Li Keqiang

Chinas Premier nimmt Provinzen in die Pflicht

Die Forderung Li Keqiangs nach Konjunkturhilfen erregt Aufsehen, weil der Ministerpräsident sonst kaum in Erscheinung tritt. Beobachter sehen darin Anzeichen für einen Dissens der Führung in Peking.

Chinas Premier nimmt Provinzen in die Pflicht

nh Schanghai

Chinas Premierminister Li Keqiang hat nach einem Spitzentreffen mit Verantwortlichen von zwölf wirtschaftsstarken Provinzen zu neuen Eilmaßnahmen aufgerufen, um die von laufenden Corona-Restriktionen schwer angegriffene Konjunktur zu stabilisieren. Einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge forderte Li die Provinzchefs auf, bis Ende Mai neue wirtschaftspolitische Maßnahmenpakete zum Einsatz zu bringen, um zu einer Ankurbelung des Wachstums beizutragen. Dabei erklärte Li, dass die Coronawelle in China, „Veränderungen der internationalen Situation“ sowie weitere „unerwartete Faktoren“ zu einer signifikanten Schwächung von Konjunkturindikatoren beigetragen hätten.

Den eigentlich lapidaren Äußerungen des Premierministers messen Marktbeobachter eine wichtige Bedeutung bei. Sie geben nämlich einen Hinweis darauf, dass der qua Amt als oberster Verantwortlicher für Chinas Wirtschaftspolitik geltende, von Staatspräsident Xi Jinping aber stets in eine marginale Rolle gedrängte Regierungschef wieder stärker in der Lage ist, mit eigenen wirtschaftspolitischen Botschaften und auch Warnhinweisen zur Öffentlichkeit durchzudringen.

In den vergangenen Wochen hatte der zum Lager der Pragmatiker gerechnete Li bereits mehrfach auf die prekäre Konjunkturlage hingewiesen und insbesondere auch Alarm zur Beschäftigungssituation geschlagen. Er wurde aber jeweils in rascher Folge von neuen Botschaften des Präsidenten und des hinter Xi stehenden Politbüros übertönt, die zum Festhalten an der extrem wirtschaftsschädigenden „Nulltoleranzpolitik“ zu Corona aufriefen, ohne deren Konjunkturfolgen zu thematisieren.

Premier Li war am Mittwoch zu einer Amtsreise in die südchinesische Provinz Yunnan aufgebrochen und hatte dabei einige öffentliche Auftritte hingelegt, die in Chinas sozialen Medien für regelrechte Furore sorgten. So sah man den Premier bei seinem Yunnan-Besuch mehrfach direkten Kontakt zur Bevölkerung aufnehmen, ohne dabei einen Mundschutz zu tragen. Im Internet kursierten Bilder, auf denen man Li förmlich ein Bad in einer ihm begeistert zujubelnden Menge nehmen sieht. Bezeichnenderweise wurde eine Weitergabe dieser Handyaufnahmen auf sozialen Medien von Internetzensoren gesperrt.

Lis Auftreten stellt einen Kontrast zum Verhalten des für die extreme Coronapolitik verantwortlichen Staatschefs dar, der seit Monaten jeglichen Kontakt nach außen zu scheuen scheint. Xi hatte sich im März zu Beginn des Lockdowns in Schanghai für mehr als eine Woche in der Inselprovinz Hainan aufgehalten, ohne sich öffentlich blicken zu lassen.

Politische Beobachter betonen, dass das von Li abgelieferte Kontrastprogramm in Yunnan als ein Signal für einen klaren Dissens zur harten Coronapolitik zwischen den zwei Hauptflügeln der Kommunistischen Partei gelten kann. Dabei scheint der Regierungschef eindeutig im Lager der Pragmatiker zu stehen, die die Nulltoleranzstrategie wegen ihrer fatalen Konjunkturauswirkungen abzumildern versuchen. Chinas jüngste Wirtschaftsdaten hatten einen starken Rückgang der Indus­trieproduktion und der Konsumaktivität aufgezeigt, der in erster Linie mit dem Lockdown in Schanghai und Mobilitätsrestriktionen in anderen Großstädten zusammenhängt.