NOTIERT IN WASHINGTON

Auf die Pandemie folgt in den USA das soziale Elend

Nach der Notfallgenehmigung des von Pfizer und dem Mainzer Konzern Biontech entwickelten Impfstoffs gegen das Coronavirus atmen die USA erleichtert auf. Die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) gab am Wochenende grünes Licht....

Auf die Pandemie folgt in den USA das soziale Elend

Nach der Notfallgenehmigung des von Pfizer und dem Mainzer Konzern Biontech entwickelten Impfstoffs gegen das Coronavirus atmen die USA erleichtert auf. Die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) gab am Wochenende grünes Licht. Bis Ende der Woche sollen in über 1 000 Krankenhäusern und Kliniken fast drei Millionen Dosen des neuen Vakzins verteilt werden. Zudem könnte die Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde auch bald den neuen Impfstoff des Pharmaunternehmens Moderna freigeben.Gleichwohl warnen Experten, dass die Infektionszahlen ebenso wie die Zahl der Todesopfer in den kommenden Monaten weiter steigen werden. Zwei Wochen nach dem Erntedankfest, an dem sich Millionen von Amerikanern auf engstem Raum im Familienkreis und mit Freunden versammelt hatten, ist nämlich nun auch der befürchtete “Thanksgiving Spike” eingetreten.Ende vergangener Woche meldeten die CDC, die für den Schutz der öffentlichen Gesundheit zuständige Bundesbehörde, an einem Tag die Rekordzahl von 232 000 Neuerkrankungen. Seit dem Ausbruch der Pandemie starben mehr als 300 000 Amerikaner an dem Virus, das nun mehr Todesopfer gefordert hat als sämtliche Kampfeinsätze während des Zweiten Weltkriegs.Der Immunologe Anthony Fauci, den der designierte Präsident Joe Biden bereits in sein Beraterteam aufgenommen hat, warnt vor einem “langen und dunklen Winter”, bei dem die täglichen Todesfälle die Zahl der Opfer von 9/11 regelmäßig übersteigen könnten. Faucis düstere Voraussage hat sich teilweise schon bewahrheitet, denn letzten Donnerstag erlagen über 3 300 Patienten den Folgen der Infektion, mehr also als bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001.Fauci und andere hatten davor gewarnt, dass Versammlungen in kleinen Gruppen, die nicht unter freiem Himmel stattfinden, sich insbesondere während der Festtage zu “Super Spreader Events”, also Superverbreitungsereignissen entwickeln könnten, die massenweise Ansteckungen nach sich ziehen. Besonders gefährlich seien deswegen nach dem Erntedankfest Ende November auch die anstehenden Festtage. Tatsächlich melden nun die Gesundheitsämter aus fast allen US-Staaten eine dramatische Zunahme der neuen Erkrankungen.Charlie Baker, der republikanische Gouverneur von Massachusetts, stellt fest, dass “etwa fünf bis sieben Tage nach Thanksgiving, also der typischen Inkubationszeit, unsere Neuerkrankungen abhoben wie eine Rakete”. Andere Staaten berichten von ähnlichen Trends. Am härtesten hat die dritte Welle von Infektionen in den USA die Staaten getroffen, die deutlich später eine Maskenpflicht oder Lockdowns anordneten. So verzeichnete Texas als erster US-Staat mehr als eine Million Fälle von Corona-Kranken. Dort leidet unter den neuen Beschränkungen nicht nur das Gast- und Freizeitgewerbe. * Auch hat die Armut in der breiten Bevölkerung deutlich zugenommen. Bei Tafeln stehen Menschen in Kilometer langen Autoschlangen stundenlang an, um ihre Familien ernähren zu können. “Wir haben an einem Tag 300 000 Kilo Lebensmittel an 25 000 Menschen verteilt”, sagt Anna Kurian von der North Texas Food Bank. “Diese Zahlen werden weiter steigen und bald werden uns die Vorräte ausgehen sowie das Personal fehlen, das zur Verteilung notwendig ist.”Auch Personen, die nicht erkrankt sind, droht in den kommenden Wochen Unheil. Republikaner und Demokraten im Kongress stehen nämlich offenbar erst jetzt vor der Einigung auf ein neues, wirtschaftliches Hilfspaket für Haushalte und Jobsuchende. Da die erweiterte Arbeitslosenhilfe, die als Teil des ersten Konjunkturgesetzes verabschiedet worden war, ausgelaufen ist, könnte der Privatkonsum weiter einbrechen. Zudem könnten zum Jahresende Millionen von Amerikanern erstmals obdachlos sein. Wie der Mieterverband National Low Income Housing Coalition vorrechnet, läuft Silvester ein Moratorium für Zwangsräumungen von Mietwohnungen aus. “Bis zu 19 Millionen Mieter könnten dann kein Dach mehr über dem Kopf haben”, zeichnet die Organisation ein düsteres Bild.