NOTIERT IN WASHINGTON

Bei Trump zählen nur Einschaltquoten

Dass US-Präsident Donald Trump Probleme hat mit seriösen Medien, die lediglich Fakten berichten, ist allgemein bekannt. Umso interessanter ist, dass es genau diese Medien sind, die Trump jeden Tag stundenlang mit größter Aufmerksamkeit verfolgt und...

Bei Trump zählen nur Einschaltquoten

Dass US-Präsident Donald Trump Probleme hat mit seriösen Medien, die lediglich Fakten berichten, ist allgemein bekannt. Umso interessanter ist, dass es genau diese Medien sind, die Trump jeden Tag stundenlang mit größter Aufmerksamkeit verfolgt und die häufig den Anstoß geben für einen seiner “Twitter-Stürme”. Die Leidenschaft geht so weit, dass der Präsident die Leistungen seiner Pressesprecher und Kommunikationsleute fast nur danach beurteilt, wie häufig sie im Fernsehen auftreten und wie hoch ihre Einschaltquoten sind, die er ebenfalls mit akribischer Genauigkeit verfolgt. Trumps Kommunikatoren reißen sich händeringend um Interviews und wissen, dass ihr Job in Gefahr ist, wenn ihr Gesicht nicht oft genug über den Bildschirm flimmert. Einige soll Trump deswegen bereits entlassen haben.Wie Stabsmitarbeiter im Weißen Haus berichten, grenzt die Leidenschaft des Präsidenten für Kabelfernsehen, insbesondere Nachrichtensendungen und Talkshows, an Besessenheit. In aller Herrgottsfrühe, manchmal vor 5 Uhr morgens, schaltet er demnach als Erstes den Fernseher ein. Im Westflügel des Weißen Hauses, wo sich das Oval Office und die Büros seiner Mitarbeiter befinden, laufen bis zum späten Abend auf bis zu einem halben Dutzend Bildschirme die bekanntesten Nachrichtensender gleichzeitig. Nicht selten werden politische Gespräche im Oval Office unterbrochen, um die zumeist recht turbulenten Veranstaltungen von Regierungssprecher Sean Spicer zu verfolgen und zu kommentieren. Spicer ist mittlerweile jeden Tag im Presseraum des Weißen Hauses in hitzige Wortgefechte mit neugierigen Reportern verwickelt.Am späten Abend zieht sich der Präsident dann in sein Privatquartier zurück und schaltet regelmäßig Wiederholungen von Diskussionssendungen auf politisch liberalen oder unabhängigen Stationen ein. Von diesen weiß er, dass sie seine Politik ebenso wie seine seltener gewordenen verbalen Entgleisungen stark unter Beschuss nehmen. Häufig sind sie die Initialzündung für die Tweets, die Trump regelmäßig in der Nacht oder am frühen Morgen abfeuert. *Kevin McCarthy, der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, bewundert Trumps Gedächtnis ebenso wie die Tatsache, dass ein Siebzigjähriger das Wechselspiel zwischen herkömmlichen und digitalen, sozialen Medien so gut verstehen und daraus politisches Kapital schlagen kann. “Er begreift, dass Programmchefs rund um die Uhr Sendezeit füllen müssen und er mit ein paar knackigen Sprüchen sofort zum Topthema werden kann, das sich in sämtlichen Medien wie ein Lauffeuer ausbreitet”, sagt der Abgeordnete.Folglich nutzt Trump gerne Sender, die 24 Stunden täglich Nachrichten ausstrahlen, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken, und häufig auch, um von kontroversen Themen wie den undurchsichtigen Beziehungen einiger seiner Mitarbeiter zum Kreml abzulenken. Mittlerweile haben auch Kongressmitglieder, Lobbyisten und selbst ausländische Staatsgäste erkannt, dass ein Fernsehauftritt der beste Weg ist, sich beim US-Präsidenten Gehör zu verschaffen. Sind deren Interviews in den Augen Trumps gut gelungen, dann begrüßt er Gesprächspartner im Weißen Haus nicht selten mit dem Kompliment “Du warst richtig gut heute Morgen im Fernsehen, und die Sendung wird tolle Einschaltquoten bekommen.”Trumps geradezu irrationaler Fokus auf die Zahl der Zuschauer nimmt ihm aber nicht selten den Blick für die Realität. So verstand der Präsident nicht, wie tief er ins Fettnäpfchen trat, als er kürzlich meinte, selbst höhere Einschaltquoten zu erzielen als jedes Ereignis seit den Terroranschlägen von 9-11. Kaum verwunderlich also, dass Spicers unverzeihliche Verharmlosung des Holocaust ihn nicht den Job kostete. Dass Syriens Präsident Baschar al-Assad schlimmer sei als Hitler begründete der Regierungssprecher damit, dass “nicht einmal Hitler Giftgas gegen seine eigenen Landsleute einsetzte”. Darauf angesprochen, ob er sich nun nach einem neuen Sprecher umschauen würde, lächelte Trump und sagte, “Wieso denn? Spicer würde ich niemals feuern, der bekommt doch tolle Einschaltquoten.”