NOTIERT IN MOSKAU

Auf der Jagd nach Sanktionschiki

Die Digitalisierung lässt manchen traditionellen Beruf aussterben. Vor allem einfache Dienstleistungen etwa im Medizin- oder im juristischen Bereich werden künftig wohl eher von Programmen angeboten als von Menschen, wie der US-Physiker und...

Auf der Jagd nach Sanktionschiki

Die Digitalisierung lässt manchen traditionellen Beruf aussterben. Vor allem einfache Dienstleistungen etwa im Medizin- oder im juristischen Bereich werden künftig wohl eher von Programmen angeboten als von Menschen, wie der US-Physiker und Zukunftsforscher Michio Kaku kürzlich in Moskau auch den Russen ins Stammbuch schrieb. Das ändert freilich nichts daran, dass gerade dort ein neuer Beruf entsteht, nach dem die Nachfrage rasant steigt, wie die Wirtschaftszeitung “RBK” berichtete: der Sanktionschik.Es herrsche geradezu ein Mangel an solchen Personen, die man im Deutschen als Sanktionsexperte bezeichnen könne, geben Headhunter zu Protokoll. Wer sich in diese Nische begeben hat, könne sich der Kunden kaum erwehren. Wer sich mit dem Gedanken trägt, sich auch innerhalb eines Betriebes darauf zu spezialisieren, könne mit 30 bis 40 % Lohnaufschlägen rechnen.Das ist weiter nicht verwunderlich. Schließlich sieht sich Russland vielen und unterschiedlichen Sanktionen ausgesetzt. Seit die USA, die EU, Neuseeland und Kanada im März 2014 aufgrund der Krim-Annexion und der russischen Einmischung in der Ostukraine die ersten Sanktionen verhängt haben, sind immer neue Beschränkungen hinzugekommen. Zum einen richten sie sich gegen Einzelpersonen, zum anderen gegen spezielle Firmen, zum dritten gegen ganze Sektoren.So haben die USA im Rahmen ihres im August unterzeichneten Sanktionsgesetzes CAATS, das ab 29. Januar umgesetzt werden soll, erst kürzlich 33 Unternehmen aus dem Rüstungssektor aufgelistet, die nun weitere Einschränkungen etwa bei der Kreditvergabe erfahren werden. Dazu kommen Firmen aus dem Öl- und Gassektor. Und wie sehr es den Kapitalmarkt treffen wird und ob US-Bürgern tatsächlich Investitionen in russische Staatsanleihen untersagt werden, wird sich demnächst entscheiden.Allemal komplizierte Materien, in denen sich nur wenige zurechtfinden, um den wahren Namen eines Sanktionschik auch zu verdienen. Neben dem ganzen finanziellen und rechtlichen Know-how zur Erstellung von Handelsverträgen, die alle juristischen Stolpersteine umgehen, und zur internen Kontrolle über die Einhaltung der Sanktionen braucht es ziemlich gute Fremdsprachenkenntnisse. Und weil nicht nur der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt hat, sondern auch Russland umgekehrt ein Importembargo auf diverse Agrarprodukte aus dem Westen, braucht es zusätzlich noch Logistiker und Außenhandelsexperten, die entweder bei der Einhaltung oder bei der Umgehung des Embargos helfen. Laut der Jobvermittlungsagentur Superjob könnten Außenhandelsexperten in diesem Jahr mit den größten Lohnsteigerungen rechnen, schreibt “RBK”.Sind letztere Experten vor allem in der Konsumgüterbranche begehrt, sind es die Finanz- und Rechtsexperten für Sanktionsangelegenheiten vor allem in juristischen Kanzleien, bei Investmentfonds und Banken. Auf der Jobvermittlungsagentur Headhunter.ru (hh.ru) haben zuletzt alle fünf russischen und staatlichen Großbanken, die unter Sanktionen stehen, aber auch die Niederlassungen der verbliebenen westlichen Banken wie Unicredit oder Raiffeisenbank Stellenausschreibungen für die genannten Fachleute platziert. “Führender Spezialist für die Gruppe Finanzsanktionen”, lautet da etwa eine Annonce der Raiffeisenbank. Eine der Anforderungen: Mindestens ein Jahr Erfahrung im Bereich Sanktionen-Compliance.Um diese Erfahrung zu sammeln, war in Russland noch nicht so viel Gelegenheit. Schließlich existieren die Sanktionen erst dreieinhalb Jahre. In den USA selbst hat der Beruf schon seit Jahrzehnten Tradition. Aber auch dort hat er laut Bloomberg seit 2014 an Popularität gewonnen.In Russland wird diese Popularität und Nachfrage wohl weiter wachsen. Der neue Sanktionsreigen seitens der USA wird aktuell mit konkreten Umsetzungsbestimmungen präzisiert. Und weil die Beschränkungen nun nicht mehr vom US-Präsidenten, sondern nur noch vom Gesetzgeber aufgehoben werden können, müsse man sich auf eine lange Dauer der US-Sanktionen einstellen, so Alexis Rodzianko, Chef der US-Außenhandelskammer in Moskau. Konkret: “Mindestens 20 Jahre”.