NOTIERT IN WASHINGTON

Amerikas neue Normalität

Weil der Mensch bekanntlich ein Gewohnheitstier ist, hatten Psychologen und übrigens auch zahlreiche politische Experten vorausgesagt, dass nach US-Präsident Donald Trumps Amtsantritt dessen Entgleisungen, Interessenkonflikte und selbst...

Amerikas neue Normalität

Weil der Mensch bekanntlich ein Gewohnheitstier ist, hatten Psychologen und übrigens auch zahlreiche politische Experten vorausgesagt, dass nach US-Präsident Donald Trumps Amtsantritt dessen Entgleisungen, Interessenkonflikte und selbst Gesetzesverstöße allmählich die neue Norm sein würden. Amerikaner würden sich irgendwann über die Anmaßungen des Präsidenten, seiner Familie und jener, mit denen er sich umgeben hat, gar nicht mehr aufregen. Man werde mit den Schultern zucken, den Kopf schütteln und dann wieder zur Tagesordnung übergehen. Wie weit dieser Paradigmenwechsel nach 13 Monaten unter dem 45. Präsidenten schon gediehen ist, das illustrieren beispielhaft die jüngsten Probleme seines Schwiegersohns Jared Kushner. Am Dienstag wurde bekannt, dass dem jungen Immobilienunternehmer, den Trump zu einem seiner engsten Berater ernannt hatte, seine Sicherheitsfreigabe entzogen wurde. Seit über einem Jahr hatte der 37-Jährige nur eine vorübergehende Freigabe des Bundeskriminalamts FBI, während dieser Zeit aber Zugang zu Dokumenten, welche als “streng geheim” kategorisiert sind, weil sie die nationale Sicherheit betreffen. Nun darf er nur noch solche sehen, die als “geheim” markiert sind. Vergangenen Freitag hatte Trump noch erklärt, dass er seinem Stabschef John Kelly die Entscheidung überlassen würde. Der Präsident lobte zugleich den Ehemann seiner Tochter Ivanka in höchsten Tönen und verkündete selbstbewusst, dass der General in Sachen Kushner sicherlich “die richtige Entscheidung treffen wird”. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, und es hatte den Anschein, als sei der Fortbestand der höchsten Sicherheitsfreigabe bereits abgesprochen.Kelly hat die Dinge aber offenbar anders gesehen. Nachdem ein anderer Trump-Berater, Rob Porter, der ebenfalls mit einer temporären Freigabe streng geheime Papiere einsehen konnte, entlassen wurde, weil ihm seine zwei früheren Ehefrauen und eine Freundin vorwerfen, sie geschlagen zu haben, kündigte der Stabschef an, Tabula rasa machen zu wollen. Am Freitag, kurz nach dem selbstsicheren Auftritt des Präsidenten, erfuhr Kushner, dass er bis auf Weiteres keinen Zugang mehr zu Dokumenten haben wird, die als “streng geheim” eingestuft sind.Wie US-Medien unter Berufung auf Geheimdienstkreise berichten, habe die Hintergrundüberprüfung ein “riesiges Warnzeichen” zutage gefördert. Schließlich hatte der Unternehmer sich zwischen der Präsidentschaftswahl und der Vereidigung mehrmals mit Investoren im Nahen Osten getroffen, weil er dringend auf der Suche nach Geld für ein notleidendes Immobilienprojekt in Manhattan war. Nun wurde bekannt, dass mindestens vier Länder, nämlich Saudi-Arabien, China, die Vereinigten Arabischen Emirate und Mexiko, überlegt hatten, wie sie Kushner wegen dessen finanzieller Probleme politisch manipulieren konnten.Die Ironie der Diskussion besteht darin, dass es so weit gar nicht hätte kommen dürfen. Schließlich verstoßen die Berufung Kushners und der Trump-Tochter Ivanka für Regierungsämter gegen Paragraf 311 des US-Code. Der Paragraf untersagt unzweideutig die Ernennung von Familienmitgliedern in staatliche Positionen, womit der Präsident vom ersten Tag an rechtswidrig handelte und weder Kushner noch Ivanka Büros im Weißen Haus haben sollten.Da der Präsident an der Spitze der Regierung sitzt und somit der höchste Repräsentant der Exekutive ist, könnte höchstens die Androhung eines Amtsenthebungsverfahrens ihn zwingen umzudenken. Daran denken aber seine Parteifreunde im Kongress nicht, schon gar nicht wegen einer als “harmlos” erachteten Form von Vetternwirtschaft. Nach dem Entzug der Sicherheitsfreigabe betonte Trumps Sprecherin Sarah Sanders, dass Kushner weiterhin ein “wichtiger Teil unseres Teams sein wird” und seine Arbeit von der Herabstufung nicht beeinträchtigt werden würde.Das könnte man als Signal werten, dass der Präsident sich für die Bedenken des FBI gar nicht interessiert und seinem Schwiegersohn auch künftig alles zeigen wird. Wer sollte ihn schon bremsen? Das ist eben die neue Normalität in Trumps Amerika – zumindest aus Sicht des Präsidenten.