Chinas Tigerjagd landet bei Staatsunternehmen
Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinesische Tageszeitungen brauchen derzeit in der Regel mindestens eine Seite pro Ausgabe, um über immer neue Korruptionsverfahren gegen hohen und mittlere Staatsbeamten zu berichten. Die landesweite Antikorruptionskampagne der berüchtigten Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei steht ganz im Zeichen der vom Staatspräsidenten Xi Jinping ausgegebenen Losung, dass es sowohl den Fliegen als auch den Tigern – sprich den kleinen Beamten wie auch den mächtigsten Funktionsträgern, die sich etwas zuschulden kommen lassen haben, – an den Kragen gehen sollte. Unangenehmer BesuchSeit Jahresbeginn sind die Untersuchungstrupps der Disziplinarkommission bei Dutzenden der Zentralregierung unterstellten Staatsbetrieben zu Gast und bringen stoßweise neue Verfahren hervor. In den letzten Tagen ragen Berichte über Verfahren gegen führende Verantwortliche von großen chinesischen Staatskonzernen heraus, die man getrost der Tigergattung zuordnen darf. Das gilt insbesondere für Liao Yongyuan, den Generalmanager der China National Petroleum Corp. (CNPC), des größten chinesischen Ölkonzerns, der im Ausland besser unter dem Namen seiner börsennotierten Einheit Petrochina bekannt ist. Dort fungierte Liao bislang als Vize-Chairman.Liao ist nach der öffentlichen Bekanntmachung eines Verfahrens wegen schwerer Verstöße gegen Parteidisziplin und Gesetze – die übliche Bezeichnung in Korruptionsverfahren – zurückgetreten. Der 1962 und damit tatsächlich im Tierkreiszeichen des Tigers geborene Liao wurde im Hause CNPC mit dem Spitznamen “Nordwest-Tiger” bedacht, weil er über weite Strecken seiner langen Karriere mit dem Management von Ölfeldern in der Provinz Xinjiang im unwirtlichen wilden Nordwesten China betraut war. Im Mai 2013 war er zum Generalmanager der zweithöchsten Position des Konzerns berufen worden.In einer Mitteilung der Petrochina gegenüber der Hongkonger Börse wird versichert, dass das Verfahren keinerlei Einfluss auf operative Vorgänge des Ölriesen hat. Die Petrochina-Aktie ist in Hongkong und Schanghai zwar unter Druck geraten, doch ist es angesichts des heftigen Ölpreisrückgangs der letzten Tage schwierig, einen Negativeffekt wegen der Bekanntmachung der Korruptionsvorwürfe herauszulesen. Abgesehen davon ist Petrochina beileibe nicht zum ersten Mal Gegenstand von Korruptionsuntersuchungen. PräzedenzfälleBereits im September 2013 war der langjährige Chairman der CNPC wie auch der Petrochina, Jiang Jiemin, in Gewahrsam genommen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings bereits die Lenkung des Ölkonzerns aufgegeben und war pikanterweise zugunsten eines Wechsels an die Spitze der Lenkungs- und Aufsichtsbehörde für Staatsunternehmen, State-Owned Assets Supervision and Administration Commission (Sasac), gerückt. Im Sog dieser Untersuchung waren mit Wang Yongchun und Ran Xinquan zudem zwei langjährige Vizepräsidenten und damit Vorstandsmitglieder bei CNPC beziehungsweise Petrochina abberufen worden.Den Ölmanagern, die noch auf ihre Gerichtsverfahren warten, ist gemeinsam, dass sie in engen Verbindungen zum wohl mächtigsten aller Tiger, gegen den derzeit Verfahren laufen, nämlich dem ehemaligen Spitzenpolitiker Zhou Yongkang standen. Zhou war mit dem chinesischen Regierungswechsel Ende 2012 aus dem Ständigen Ausschuss des Politbüros – dem obersten Machtzirkel Chinas – ausgeschieden, wo er die einflussreiche Position des Chefs für interne Sicherheit innehatte. Er galt als Mentor und enger Verbündeter des gestürzten Spitzenpolitikers Bo Xilai, dem im vergangenen Jahr der Prozess gemacht wurde. Vor seinem Aufstieg in die höchste Politikebene hatte Zhou eine lange Karriere in der Ölindustrie hinter sich und hatte dabei auch Mitte der neunziger Jahre die CNPC geführt. Dieser Tage gab die Parteiführung bekannt, dass im Frühjahr ein öffentliches Gerichtsverfahren gegen Zhou wegen Disziplinar- und Gesetzesverstößen sowie des Verrats von Staatsgeheimnissen angestrengt wird. Energiesektor im FadenkreuzExperten gehen davon aus, dass weitere staatliche Energieriesen beziehungsweise ihre Führungskräfte in den Sog von Verfahren geraten werden. Chinas zweitgrößter Ölkonzern Sinopec hat gerade bekannt gegeben, dass ein 28-köpfiges Team von Inspektoren gruppenweit eingesetzt wird, um die Überwachung von Disziplinarverstößen und Ahndung von Korruptionsvergehen zu verstärken. Neben Sinopec gehören auch China National Offshore Oil Corporation (CNOOC), China National Nuclear Corp (CNNC) und der Stromnetzbetreiber State Grid Corp zu der Gruppe von 26 Staatsriesen, die von der Disziplinarkommission verstärkt unter die Lupe genommen werden.Fündig geworden sind die Tigerfänger auch bei dem großen staatlichen Automobilkonzern FAW Group, der in Joint Ventures mit den drei weltweit führenden Autokonzernen General Motors, Toyota und Volkswagen eingebunden ist. Xu Jinayi, der FAW-Verwaltungsratschef und damit oberster Verantwortlicher der staatlichen Mutter, steht jetzt unter Ermittlungen wegen Verstößen gegen Gesetze und Parteidisziplin, also Korruptionsvorwürfen, und muss damit ausscheiden. Gegenwärtig ist allerdings nicht bekannt, ob die Vorwürfe sich direkt auf Vorgänge bei FAW beziehen oder im Zusammenhang mit politischen Verbindungen zu suchen sind. FAW als schwarzes SchafAllerdings war FAW bereits im vergangenen Jahr mit einer Reihe von Untersuchungen überzogen und von der Disziplinarkommission als eine Art schwarzes Schaf gebrandmarkt worden. Im Sommer hieß es in einer Bekanntmachung, FAW habe nicht genügend gegen eine weit verbreitete Korruptionskultur unternommen, die sich besonders in den Bereichen Verlauf und Ressourcenallokation manifestiere. Dabei waren bereits Verfahren gegen zwei Manager des Joint Ventures FAW-Volkswagen Automotive Co. lanciert worden, nämlich gegen den ehemaligen stellvertretenden Generalmanager des Gemeinschaftsunternehmens Li Wu sowie einen Vizedirektor der Verkaufsabteilung für Audi-Fahrzeuge, die bei FAW-Volkswagen gebaut werden.Für Xu gilt, dass er als Chairman der Gruppe auch als sogenannter Parteisekretär für das Unternehmen, also als wie bei allen Staatsfirmen von der Partei direkt entsandter Verantwortlicher, fungiert. Dies ist de facto eine Position im öffentlichen Dienst, die mit einem Kabinettsrang eines Vizeministers vergleichbar ist. Da die Führungsspitzen chinesischer Staatsunternehmen als politische Entsandte besoldet werden, sind ihre Bezüge nicht mit der Performance der Unternehmen oder sonstigen gängigen Erfolgskriterien für Firmenmanager verknüpft. GroßbaustelleKritiker sehen diesen Umstand in Verbindung mit einem völligen Mangel an etablierten Governance- und Audit-Verfahren bei den Staatsbetrieben als ein Einfallstor für Ressourcenverschwendung und Korruptionsvorgänge. Abseits der parteiinternen Disziplinarverfahren haben die politisch besetzten chinesischen Staatsunternehmensführer großen Spielraum für eine Mittelveruntreuung und persönliche Bereicherung. Die im vergangenen Jahr seitens der chinesischen Führung ausgerufene Reformrunde für stärkere Marktorientierung und Effizienzsteigerung im staatlichen Unternehmenssektor steht hier noch vor einer gigantischen Baustelle.