Europäische Handelspolitik

An den Stahlzöllen scheiden sich die Geister

Die ersten Reaktionen auf den Vorschlag der EU-Kommission, die heimische Stahlindustrie wegen der Überkapazitäten durch niedrigere Importkontingente und höhere Zölle vor billiger Konkurrenz aus Drittstaaten zu schützen, fallen erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aus

An den Stahlzöllen scheiden sich die Geister

An Europas Stahlzöllen scheiden sich die Geister

Lob der heimischen Industrie - Alarmstimmung in Großbritannien - Vorbehalte der Verarbeiter

hip/ab/fed London/Düsseldorf/Frankfurt

Der am Dienstag Nachmittag von der EU-Kommission präsentierte Vorschlag, die Kontingente für Stahleinfuhren quasi zu halbieren und den Zoll auf darüber hinausgehende Importe auf 50% zu verdoppeln, hat sowohl Beifall als auch scharfe Kritik ausgelöst.

Für die deutschen Stahlkocher ist die Entscheidung aus Brüssel von höchster Relevanz, verfügt die Bundesrepublik innerhalb der EU doch über die größte Stahlindustrie. „Mit den Vorschlägen für ein neues, wirksames Handelsschutzinstrument hat die Europäische Kommission ein starkes Signal gesetzt, das wir ausdrücklich unterstützen“, kommentiert Gunnar Groebler, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. „Das geplante Zollkontingentsystem ist ausgewogen und schafft die dringend benötigte Grundlage für fairen Wettbewerb.“ Die EU räume damit zentrale Hürden für Investitionen in die Dekarbonisierung aus dem Weg.

Anders als in den USA

Anders als die von den USA verhängten Zölle sei das vorgeschlagene Quotensystem „keine Abschottung des europäischen Marktes“. Vielmehr schaffe es einen fairen Ausgleich, bei dem die europäische Stahlproduktion geschützt werde, ohne die verarbeitende Industrie unverhältnismäßig zu belasten, so Groebler. Es gehe nicht nur um 80.000 direkte Arbeitsplätze, sondern um die industrielle Resilienz Deutschlands. „Jetzt kommt es darauf an, den vorliegenden Vorschlag zügig umzusetzen“, sagt der Salzgitter-Chef.

Ins gleiche Horn bläst Dennis Grimm, Vorstandschef von Deutschlands größtem Stahlproduzenten Thyssenkrupp Steel. „Die EU-Kommission hat eine wichtige Gesetzesinitiative für einen wirksamen Schutz der europäischen Stahlindustrie vor Dumping und globalen Überkapazitäten auf den Weg gebracht. Damit setzt sie einen der wichtigsten Pfeiler ihres Stahl-Aktionsplans von März 2025 um“, sagt Grimm und mahnt zugleich zur Eile.

Die IG Metall wertet den Vorschlag aus Brüssel als gute Nachricht für die Beschäftigten, fordert aber zugleich die Notwendigkeit eines ergänzenden industriepolitischen Ansatzes: „Handelspolitik allein ist kein Garant für das Überleben der europäischen Stahlindustrie und der Arbeitsplätze dort. Die Politik muss die Nachfrageseite durch Wachstumsimpulse und Investitionsanreize stärken“, sagt Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall. Es brauche zudem international wettbewerbsfähige Energiepreise und grüne Leitmärkte.

Kritik und Vorbehalte der Industriekunden

Die verarbeitende Industrie – Automobilindustrie, Maschinen- und Anlagenbau, Elektrobranche, Weiterverarbeiter sowie Baugewerbe – sieht das laut ersten Reaktion überwiegend anders: „Die EU muss auch die Interessen der Stahlkunden berücksichtigen und darf den Blick nicht allein auf die Erzeuger verengen“, sagt Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung. „Insbesondere beim Flachstahl und beim Stabstahl müssen ausreichend große zollfreie Kontingente eingeführt werden, damit auch die Stahlverarbeiter wettbewerbsfähig bleiben und ein erwünschter Konjunkturaufschwung nicht abgewürgt wird.“

Eher vorbehaltlich fällt auch das Urteil des Maschinen- und Anlagenbauverbands VDMA aus. Zwar unterstütze die Interessensvertretung „das Ziel, die Abhängigkeit von China im Stahlbereich zu minimieren.“ Denn die aktuellen Entwicklungen bei Seltenen Erden zeigten, wohin solche Abhängigkeiten führen können. Bei der Umsetzung von Maßnahmen sollte jedoch bedacht werden, wie sie sich auf die Kosten innerhalb der europäischen Wertschöpfungsnetze auswirken. Negative Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Maschinen- und Anlagenbaus sowie anderer Stahlabnehmer durch signifikant höhere Beschaffungspreise müssten vermieden werden.

Alarmstimmung in Großbritannien

Laute Proteste kommen aus Großbritannien, denn anders als die EU-Staaten, Island, Norwegen und Liechtenstein ist das Vereinigte Königreich – ebenso wie die Schweiz – nicht von der Anwendung der strengeren Kontingent- und Zollvorgaben ausgenommen. Zwar verspricht EU-Kommissar Maroš Šefčovič den „britischen Freunden“, dass sie bei der Zuteilung der Kontingente mit einer wohlwollenden Behandlung rechnen können. Trotzdem herrscht in der britischen Stahlindustrie Alarm.

Annähernd vier Fünftel (78%) - oder 1,9 Mill. Tonnen - der britischen Stahlexporte gehen in die EU. Seitdem Donald Trump Zölle auf Stahlimporte verhängte, ist das Vereinigte Königreich der größte Markt für Stahl aus der Staatengemeinschaft. Knapp zwei Drittel (64%) - oder 3,7 Mill. Tonnen -  der britischen Fertigstahleinfuhren kamen aus dem Handelsblock.

Die Regierung müsse alle tun, um Großbritannien Quoten zu sichern, sagt Gareth Stance, Generaldirektor des Branchenverbands UK Steel. Sonst drohe eine Katastrophe. Zudem müsse man in Westminster Maßnahmen ergreifen, um sich vor einer Flut von Importen zu schützen. Sollten die Maßnahmen Brüssels Millionen von Tonnen Stahl ins Vereinigte Königreich umleiten, könne das für die verbliebenen Hersteller das Ende bedeuten. Im April war die Regierung bereits gezwungen, die Kontrolle über British Steel zu übernehmen, um den Fortbestand einer eigenen Rohstahlproduktion in Großbritannien zu gewährleisten. Vor allem die hohen Energiekosten machen der Branche zu schaffen.

Im EU-Parlament melden sich Befürworter

Im EU-Parlament haben sich zunächst vor allem die Befürworter eines höheren Schutzwalls zu Wort gemeldet. Der sozialdemokratische Handelsexperte Bernd Lange erklärt: „Das war längst überfällig und weitere Maßnahmen müssen folgen.“ Es könne nicht angehen, dass Unternehmen wie die Salzgitter AG, die sich schon vor allen anderen auf den Weg der Dekarbonisierung und damit Transformation gemacht hätten, ein so innovatives und zukunftsträchtiges Projekt wie Salcos auf die lange Bank schieben müssten, „weil wir nicht den richtigen Rahmen für solche langfristigen Investitionen bieten können“, argumentiert der Niedersachse.

Zustimmung kommt auch aus den Reihen der Europäischen Volkspartei. Der CDU-Politiker Dennis Radtke nennt die Vorschläge der EU-Kommission „ein wichtiges und längst überfälliges Signal für den europäischen Stahl.“ Mit der Einführung klarer Importkontingente und einem Zollsatz von 50% auf darüber hinausgehende Einfuhren schütze Europa seine industrielle Basis „endlich wirksam vor den Folgen globaler Überkapazitäten.“ Die EU-Kommission zeige damit, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt habe.

Und auch Anna Cavazzini, die handelspolitische Sprecherin der Grünen, begrüßt den Vorschlag: „Es ist keine Option, die europäische Stahlindustrie dem unfairen, verzerrten globalen Wettbewerb auszuliefern“. Der vorgeschlagene Mechanismus sei nötig und längst überfällig. Die Positionierung des EU-Parlaments ist von Bedeutung, schließlich muss es dem Vorschlag zustimmen, ebenso wie der Ministerrat.