ALLES AUF GRÜN - KÖPFE DES JAHRES

Charmeurin

ms - Als Christine Lagarde Mitte Dezember ihre erste Pressekonferenz als EZB-Präsidentin gibt, ist zunächst alles wie immer. Wie Vorgänger Mario Draghi liest die Französin Wort für Wort und monoton das Eingangsstatement vor. Dann aber, nach...

Charmeurin

ms – Als Christine Lagarde Mitte Dezember ihre erste Pressekonferenz als EZB-Präsidentin gibt, ist zunächst alles wie immer. Wie Vorgänger Mario Draghi liest die Französin Wort für Wort und monoton das Eingangsstatement vor. Dann aber, nach gestoppten 12 Minuten und 46 Sekunden, macht sie klar, dass doch vieles anders werden wird. “Ich weiß, dass einige von Ihnen gerne vergleichen und bewerten oder einordnen möchten. Aber ich werde meinen eigenen Stil haben”, sagt sie. Und tatsächlich: Auch in der Pressekonferenz lächelt sie viel, scherzt mit den Journalisten und kokettiert auch mal: “Wenn ich etwas nicht weiß, sage ich Ihnen, dass ich es nicht weiß.”Der Auftritt passt zu den ersten Wochen von Lagardes Amtszeit, die das EZB-Zepter Anfang November übernommen hat: Denn die lassen sich ohne Übertreibung als eine einzige große Charmeoffensive charakterisieren – sowohl nach außen gegenüber der Öffentlichkeit, nicht zuletzt der deutschen, als auch nach innen mit Blick auf den EZB-Rat. Beides scheint bitter nötig: Das Verhältnis zwischen der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Deutschen hat sich unter Draghi bedenklich verschlechtert. Und gegen die von Draghi im September durchgepaukte Wiederauflage der Anleihekäufe gab es im EZB-Rat einen beispiellosen Widerstand.Lagarde, der ersten Frau an der EZB-Spitze, kommen nun Eigenschaften zugute, die sie bereits als französische Finanzministerin und Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) unter Beweis gestellt hat: Die 63-Jährige gilt als teamorientiert und sehr gute Kommunikatorin. In Deutschland stößt sie trotzdem noch auf Vorbehalte. Kritiker monieren, dass sie als erste EZB-Spitze keine Zentralbankerfahrung hat und keine Ökonomin ist – sondern Juristin. Manch einer erinnert vielsagend daran, dass Lagarde 2016 in einem Strafprozess wegen fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern verurteilt wurde – ohne aber eine Strafe zu erhalten.Im nächsten und den kommenden acht Jahren wird Lagarde, die einst Synchronschwimmerin war, täglich Yoga macht, Opern liebt und jetzt Deutsch lernt, nun mit dem EZB-Rat über die Euro-Geldpolitik entscheiden – und damit auch über Wohl und Wehe der Euro-Wirtschaft und der Finanzmärkte. Erst einmal will sie den ultralockeren Kurs von Draghi fortsetzen – und de facto kann sie auch kaum anders. Mit der Zeit wird sich aber zeigen, ob ihre formulierten Sorgen über die negativen Nebeneffekte nicht nur Lippenbekenntnisse sind.Mindestens genauso wichtig sind aber die Weichenstellungen, die Lagarde mit der von ihr angestoßenen Strategieüberprüfung für die EZB-Zukunft setzen wird: Wie definiert die EZB Preisstabilität, und mit welchen Instrumenten gedenkt sie diese zu erreichen? Die Debatte kann schnell zum ersten richtigen Stimmungstest für Lagarde werden.