Überraschung für Geldpolitiker

Britische Wirtschaft bremst ab

Die britische Wirtschaft hat im zweiten Quartal abgebremst. Für Geldpolitiker könnte ein Problem werden, dass sie besser lief als erwartet.

Britische Wirtschaft bremst ab

Großbritannien vermeidet wirtschaftliche Schrumpfung

Höhere Staatsausgaben leisten wesentlichen Wachstumsbeitrag – Investitionen der Privatwirtschaft gehen deutlich zurück

hip London

Die britische Wirtschaft hat im zweiten Quartal deutlich an Schwung verloren, ist aber dank höherer Staatsausgaben nicht geschrumpft. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, expandierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um nominal 0,3%. Volkswirte hatten im Schnitt lediglich 0,1% auf der Rechnung. Manche erwarteten gar eine Schrumpfung. Im Auftaktquartal hatte das Land mit einem Zuwachs von 0,7% alle anderen G7-Staaten in den Schatten gestellt.

„Wir sind im ersten Halbjahr die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der G7“, reklamierte Schatzkanzlerin Rachel Reeves nun. Seit den Wahlen im Juli vergangenen Jahres sei die britische Wirtschaft um 1,2% gewachsen, das BIP pro Kopf um 0,7%. Es seien „ermutigende" Zahlen, „aber wir müssen natürlich darauf aufbauen, um sicherzustellen, dass es allen Menschen über das ganze Land hinweg besser geht.“

Überraschung für Geldpolitiker

Wie der Deutsche-Bank-Volkswirt Sanjay Raja in einer ersten Einschätzung herausstreicht, belief sich der ungerundete Wert in der Erstschätzung auf 0,345%. Damit war man haarscharf von einer noch größeren Überraschung entfernt. Das dürfte den Geldpolitikern der Bank of England zu denken geben, die in der vergangenen Woche mit Blick auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt den Leitzins um 25 Basispunkte auf 4,0% senkten.

Wie Raja aufdröselt, leisteten höhere Staatsausgaben einen wesentlichen Wachstumsbeitrag. Der öffentliche Konsum und die Investitionen des Staats seien um 2% gestiegen und hätten in den Monaten April bis Juni 0,5 Prozentpunkte zum Wachstum der britischen Wirtschaft beigesteuert. Der Aufbau von Lagerbeständen mit Blick auf die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump habe 0,2 Prozentpunkte geliefert.

Zurückhaltende Verbraucher

Die Investitionen der Privatwirtschaft fielen dagegen um 4% niedriger aus als im ersten Quartal. Das kehrt den zum Jahresauftakt beobachteten Anstieg mehr als um. Der private Konsum legte um lediglich 0,1% zu. „Dass sich die Verbraucher beim Öffnen ihrer Brieftaschen weiter zurückhalten, ist besorgniserregend“, kommentiert Thomas Pugh, Volkswirt beim Wirtschaftsprüfer RSM, die Zahlen. Die Vorsicht der Konsumenten, die nachlassende Nachfrage aus anderen Ländern und Steuererhöhungen dürften dafür sorgen, dass das Wachstum nicht wesentlich Fahrt aufnehmen werde.

Bei den Daten handelt es sich lediglich um eine Erstschätzung, in die längst nicht alle Daten aus dem Erhebungszeitraum eingeflossen sind. Auch deutliche Revisionen sind nicht ungewöhnlich.

Reduzierte „Reisegeschwindigkeit“

Das sei kein „Tiefschlag“ für Reeves oder ein „lauwarmes“ Wachstum, wie mancherorts berichtet, sagt Robert Wood, der bei Pantheon Macroeconomics für Großbritannien zuständige Volkswirt. Das Potentialwachstum sei niedriger geworden. Die „Reisegeschwindigkeit“ habe sich auf 1% bis 1,5% verringert. Das entspreche um die 0,3% pro Quartal. Höheres Wachstum würde aus seiner Sicht für Inflation sorgen. Vor der Finanzkrise habe das Land zwar 0,6% pro Quartal geschafft, aber „diese Zeiten sind lange vorbei“.

Angesichts der Belastungsfaktoren 0,3% zu schaffen sei „eher eine Leistung als eine Enttäuschung“, urteilt Wood.