Konjunktur

Chinas Wirtschaft verliert Schwung

Chinas Konjunktur läuft weniger rund als erwartet. Nach rekordhohem Expansionstempo im ersten Quartal scheint die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft nun auf einen Normalisierungskurs einzuschwenken.

Chinas Wirtschaft verliert Schwung

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Chinas jüngste Wirtschaftsleistungsdaten für den Monat Mai schrammen allesamt an den Schätzwerten der Analysten vorbei und lassen Fragen nach der Robustheit des postpandemischen Konjunkturaufschwungs im Reich der Mitte aufkommen. Nach Angaben des Pekinger Statistikamts vom Mittwoch konnte Chinas Indus­trieproduktion im Mai noch um 8,8% gegenüber Vorjahresmonat zulegen, die Experten hatten allerdings mit einer Expansion um 9,2% gerechnet.

Nach imposanten Wachstumssprüngen in den ersten Monaten des Jahres legt sich das Expansionstempo im verarbeitenden Gewerbe nun bereits den dritten Monat in Folge wieder. Der Schwungverlust spricht dafür, dass die chinesische Wirtschaft nach dem heftigen Einbruch im ersten Quartal des vergangenen Jahres und einer nachgelagerten Aufholjagd nun wieder auf einen Normalisierungskurs einschwenkt, heißt es bei China-Ökonomen der Commerzbank. Auf Basis eines Zweijahresvergleichs, mit dem um Coronaeffekte bereinigt wird, ist die chinesische Industrieproduktion zuletzt um 6,6% angewachsen – ein immer noch robuster Zuwachs.

Abgesehen davon könnte die jüngste Eintrübung der Dynamik im verarbeitenden Gewerbe auch mittelbar mit einer erhöhten Inzidenzrate von Coronafällen in der besonders wirtschaftsstarken chinesischen Provinz Guangdong im Zusammenhang stehen. So häufen sich Berichte, dass partielle Lockdown-Maßnahmen am für die Exportwirtschaft besonders wichtigen Drehkreuz Guangzhou zu ernsten Behinderungen führen. Chinas lebhafte Exporte hatten sich in den letzten Monaten als besonders wichtige Triebfeder für den Indus­triesektor bewiesen.

Als ein weiterer beeinträchtigender Faktor für das verarbeitende Gewerbe dürfte sich der steile Auftrieb der Erzeugerpreise erwiesen haben. Zuletzt im Mai jagte der Produzentenpreisindex mit einem Anstieg gegenüber Vorjahr von 9,8% auf den höchsten Stand seit fast 13 Jahren. Dahinter steht eine manifeste Rohstoffpreishausse, der die Regierung mit einer Reihe von Maßnahmen bislang wenig erfolgreich entgegenzuwirken versucht.

Wackeliger Konsum

Sorgen bereitet den chinesischen Wirtschaftsplanern die vergleichsweise schleppende Entwicklung an der Konsumfront. Im Mai sind die Einzelhandelsumsätze zwar kräftig um 12,4% angesprungen, hier hatten die Analysten jedoch einen Anstieg von mehr als 14% auf dem Zettel. Im Zweijahresvergleich wiederum betrug der Zuwachs der Einzelhandelsumsätze nur 4,5%, was einen deutlichen Tempoverlust bedeutet. Vor Ausbruch der Pandemie waren Werte über 8% normal.

Seitens des chinesischen Statistikbüros hieß es am Mittwoch, dass der Konsum im direkten Monatsvergleich besser abgeschnitten habe als erwartet, wobei vor allem eine verstärkte Reiseaktivität an Chinas Maifeiertagen für Impulse sorgte. Dem steht allerdings weiterhin eine gewisse Zurückhaltung bei größeren Konsumanschaffungen gegenüber. Zuletzt beispielsweise sank der Autoabsatz im Reich der Mitte um 3% und fiel damit erstmals seit April 2020 wieder gegenüber dem Vorjahresmonat zurück. Ein Sprecher des Statistikbüros sprach angesichts der latenten Konsumschwäche von einer weiterhin ungleichgewichtigen Wachstumsentwicklung in China. Auch Chinas Aktienanleger zeigen sich vom neuen Konjunkturausweis enttäuscht. Der Leitindex CSI300 büßte am Mittwoch deutlich um 1,7% ein, was den höchsten Tagesverlust seit April bedeutet.

Auch an westlichen Märkten befürchten die Anleger, dass ein Dynamikverlust der chinesischen Wirtschaft den weniger weit fortgeschrittenen Erholungsprozess in den führenden Industrieländern behindern könnte, zumal Chinas Erzeugerpreishausse auch auf globaler Ebene Inflationsgefahren schürt.

Wertberichtigt Seite 6