellung, dass der sektorale SyRB das Instrument der Wahl sein kann, um zyklische Systemrisiken in bestimmten Sektoren anzugehen, auch in Ergänzung zu einem antizyklischen Systemrisikopuffer, heißt es in dem Diskussionspapier.

Beim Einsatz des Systemrisikopuffers gibt es in der EU große Unterschiede sowohl der Höhe nach als auch mit Blick auf den Einsatzzweck. Einen sektoralen Kapitalpuffer gibt es in Deutschland mit 2% für Wohnimmobilienkredite und beispielsweise auch in Belgien (9%), Litauen (2%) und Slowenien (1%). Andere Aufsichtsbehörden nutzen dieses Instrument generell für inländische Kredite wie beispielsweise Norwegen mit 4,5% oder für alle Zwecke wie etwa Schweden mit 3%.

Am Beispiel des Systemrisikopuffer lässt sich zeigen, wie schwer die Wirkung abzuschätzen ist. Dass ein Kapitalpuffer belastend wirkt, ist unstrittig. Allerdings dürfte er nicht der wichtigste Grund für die rückläufige Kreditnachfrage in Deutschland sein. Im Bereich der Wohnimmobilien, in dem der Systemrisikopuffer greift, ist die Nachfrage stark zurückgegangen. Aus Sicht der Branche stellt sich aber die Frage, was die Aufsicht mit dem Instrument erreichen will, wenn die gewünschte Reaktion schon eingetreten sei.

Einsatz unter Vorbehalt

Trotz der Unklarheiten in den bestehenden Vorschriften „haben die Behörden in sieben Mitgliedstaaten eine weite rechtliche Auslegung der CRD vorgenommen, um positive Sätze für die CCyB festzulegen, auch wenn die zyklischen Systemrisiken noch nicht erhöht sind“, heißt es in dem Non-Paper. Damit sei das Instrument eines positiven, zyklusneutralen antizyklischen Kapitalpuffers „in unkoordinierter Weise umgesetzt“ worden. Zwar habe der Baseler Ausschuss auch auf Basis der bestehenden Regeln die Vorteile einer proaktiven Anwendung anerkannt und festgestellt, dass er die Möglichkeit eines positiven, zyklusneutralen CCyB-Satzes unterstützt.

Doch das Ziel in der EU ist es jetzt, eine einheitlichere Lösung ohne rechtliche Risiken zu schaffen. Der aktuelle Rechtsrahmen sei im Vergleich zur Praxis veraltet, entspreche nicht mehr den Bedürfnissen der Mitgliedstaaten und müsse präzisiert werden, heißt es im Diskussionspapier der EU.

Aufsicht über Aufseher

Für PwC-Experte Neisen ist es angesichts der Diskussion wichtig, dass es eine Aufsicht über die Aufseher geben sollte, um zu entscheiden, wann der Kapitalpuffer wieder reduziert oder aufgelöst wird. „Mit dem EU-Vorstoß muss eine deutliche Erhöhung der Transparenz einhergehen, denn die Aufseher werden selbst nicht beaufsichtigt.“ Die Entscheidungen seien häufig nicht transparent, und bei einer Flexibilisierung der Kapitalpuffer brauche man erst recht eine Instanz, an die sich die Banken wenden können.

Die Diskussion um einen neuen Kapitalpuffer hat Beobachter überrascht. Auch EU-Parlament und Rat wurden spät einbezogen. Damit entstand der Eindruck, dass die Frage außerhalb des parlamentarischen Prozesses behandelt werden soll. „Das Thema ist erst in letzter Minute in den Verhandlungen hinzugekommen“, sagt auch Neisen.

Die EU-Kommission dringt darauf, das Bankenpaket möglichst bis zum Sommer abzuschließen. Ihr wird daher ein Interesse nachgesagt, den Prozess nicht mit zusätzlichen Überlegungen in die Länge zu ziehen. „Alle wollen, dass das Paket abgeschlossen wird“, heißt es. „Die EU-Kommission hat nur einen Schuss frei“, sagt ein Beteiligter – soll heißen: Mit weiteren Überraschungen solcher Art ist in den Schlussverhandlungen zu Basel III eher nicht zu rechnen.

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