„Die europäische Industrie braucht einen Schutzraum“
„Die europäische Industrie braucht einen Schutzraum“
Im Interview: Dirk Schumacher
„Die europäische Industrie braucht einen Schutzraum“
KfW-Chefvolkswirt plädiert für Zölle gegen China und verschärften Bürokratieabbau – Europa sollte militärische und digitale Abhängigkeit verringern
KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher goutiert die ersten Schritte der Bundesregierung. Um den Standort zu stärken, setzt er auf einen radikalen Bürokratieabbau und Zölle gegen China. Zudem plädiert er im Interview der Börsen-Zeitung für eine verstärkte Zusammenarbeit in Europa.
Herr Schumacher, wenn Sie Bundeskanzler mit absoluter Mehrheit wären: Wie sähen Ihre ersten Maßnahmen aus, um den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen im internationalen Wettbewerb?
Den von der Bundesregierung eingeleiteten Zweiklang aus größerem fiskalischen Spielraum und begleitenden Strukturreformen halte ich für richtig. Jetzt kommt es auf das Feintuning an. Als Bundeskanzler würde ich sicherstellen, dass viel Geld direkt bei den Kommunen – und damit den Menschen und Unternehmen vor Ort – ankommt. Zudem brauchen wir mehr Anreize für private Investitionen. Dafür würde ich das Bürokratiegestrüpp stark zurückschneiden und dort im Zweifelsfall lieber etwas zu viel als zu wenig machen. Ein weiterer Fokus von mir wäre die China-Politik.
Weshalb China?
Hier werden die Herausforderungen unterschätzt. China ist technologisch sehr schnell die Wertschöpfungskette nach oben marschiert. Die Kombination aus niedrigeren Produktionskosten, die aus den Skalenerträgen der Größe der chinesischen Industrie erfolgen, der Größe des chinesischen Marktes und der staatlichen Unterstützung in China bedeutet für die deutsche Industrie eine sehr große Herausforderung. Da muss man mehr gegenhalten. Die europäische Industrie braucht für eine gewisse Zeit einen Schutzraum. Wenn nichts passiert, wird sonst die Windenergie die nächste Branche in Europa sein, die umfällt.
Wie sollte Europa seine Industrie schützen?
Solange die Regierung in Peking ihren Ansatz der Industriepolitik nicht ändert, der auf Überschüsse und Abhängigkeiten abzielt, muss Europa mit Zöllen in irgendeiner Form oder anderen Schutzräumen gegenhalten. Heißt das jetzt generell Zölle auf alles? Sicher nicht. Die EU müsste sich auf den Teil konzentrieren, wo wir eine hohe Wertschöpfung haben. Das ist ja eines der problematischsten Dinge an der US-Handelspolitik. Die Regierung belegt mehr oder weniger alles durch die Bank weg mit Zöllen und schadet den USA damit wirtschaftlich selbst. Ein anderer Hebel: Wenn China in Europa in wichtige Industrien investieren will, dann sollte das in Form von Joint Ventures geschehen, in denen das Know-how des chinesischen Partners mit dem europäischen geteilt wird.
Es ist nicht so, dass Europa als Standort nichts zu bieten hätte.
Das würde China sicherlich nicht gefallen. Ist Europa in einer Position, ein solches Anliegen durchzusetzen?
Wenn Europa seinen Markt für chinesische Produkte zumachen würde, hätte China ein großes Problem mit Überkapazitäten. Auch die Arbeitslosigkeit in China würde steigen. Selbstverständlich hätte ein solch extremer Schritt auch für Europa große negative Konsequenzen, weshalb man das Mittel einer Beschränkung des Marktzugangs nur wohlüberlegt einsetzten sollte. Zudem ist es nicht so, dass Europa als Standort nichts zu bieten hätte. Vermutlich würde Peking versuchen, einzelne EU-Länder im Gegenzug für Investitionen zu einem weniger restriktiven Kurs zu bringen. Da müsste die EU durchsetzen, dass sich alle Mitgliedsländer an Absprachen halten und notfalls sanktionieren.
Dirk Schumacher ist seit 1. April Chefvolkswirt der KfW und leitet zudem die volkwirtschaftliche Abteilung (KfW Research). Der promovierte Volkswirt startete seine berufliche Laufbahn bei der Commerzbank in der Frankfurter Zentrale, unter anderem im Research. 1999 wechselte er zur US-Investmentbank Goldman Sachs, ab 2005 war er Managing Director. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag dort im Bereich Makro-Research und er war für die volkswirtschaftliche Analyse Deutschlands verantwortlich. 2017 wechselte er als Principal Economist zur Europäischen Zentralbank. 2018 ging er dann als Head of European Macro Research zur französischen Investmentbank Natixis. In seiner Freizeit begleitet Schumacher häufig seinen Sohn zu dessen Fußballspielen in der Regionalliga Südwest.
Wo sehen Sie eine hohe Wertschöpfung in Deutschland?
Maschinenbau, ganz klar, Spezialchemie, Optik und Pharmazie. Das sind alles Bereiche, in denen wir teilweise noch einen echten komparativen Vorteil haben. Damit einher geht die Frage der geostrategischen Abhängigkeit. Wir brauchen die Industriesektoren, die für unsere Verteidigungsbereitschaft relevant sind. Das ist etwas, was in den vergangenen 30 Jahren als irrelevant angesehen wurde, aber ich fürchte, das ist es nicht. Warum haben die Europäer am Ende im Handelsstreit mit den USA nachgegeben? Offenbar, weil Europa sicherheitspolitisch so abhängig von den USA ist. Europa sollte hart daran arbeiten, die militärische Abhängigkeit zu verringern, aber auch jene bei digitalen Dienstleistungen. Das wird lange dauern, ist jedoch machbar.
Dafür bräuchten wir aber einen gemeinsamen europäischen Ansatz. Kann das wirklich gelingen?
Das Gute an der Art und Weise, wie Trump agiert, ist, dass eigentlich niemand mehr glauben kann, dass die USA ein verlässlicher Partner sind. Das erhöht den Druck für Europa, gemeinsam zu agieren. Natürlich muss dann jeder Kröten schlucken und Souveränität an der einen oder anderen Stelle abgeben. Bei Rüstungsprojekten ergibt es beispielsweise Sinn, die Führerschaft bei einem Unternehmen zu haben. Wenn es ein französisches ist, dann ist es halt ein französisches. In einem anderen Projekt kann dann eine Firma aus einem anderen Land, etwa Deutschland, die Führerschaft übernehmen.
Ein solches europäisches Projekt gibt es bereits mit Airbus. Ist das für Sie ein Musterbeispiel, wie ein europäischer Ansatz funktionieren kann?
Der Anfang war schwierig. Jeder der europäischen Partner wollte den Anteil an erbrachten Subventionen auch als entsprechenden Anteil der Wertschöpfung bei sich im Land haben. Von diesen Forderungen hat sich Airbus jedoch emanzipiert und eher betriebswirtschaftliche Argumente in den Vordergrund gerückt. Airbus ist auf jeden Fall eine Erfolgsgeschichte, erst recht im Vergleich zu den jüngsten Entwicklungen bei Boeing. Die Europäische Weltraumorganisation ESA, auch wenn sie momentan etwas ins Trudeln gekommen ist, ist ein anderes Beispiel dafür, wie Europa erfolgreich zusammenarbeitet.
Mehr Erfolge braucht es auch beim Thema Binnenmarkt. Die Handelshürden zwischen den Euro-Ländern sind extrem hoch, etwa wegen unterschiedlicher Vorschriften. Umgerechnet in einen Zollsatz wären das laut IWF-Berechungen 45% auf Waren und 110% auf Dienstleistungen.
Ja, diese impliziten Hürden abzubauen, wäre extrem wichtig für Europa, gerade im Hinblick auf die Entwicklungen in den USA und in China. Wenn Märkte wegbrechen oder der Zugang erschwert wird, ist es umso wichtiger, den Binnenmarkt effizienter zu gestalten. Dazu gehört auch die Kapitalmarktunion. Wir brauchen jetzt nicht unbedingt eine große europäische Bank, das ist eher „nice to have“. Essenziell ist dagegen mehr Funding für Start-ups und wachsende Unternehmen. Europa hinkt deshalb beim Produktivitätswachstum den USA hinterher, weil der ganze IT-Sektor bei uns weniger dynamisch ist. Mehr Venture Capital für innovative Unternehmen ist ein Baustein für eine höhere Produktivität. Ein anderer besteht darin, die Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten. Das ist allerdings auch ein zweischneidiges Schwert.
Inwiefern?
Auf einem Arbeitsmarkt, auf dem jemand schneller von A nach B hüpft, verbreitet sich das Wissen schneller von Unternehmen zu Unternehmen. Etwa im Bereich der Digitalisierung. Dieser Wissenstransfer schafft dann auf breiter Front ein höheres Produktivitätswachstum. Zwar könnten Unternehmen den Anreiz verlieren, in die Ausbildung zu investieren, wenn die Mitarbeitenden nach kurzer Zeit wieder weg sind. Dennoch glaube ich, dass der europäische Arbeitsmarkt flexibler werden muss.
Wie gut ist es um die Ausbildung in Deutschland bestellt?
In Umfragen beschweren sich viele Unternehmen über die Qualität der Auszubildenden. Ein anderes Problem, das zunimmt, ist Ghosting. Die Leute schließen also einen Ausbildungsvertrag ab und erscheinen dann nicht zum vereinbarten Zeitpunkt. Dann ist es für die Unternehmen schwierig, noch Ersatz zu finden. Der ganze Bereich Bildung ist insgesamt ein schwieriges Gebiet. Zumal Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte braucht. Wir werden auch in Zukunft nicht über billige Arbeitskräfte mit dem Ausland konkurrieren können. Das heißt aber nicht, dass wir an unseren Arbeitskosten nichts drehen müssen.
Würde es helfen, wenn die Bildungspolitik bundesweit einheitlich geregelt wäre und nicht Ländersache?
Das Problem ist nicht der Lehrplan. Wenn die Schüler alle alles könnten, was das jeweilige Abitur verlangt, dann wäre die Lage gut. Die Frage ist, warum so viele Schüler dieses Niveau nicht erreichen. Hier fehlt es an Transparenz, auch weil die Länder diese nicht immer liefern wollen.
Wenn es für ein Unternehmen okay ist, jemanden einzustellen, der nur Englisch spricht, sollte das für die Politik ausreichend sein.
Über Ausbildung alleine wird Deutschland wegen des demografischen Wandels seinen Fachkräftebedarf so oder so nicht decken können. Wie sollte eine gezielte Fachkräfteeinwanderungsstrategie aussehen?
Hier müssen die Hürden sinken. Wenn ein Unternehmen einen indischen Ingenieur einstellen will, dann braucht die Politik keine Qualifizierungen staatlich zu prüfen. Der Betrieb glaubt, er ist gut genug für den Job, dann sollte das reichen. Eine Prüfung bei einem Arzt kann ich nachvollziehen. Aber in vielen anderen Bereichen sollten die staatlichen Kontrollen wegfallen. Das gilt auch für Sprachkenntnisse. Der Pool der deutschsprachigen ausländischen Fachkräfte ist einfach zu klein. Wenn es für ein Unternehmen okay ist, jemanden einzustellen, der nur Englisch spricht, sollte das für die Politik ausreichend sein. Hier hat sich allerdings auch in den letzten Jahren einiges getan.
Oft heißt es von der Politik oder von Ökonomen, dass die Teilzeitquote von Frauen sinken muss, um den Fachkräftemangel zu lindern. In der Praxis scheitert das jedoch oft an fehlenden Betreuungmöglichkeiten für die Kinder oder an der fehlenden Bereitschaft der Unternehmen, die Arbeitszeit aufzustocken.
Das ist ein sehr guter Punkt. Den hätte ich bei Ihrer Einstiegsfrage ansprechen können. Es ist ein riesiges Problem, dass die Infrastruktur in Deutschland so schlecht ist, dass viele nicht in Vollzeit arbeiten können, auch wenn sie das eigentlich wollen. Es macht für eine Volkswirtschaft mit der Zeit einen gewaltigen Unterschied, ob die Fertilitätsrate bei 2 Kindern pro Frau liegt oder bei 0,72 wie in Südkorea. Es würde viele Probleme in Deutschland lösen, wenn es für die Menschen einfacher wäre, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.
Planbarkeit ist für Unternehmen während Trumps Amtszeit nicht gegeben.
Wir haben über mögliche EU-Zölle gegen China gesprochen, aber noch nicht über die US-Zölle auf EU-Importe. Ist die Unsicherheit, ob US-Präsident Donald Trump erzielte Abkommen wieder über den Haufen wirft, für die Wirtschaft schädlicher als die Zollsätze an sich?
Der Basiszollsatz von 15% tut weh, ist aber mit Blick auf die Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum verkraftbar. Ich stimme zu, der größere Preis, den die Wirtschaft zahlt, ist die Unsicherheit. Planbarkeit ist für Unternehmen während Trumps Amtszeit nicht gegeben. Das wird auch die US-Wirtschaft mittelfristig schwächen. Firmen werden sich mit größeren Investitionsprojekten schwertun, weil unklar ist, welche Rahmenbedingungen gelten. Wie sehen die Unternehmenssteuern aus? Wie unabhängig bleibt die Fed bei ihrer Geldpolitik? Werden die Zollsätze Bestand haben oder sich bei der nächsten Auseinandersetzung Trumps mit einem anderen Land wieder ändern? All diese Fragen erzeugen Unsicherheit.
Die Unsicherheit bleibt also auch für die exportorientierte deutsche Wirtschaft groß. Wie optimistisch sind Sie dennoch, dass Deutschland nachhaltig auf den Wachstumspfad zurückkehrt?
Die Prognose der KfW für das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr liegt derzeit bei 1,0%. Es kann gut sein, dass wir sie nochmal nach oben korrigieren werden. Nicht zuletzt, weil der Fiskalimpuls vermutlich etwas stärker ausfällt, als wir das ursprünglich erwartet haben. Wir sehen auch, dass sich die Stimmung der Unternehmen im Schnitt besser entwickelt hat, als wir zu Jahresbeginn gedacht hatten. Ob der Aufschwung nachhaltig sein wird, wird entscheidend von den Strukturreformen abhängen, die die Regierung in den kommenden Wochen und Monaten angehen muss.
Mich stimmt zuversichtlich, dass allen Regierungsparteien bewusst ist, dass es Reformen braucht.
Wie zuversichtlich sind Sie da?
Mich stimmt zuversichtlich, dass allen Regierungsparteien bewusst ist, dass es Reformen braucht. Zudem ist den Beteiligten klar, welche politischen Folgen ein Scheitern der Regierung hätte. Das erhöht den Druck für pragmatische Lösungen. Wenn die Regierung jetzt die nötigen Reformen umsetzt, dann bin ich optimistisch, dass wir wieder ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Deutschland sehen werden.
Das Interview führten Martin Pirkl und Alexandra Baude.
Das Interview führten Martin Pirkl und Alexandra Baude.