Ausverkauf von Europas digitaler Zukunft
Ausverkauf von Europas digitaler Zukunft
Die USA wollen die globale Dominanz der Big Tech-Unternehmen ohne Limits ausweiten – auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit des heimischen Kontinents.
Von Stephan-Götz Richter und Thiemo Fetzer *)
Die Vereinigten Staaten wissen um die enorme Power der digitalen Wirtschaft. Um das Profitpotential der USA in diesem Bereich zu maximieren, spielen ihre Unterhändler des Landes ein geschicktes Spiel. Ihr Ziel ist, die globale Dominanz ihrer Datenplattformen ohne jegliche Limits auszuweiten. Um davon abzulenken, bieten sie den europäischen Handelspartnern immer wieder kleine Zugeständnisse in Bereichen wie Autos und Landwirtschaft an. Zugleich werden scheinbar harmlose Klauseln in die Handelsabkommen untergebracht, die darauf abzielen, die Macht der US-Technologiegiganten noch weiter zu festigen.
Digitale Souveränität wackelt
In einem Abkommen nach dem anderen, darunter dem „Economic Prosperity Deal” zwischen den USA und Großbritannien sowie dem Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada, fügte Washington bereits Bestimmungen zum digitalen Handel ein, die auf den ersten Blick wenig bedeutsam klingen. Konkret zielen diese Bestimmungen nur darauf ab, Datenlokalisierungsanforderungen zu verbieten. Doch diese sind für die Wahrung der digitalen Souveränität Europas von entscheidender Bedeutung.

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Lange Zeit schien es so, als würde die deutsche Regierung, die vor allem das Wohlergehen der heimischen Automobilindustrie vor Augen hat, auf diese Manöver hereinfallen. Damit aber könnte sie ganz Europa mit sich in den datenpolitischen Abgrund reißen. Gleichzeitig würde das zu einer inakzeptablen Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit in Europa führen. Denn Brüssel würde riskieren, die Fähigkeit zu verlieren, die eigenen Daten zu regulieren zu dürfen, digitale Dienste zu besteuern oder eigene Tech-Champions aufzubauen. Es wäre ein Verlust der Souveränität versteckt im Kleingedruckten.
Deutschland als Spielball
In dieser Hinsicht setzt Washington seit langem auf Berlin als willigen Unterstützer der amerikanischen Bemühungen zur Untergrabung des Zusammenhalts innerhalb der EU. Der amerikanische Hebel ist dabei die deutsche Fixierung auf den maximalen Schutz der Exporte vor allem seiner stagnierenden Automobilindustrie. Diese Fixierung scheint die Bundesregierung durchaus blind zu machen für das große Ganze.

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Für Europa eine sprichwörtliche Tragödie: Zum einen hat sich die deutsche Automobilindustrie durch jahrelange, selbstverschuldete strategische Fehler selbst zum Opfer gemacht. Zum anderen ist das wirtschaftliche Potential dieser Industrie mit Blick nach vorne im Vergleich zu dem der Digitalwirtschaft eher bescheiden. Die Konsequenzen für die – ohnehin schon stark reduzierte – Souveränität europäischer Bürger wären dramatisch. Für ein paar Zollvergünstigungen sollte niemand bereit sein, Europas digitale Zukunft zu verkaufen.
Strategische Planung
Einer der größten strategischen Vorteile für die USA in dieser Auseinandersetzung war, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU lange Zeit auf Regierungsebene überhaupt keine ernsthafte digitale Agenda hatte. Damit fehlte auch die strategische Tiefe, um die relevanten Entscheidungsfaktoren sorgfältig abzuwägen. Denn es geht um nicht weniger als um die Verhinderung eines weiteren „Nord-Stream-2-Desasters“. Bloß machte Deutschlands sich diesmal nicht von russischem Gas abhängig sondern von amerikanischer Technologie.
Donald Trumps Weckruf
Zum Glück hat Donald Trump vor kurzem in einer Äußerung einen unmissverständlichen Weckruf nicht nur an alle Europäer, sondern weltweit adressiert. Auf Trump Social erklärte er kategorisch, dass „Digitalsteuern, Gesetze zu digitalen Diensten und Vorschriften für digitale Märkte alle darauf abzielen, amerikanischer Technologie zu schaden oder sie zu diskriminieren” und dass er alle Länder, die das tun wollen, mit Zöllen und Exportbeschränkungen überziehen will.
Angesichts der Neigung Trumps, die Bedingungen jedes abgeschlossenen Handelsabkommens einseitig, nach eigenem Ermessen und wann immer er es für richtig hält, zu ändern, wird Europa damit klar vor Augen geführt, dass es einfach nicht klug wäre, elementar wichtige digitale Rechte im Austausch für bestenfalls vorläufige Zugeständnisse bei Industriegütern aufzugeben. Wollen die EU-Mitglieder die Hoffnung bewahren, dass Europa im Zeitalter der KI und der datengesteuerten Macht auch weiter seine eigenen Regeln festlegen kann, müssen sich alle EU-Mitglieder gegen ein solches Unterfangen stellen.
Ein Nachgeben in dieser Sache hätte viele negative Konsequenzen: Es würde die EU noch stärker in die Abhängigkeit von US-Plattformen bringen, ihr Potential als globaler Standardsetzer weiter geschwächt werden und ihre Abwehrmöglichkeiten gegen die Übermacht digitaler Plattformmonopole etwa in der Kartellgesetzgebung dürfte dahinschmelzen. Um sich seinen politischen Spielraum zu erhalten, muss Europa sich nicht aus dem Handel mit den USA zurückziehen. Brüssel muss nur das richtige Abkommen fordern – und nicht eines, das ihm seine Freiheit nimmt, zu regulieren oder Steuern zu erheben.
Europa hat Einfluss
Zum Glück ist das – wohl dank des Trumpschen Weckrufs, der dem „Stealth-Manöver“ seiner Unterhändler die Deckung entzog – inzwischen auch die Meinung der Bundesregierung, wie auf dem gerade abgehaltenen deutsch-französischen Gipfel deutlich geworden ist. Wenn Washington sich weigert, hat auch Europa durchaus Macht und Einfluss. Brüssel muss sich nur seiner eigenen Bedeutung bewusst sein. Denn die USA haben einen großen Dienstleistungsüberschuss gegenüber der EU. Der Schutz geistigen Eigentums könnte insofern zu einem Verhandlungspfand werden, um dem europäischen Technologiesektor Raum zum Wachsen zu geben.
Dies wird jedoch nur funktionieren, wenn Europa einen viel stärker integrierten Binnenmarkt aufbaut. Das gemeinsame Ministertreffen von Deutschland und Frankreich scheint auch hier vielversprechend, um endlich bedeutende Fortschritte zu erzielen.
*) Stephan Götz-Richter ist Chefredakteur von The Globalist und Direktor des Global Ideas Center in Berlin; Thiemo Fetzer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Warwick und der Universität Bonn.