Aktuelle EU-Fiskalregeln „blauäugig“
Aktuelle EU-Fiskalregeln „blauäugig“
Finanzökonom Volker Wieland fordert mehr Konsequenz gegenüber Spitzenschuldnern
lz Frankfurt
Der Frankfurter Finanzwissenschaftler Volker Wieland hält wenig von „Europas neuen Fiskalregeln“. Sie seien nicht in der Lage, die zunehmende Staatsverschuldung im Euroraum auch nur annähernd die Stirn zu bieten, ist er überzeugt und verweist auf die Bewertung der Schuldenabbaupläne durch die EU-Kommission. Neue Mechanismen sollen die fiskalische Flexibilität der Eurostaaten erhöhen und gleichzeitig auf eine nachhaltige Finanzpolitik hinwirken, doch letztlich erwiesen sie sich als „nicht überzeugend“, wie er in einem Webinar des Kronberger Kreises darlegte.

Goethe-Universität Frankfurt
Rüge für die Niederlande
Die Transparenz hinsichtlich der nationalen fiskalischen Pläne sei zwar größer, doch die Anreize zum Wohlverhalten nur gering ausgeprägt. Der Umgang der EU mit dem neuen Instrumentarium zeigt seiner Ansicht nach auch eine gewisse Beißhemmung gegenüber großen Eurostaaten. Während die EU-Kommission etwa die Schuldenabbaupläne von Spitzenschuldner wie Italien und Frankreich, die im Moment mit 112 bzw. 137% der Wirtschaftsleistung (BIP) in der Kreide stehen, durchwinken, habe Brüssel den Niederlanden eine Rüge erteilt, die bei rund 45% liegen. Das Defizit und die Verschuldung steigen nach den Den Haager Plänen zwar leicht, bleiben aber innerhalb der Quotenziele. Wieland hält solches Vorgehen für „blauäugig“ und „realitätsfern“ und setze falsche Anreize.
Sorge um Hochrisikoländer
Das Problem: Bei den Schuldenplänen von Italien und Frankreich sinkt der Schuldenstand zwar – allerdings erst gegen Ende des Betrachtungszeitraums im Jahr 2038. Entsprechende Annahmen machen das möglich, selbst wenn die Lage am aktuellen Rand eher trostlos erscheint. Ein Blick in den eigenen fiskalischen Tragfähigkeitsreport hätte deutlich gemacht, dass man es hier mit „Hochrisikoländern“ zu tun habe, kritisiert Wieland. Er spricht sich deshalb für eine Reform aus, die künftig restriktiver wirkt. Denn bislang blieben hochverschuldete Länder stets auf ihrem Kurs. Während etwa die Schuldenquoten in Deutschland nach Krisen gefallen seien, sei das in Italien und Frankreich nicht der Fall gewesen.
Dass die Märkte angesichts dessen unruhig werden, sieht er durch eine EZB-Umfrage bestätigt. Darin wurden Anleger befragt, ob die Notenbank das Transmissionsschutz-Instrument der EZB (TPI) in nächster Zeit nutzen werde. Das TPI soll der EZB den Kauf von Euro-Anleihen ermöglichen, um damit aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Zinsaufschläge einzudämmen. Das wäre etwa der Fall, wenn die Staaten aufgrund exogener Schocks unter Druck geraten, oder Anleger in den Käuferstreik treten, weil sie Sorge haben, dass es zu einem Default kommt. Rund die Hälfte der Befragten, so Wieland, rechne inzwischen mit einem Einsatz innerhalb der nächsten zwölf Monaten.
Kein Musterknabe mehr
Auch Deutschland rutscht nach Ansicht von Wieland durch die neuen Finanzpläne samt „Sondervermögen“ wieder tiefer in die Verschuldung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) etwa rechnet mit einer Erhöhung der Schuldenquote von rund 62% auf etwa 75% bis 2030. Wieland bezweifelt allerdings die dabei unterstellte Wachstumswirkung, weil schon bisher die vorgesehenen Investitionssummen nicht komplett verausgabt worden seien. Es wäre besser gewesen, sich zunächst um Vereinfachungen der Gesetze und um Deregulierung zu kümmern, damit das Kreditvolumen auch sinnvoll eingesetzt werden könne.