EZB-Strategieüberprüfung

Annäherung beim Inflationsziel und Ringen ums Klima

Der EZB-Rat biegt bei seiner Strategiedebatte auf die Zielgerade ein. Am Wochenende treffen sich die Notenbanker abgeschieden und im Grünen, um im Idealfall alle strittige Themen abzuräumen.

Annäherung beim Inflationsziel und Ringen ums Klima

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Mehr als ein Jahr lang ist der EZB-Rat nicht mehr physisch zusammengekommen, seit Ausbruch der Corona-Pandemie auch in Europa im März 2020. Ab heute soll es wieder so weit sein. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die 25 Notenbanker zu einem dreitägigen Treffen eingeladen, um über zentrale Themen der EZB-Strategieüberprüfung zu beraten. Der Tagungsort ist geheim. Kurz nach ihrem Amtsantritt im November 2019 hatte Lagarde den EZB-Rat im edlen Schlosshotel Kronberg in der Nähe von Frankfurt zum abgeschiedenen Stelldichein versammelt.

Die Ruhe und Abgeschiedenheit, die viele Zeit – das können die Zentralbanker ganz sicher gebrauchen. Denn mit der ersten Strategieüberprüfung seit 2003 haben sie sich einiges vorgenommen. Insgesamt 13 Workstreams hat die Europäische Zentralbank (EZB) aufgesetzt – vom Preisstabilitätsziel über Inflationsmessung bis zu Digitalisierung und Klimawandel. Der EZB-Rat habe „mehr als ein Dutzend Seminare zu jedem erdenklichen Aspekt abgehalten“, erzählte Lagarde unlängst. Tausende Seiten Research wurden erarbeitet. Zudem wird es so langsam Zeit, zu Entscheidungen zu kommen – auch bei strittigen Themen. Der EZB-Rat hat für die zweite Jahreshälfte 2021 Ergebnisse in Aussicht gestellt. Lagarde liebäugelte jüngst sogar mit „Ende des Sommers“.

Kernstück ist eine Überarbeitung des Inflationsziels – zumal Preisstabilität laut EU-Vertrag das vorrangige Mandat der EZB ist. Derzeit strebt der EZB-Rat mittelfristig eine Inflationsrate von „unter, aber nahe 2%“ an. Unklar und im Rat teils umstritten ist, was damit genau gemeint ist. Immer wieder für Diskussionen sorgt zudem, ob die knapp 2% wegen des „unter“ als eine Art Obergrenze zu verstehen sind – auch wenn der Rat schon unter Lagarde-Vorgänger Mario Draghi zunehmend die Symmetrie betont hatte, dass also zu niedrige Raten genauso bekämpft gehörten wie zu hohe.

Jetzt scheint die Diskussion in Notenbankkreisen darauf hinauszulaufen, das Ziel auf 2% zu präzisieren und explizit die Symmetrie hervorzuheben. Unlängst veröffentlichte die EZB ein Arbeitspapier, das gar für ein gewisses Ziel- oder Toleranzband rund um ein Punktziel plädierte. Viele Notenbanker scheinen da aber skeptisch. Insgesamt stößt die absehbare Neuformulierung auf viel Zustimmung. Ob sie den großen Unterschied macht, bleibt aber offen. Der Wirtschaftsweise Volker Wieland etwa sagte unlängst im Interview der Börsen-Zeitung, dass die EZB-Politik der vergangenen 20 Jahren mit einem Ziel von etwa 1,75% konsistent und die Zinsreaktion bereits symmetrisch gewesen sei (vgl. BZ vom 11. Juni).

Auch im EZB-Rat umstrittener ist dagegen die Frage, ob der historische Strategieschwenk der US-Notenbank Fed hin zu einem durchschnittlichen Inflationsziel („Average Inflation Targeting“) ein Vorbild sein sollte. Statt jedes Jahr aufs Neue 2% anzuvisieren, strebt die Fed nun über einen bestimmten Zeitraum im Schnitt 2% an und will Verfehlungen in der Zukunft ausgleichen. Konkret läuft das nach Jahren unterhalb des 2-Prozent-Ziels auf Jahre mit Raten oberhalb von 2% hinaus. Auch die EZB hat ihr Ziel im Grunde seit Mitte 2013 unterschritten (siehe Grafik), ehe die Teuerung nun seit Jahresbeginn kräftig zugelegt hat. Die Euro-Hüter sehen das als temporär an. Die EZB-Volkswirte prognostizieren für 2023 weiter nur 1,4% Inflation.

Im EZB-Rat gibt es einige, die mit dem Fed-Vorbild sympathisieren. Andere, wie etwa Bundesbankpräsident Jens Weidmann, sehen das sehr kritisch. Die mittelfristige Ausrichtung würde es der EZB letztlich erlauben, einen ähnlichen Ansatz wie die Fed zu wählen und die Inflation eine gewisse Zeit überschießen zu lassen, ohne sich strikt zu binden. In diese Richtung hatte sich im März auch Chefvolkswirt Philip Lane geäußert.

Für einige Diskussionen sorgt auch das EZB-Mandat selbst. Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau argumentiert, dass es sich bei Preisstabilität nicht um ein reines einzelnes Mandat handele. Vielmehr habe die EZB eine Art „zweistufiges Mandat“. Die EZB solle die Wirtschaftspolitik der EU unterstützen, solange das die Preisstabilität nicht beeinträchtige. Tatsächlich steht es so in Art. 127 EU-Vertrag. Die genaue Interpretation ist aber umstritten.

Ein besonders strittiges Thema ist da die Rolle der EZB im Kampf gegen den Klimawandel. Lagarde pocht auf eine größere Rolle, andere wie Weidmann sind zumal bei einer „grünen“ Geldpolitik skeptisch. Weidmann ließ zuletzt aber aufhorchen: Sollten andere Lösungen nicht gefunden werden, könnten die Laufzeiten und die Menge von Firmenanleihen aus bestimmten Sektoren – „braune Anleihen“ – im geldpolitischen Portfolio begrenzt werden. Auch das birgt Gesprächsstoff für das Wochenende.