Notenbanken

Bank of England im Zwiespalt

Im Gegensatz zu anderen Notenbanken sieht die Bank of England nicht die Notwendigkeit, bei der Straffung der Geldpolitik noch mehr Gas zu geben. Sie erhöhte den Leitzins um lediglich 50 Basispunkte.

Bank of England im Zwiespalt

hip London

 – Die Bank of England hat sich der aggressiveren Gangart anderer westlicher Notenbanken nicht angeschlossen. Wie dem Protokoll der jüngsten Sitzung des geldpolitischen Komitees (Monetary Policy Committee, MPC) der britischen Notenbank zu entnehmen ist, wird der Leitzins um 50 Basispunkte auf 2,25% heraufgesetzt. Er befindet sich nach der siebten Erhöhung in Folge auf dem höchsten Stand seit 14 Jahren. Die Bank of England habe gezeigt, „dass sie – wie in ihrer Forward Guidance angegeben – bereit ist, mit einer ‚kräftigen Antwort‘ auf die hartnäckig hohe Inflation zu reagieren“, kommentierte Katrin Löhken, die für Großbritannien zuständige Volkswirtin der DWS, den Zinsentscheid. „Angesichts des starken Lohndrucks und einer quasi zweistelligen Inflationsrate erscheint dies auch erforderlich.“ Gleichzeitig sei sich die Bank of England aber bewusst, dass die Konjunkturindikatoren gen Süden zeigten – die erwartete Rezession komme näher. Dies dürfte der Hauptgrund gewesen sein, dass sie von einer noch kräftigeren Zinsanhebung abgesehen habe.

Sollten Anzeichen für einen anhaltenden Inflationsdruck auftreten, etwa durch eine stärkere Nachfrage, werde das Komitee „wenn nötig“ kraftvoll reagieren, heißt es im Protokoll. Zuvor hatte das MPC auf die Einschränkung „wenn nötig“ verzichtet. Am Markt hatten offenbar viele mit einem Zinsschritt von 75 Basispunkten gerechnet, insbesondere mit Blick auf die US-Notenbank. Das Pfund geriet deshalb nach Bekanntgabe der Entscheidung unter Druck. Nachdem bislang davon ausgegangen worden war, dass der Leitzins zum Jahresende bei 3,75% liegen würde, begannen Händler damit, ein langsameres Tempo für die Zinserhöhungen einzupreisen. Der FTSE 100 drehte ins Minus.

Geldpolitiker uneins

Dabei waren sich die britischen Geldpolitiker keineswegs einig. Kein Wunder, rechnet die Notenbank doch mit einer Rezession. Im laufenden Quartal wird die Volkswirtschaft nach der neuesten Prognose der Zen­tralbankökonomen um 0,1% schrumpfen. Noch im August hatten sie 0,4% Wachstum angesetzt. Bereits im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt um 0,1% zurückgegangen. Für eine Erhöhung um 50 Basispunkte stimmte zwar eine Mehrheit von fünf der neun Mitglieder des geldpolitischen Komitees. Sie begründete dies mit dem engen Arbeitsmarkt und der hohen Teuerungsrate. Sie hatte im August bei 9,9% gelegen. Damit hatte sie sich zwar vom im Vormonat erreichten 40-Jahres-Hoch entfernt. Doch die Kernrate stieg stärker als erwartet. Das Inflationsziel der Bank of England liegt bei 2,0%. Unter der Mehrheit der Geldpolitiker befand sich mit Andrew Bailey, Ben Broadbent, Jon Cunliffe und Chefvolkswirt Huw Pill fast die gesamte Führungsriege der Bank of England. Doch votierten Jonathan Haskel, Cathe­rine L. Mann und Dave Ramsden, ein Stellvertreter Baileys, für einen Zinsschritt von 75 Basispunkten. Aus ihrer Sicht gibt es bereits Hinweise darauf, dass der Inflationsdruck anhaltenderer Natur sei. Die mittelfristigen Inflationserwartungen blieben hoch. Zudem werde die von Premierministerin Liz Truss verfügte Deckelung der Energiepreise zwar bewirken, dass die Inflation im Oktober schon bei etwas unter 11% ihren Gipfel erreiche, zugleich werde sie aber für zusätzlichen Nachfragedruck sorgen. Swati Dhingra, die dem MPC erst seit August angehört, sprach sich dagegen lediglich für ein Plus von 25 Basispunkten aus. Aus Sicht der LSE-Dozentin deuten die jüngsten Konjunkturdaten bereits auf eine Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität hin.

Anleihenberg wird abgebaut

Einstimmigkeit herrschte im MPC dagegen darüber, dass mit dem Abverkauf des seit der Finanzkrise aufgetürmten Anleihenbergs begonnen werden soll. Binnen zwölf Monaten will man Staatsanleihen im Volumen von 80 Mrd. Pfund veräußern. Dadurch würde sich der Bestand auf 758 Mrd. Pfund reduzieren. Damit ist die Bahn frei für das seit Monaten angekündigte „Quantitative Tighten­ing“. Die Regierung kann also nicht damit rechnen, Rückenwind von der Notenbank zu erhalten, wenn sie ihr Projekt des schuldenfinanzierten Wachstums in Angriff nimmt. „Wenngleich der Pfad der Verkäufe recht moderat ist, wird er dennoch zu einer Verknappung von Liquidität führen“, urteilte Löhken. Im August beliefen sich die Zinskosten der Staatsverschuldung dem ONS zufolge auf 8,2 Mrd. Pfund. Ein Wert in dieser Höhe wurde in noch keinem August seit Beginn der Erhebungen 1997 erreicht. Am Freitag will Schatzkanzler Kwasi Kwarteng seinen Wachstumsplan vorstellen. Er hat es vermieden, das Wort Nachtragshaushalt zu verwenden. So bleibt ihm die kritische Prüfung durch die unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility (OBR) vorerst erspart.

Unterdessen beginnt sich die Lohn-Preis-Spirale zu drehen: Den Mitarbeitern von mehr als 11000 Firmen wie dem Versicherer Aviva, der Brauerei Brewdog oder dem Londoner Flughafen Heath­row steht eine Lohnerhöhung von rund 10% ins Haus. Ihre Arbeitgeber haben sich freiwillig dazu verpflichtet, nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, sondern einen von der Real Living Wage Foundation errechneten Lohn, der sich an den tatsächlichen Lebenshaltungskosten orientiert. Angesichts der rasanten Teuerung entschloss sich die Stiftung, den eigentlich erst im November erwarteten neuen Wert schon früher zu veröffentlichen – 10,90 Pfund die Stunde statt wie bislang 9,90 Pfund. Der gesetzliche Mindestlohn für Arbeitnehmer über 23 Jahren liegt dagegen bei lediglich 9,50 Pfund.

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