Polens Geldgeber

Brüssel treibt Warschaus Wachstumsmotor an

Viele Polen sehen die EU als politischen Gegner und brüsten sich mit hohen Wachstumsraten des Landes. Dabei wird meistens unterschlagen, dass ein Großteil des Erfolgs auf Brüsseler Gelder beruht.

Brüssel treibt Warschaus Wachstumsmotor an

Brüssel treibt Warschaus Wachstumsmotor an

Viele Polen sehen die EU als politischen Gegner – Als Nettoempfänger sollte das Land aber die Perspektive wechseln

Von Sebastian Becker, Warschau

„Dank der Energie der polnischen Unternehmer halten wir Kurs und erwarten für 2025 ein Wachstum von etwa 4%, eines der höchsten in der EU“, prahlte der polnische Finanzminister Andrzej Domański. Die Daten für 2024 zeigten, dass „der Export das wesentliche Element der wirtschaftlichen Stärke von Polen ist“. Zugleich aber setzt die Regierung beim Grenzschutz ein politisches Zeichen und führte Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland ein, um eine mögliche illegale Migration zu unterbinden. Nun ist die Klage groß, dass das doch den Export behindert.

Von Deutschland profitieren

Wie so häufig arbeiten auch hier ideologische und nationalistische Verblendung gegen ökonomische Rationalität an. Denn die Regierung ignoriert, dass der Außenhandel mit Deutschland der Wirtschaft das Wachstum sichert. Der Export erreichte 2024 ein Volumen von 88 Mrd. Euro. Da die Kontrollen ein Monat gelten, kommen somit Geschäfte im Wert von mehr als 7 Mrd. Euro unter Druck. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2024 bei etwa 880 Mrd. Euro. Das entspricht etwa der Wertschöpfung im Bundesland Nordrhein-Westfalen (871 Mrd. Euro).

Die Grenzkontrollen seien „nicht nur eine Gefahr für die Fahrer, sondern für die gesamte Lieferkette und ein echter Verlust für die Wirtschaft“, klagt Jan Buczek, Chef der Transportvereinigung ZMPD. Das Transportgewerbe befördert jedes Jahr mehr als 70 Mill. Tonnen Fracht nach Deutschland und ist mit einem Umsatz von 40 Mrd. Euro eine der wichtigsten Säulen der Wirtschaft. Denn Polen ist umgekehrt auch „wichtiger Lieferant von Gütern für deutsche Produktionslinien", warnt Buczek. Jede Unterbrechung des Frachtflusses führe dazu, dass Spediteure gegen Vorschriften oder Vertragsbedingungen verstoßen.

Investitionen unter Druck

Die Kontrollen kommen zu einem Zeitpunkt, da die wirtschaftliche Lage nicht mehr so rosig ist. Die Investitionen stehen unter Druck. So hat Henkel gerade angekündigt, eines seiner drei Werke zu schließen. Die Investitionsquote erreichte vergangenes Jahr 16,9%, ein Rückgang um 0,8 Prozentpunkte zum Vorjahr. Die oberste Kontrollkammer Najwyższa Izba Kontroli (NIK) stellt zudem fest, dass die ausländischen Direktinvestitionen insgesamt gesunken seien. Der entsprechende Wert in der EU lag mit 21,7% deutlich darüber. Das Niveau in Polen gehört somit innerhalb der EU zu den niedrigsten. Galt Polen lange Zeit als Destination für die verlängerte Werkbank, scheint sich das jetzt zu drehen.

Obendrein wird auch gerne unterschlagen, dass Polen nach wie vor innerhalb der EU der größte Empfänger von EU-Mitteln im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist. Im Jahr 2018 flossen EU-Gelder in Höhe von knapp 2,6% des BIP in das Land und plusterten das Wachstum auf – und gaben der Regierung einen größeren Finanzspielraum. Im Jahr 2023 waren es nach EU-Daten immer noch 1,1% des BIP. Umgekehrt gesehen: Das Wirtschaftswachstum müsste um diesen Wert eigentlich wertberichtigt werden.

Für den Haushalt 2025 sind insbesondere die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds für Coronaschäden von insgesamt knapp 60 Mrd. Euro wichtig. Nach eigenen Angaben hat Polen seit Amtsantritt 2023 davon 28 Mrd. Euro in Anspruch genommen. Die Regierung nennt diese Mittel immerhin als Faktor, um das Wachstumsziel für 2025 zu erreichen.

Mehr Geld für Rüstung

Zudem hat das Land einen Fonds für Sicherheit und Verteidigung mit knapp 6 Mrd. Euro gebildet. Polen nutzt als erstes Mitglied dieses Geld für Verteidigungszwecke. Warschau wird zwar ständig dafür gelobt, wie hoch angesichts des Krieges seine Militärausgaben seien. Doch stammt ein Teil der Mittel aus Brüssel. Brüssel hatte dieses Geld aus dem Wiederaufbaufonds bislang wegen der ständigen Verletzungen von EU-Prinzipien durch die frühere nationalkonservative PiS-Regierung zurückbehalten.

Brüssel als Financier

Seit dem EU-Beitritt hat Polen nach eigenen Angaben über 316.000 Projekte in die Wege geleitet, die einen Wert von umgerechnet 375 Mrd. Euro hatten. Dabei stammten zwei Drittel von der EU. Die Wachstumskurve wäre also wesentlich flacher ausgefallen, wenn es nicht den Zufluss an EU-Mitteln und die Anbindung an den EU-Markt gegeben hätte. Polens Finanzminister Domanski sollte sich dessen eigentlich bewusst sein.