Geldpolitik

Comeback der Inflation oder nur kurzes Aufflackern?

Die Inflation im Euroraum wird zu Jahresbeginn und im weiteren Jahresverlauf spürbar anziehen. Es ist aber umstritten, ob das nur ein temporäres Phänomen oder der Vorbote eines neuen Trends ist. Je nachdem kann das weit­reichende Konsequenzen auch für die EZB-Geldpolitik und die Finanzmärkte haben.

Comeback der Inflation oder nur kurzes Aufflackern?

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Wenn es in den vergangenen Jahren im Euroraum um das Thema Inflation ging, ging es fast immer um eine aus Sicht der EZB und vieler Ökonomen sowie Politiker zu niedrige Inflation. „Missing inflation“, übersetzt: fehlende Inflation – das war in der Europäischen Zentralbank (EZB) viele Jahre fast ein geflügeltes Wort. Tatsächlich verharrt die Teuerung in der Eurozone mit wenigen Ausnahmen seit Frühjahr 2013 unterhalb des mittelfristigen EZB-Inflationsziels von „unter, aber nahe 2% – und das teils deutlich: Auch jetzt liegt sie seit August 2020 sogar unter 0%.

Nun aber tobt wieder verstärkt eine andere Diskussion – jene um ein Comeback der Inflation. Zu Jahresbeginn dürfte die Inflationsrate im Euroraum einen kräftigen Sprung nach oben machen. Einen ersten Vorgeschmack hat die deutsche Inflation in der vergangenen Woche gegeben. Sie kletterte nach EU-Maßstab von –0,7% auf 1,6%. Ganz so rasant dürfte es im Euroraum nicht gegangen sein. Aber erwartet wird für die heutige erste Eurostat-Schätzung ein deutlicher Anstieg von –0,3% auf 0,5%. Und in den nächsten Monaten dürfte es weiter nach oben gehen. Im Herbst scheint selbst die 2-Prozent-Marke der EZB erreichbar.

Wie aber ist die Entwicklung einzuschätzen? Steht tatsächlich eine Rückkehr der Inflation bevor, oder sind solche Spekulationen übertrieben? Und was bedeutet das für die EZB und die expansive Geldpolitik?

Dass die Inflationsrate nun wieder spürbar ansteigt, hat vor allem mit Sonder- und Basiseffekten zu tun – so wie auch das jüngste Unterschreiten der Nulllinie vor allem solchen Effekten geschuldet war: In Deutschland ist zum Beispiel zu Jahresbeginn die im Kampf gegen die Coronakrise beschlossene temporäre Mehrwertsteuersenkung ausgelaufen. Hinzu kommt die CO2-Abgabe. Und der negative Basiseffekt bei den Energiepreisen infolge des Ölpreiseinbruchs in der Coronakrise Anfang 2020 fällt aus der Statistik heraus – er kehrt sich tendenziell sogar um.

Hinzu kommt die Hoffnung, dass sich die Euro-Wirtschaft in diesem Jahr kräftig erholt, wenn die zweite und dritte Coronawelle überstanden und auch dank der Impfungen der Stillstand von großen Teilen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens beendet werden kann. Die sehr hohe Ersparnis könnte dann etwa den Konsum beflügeln.

Der weitere Verlauf der Inflation ist dann aber weniger eindeutig. Nach verbreiteter Ansicht werden auch mittelfristig insbesondere die unterausgelasteten Kapazitäten in der Industrie und am Arbeitsmarkt den Preisauftrieb bremsen. Viele Volkswirte setzen zudem darauf, dass weltweit die Inflation dämpfende Faktoren wie die Globalisierung und Digitalisierung auch künftig für einen geringen Preisdruck sorgen.

Tatsächlich gibt es aber auch gute Gründe anzunehmen, dass die disinflationären Kräfte der vergangenen Jahrzehnte nachlassen könnten. So könnte die Globalisierung künftig weniger stark auf die Preise drücken – zumal sie wegen der Coronakrise teils rückabgewickelt wird. Zudem gibt es in vielen Ländern eine alternde Bevölkerung – wodurch das globale Arbeitsangebot zurückgehen und die Löhne steigen könnten. Auf solche Entwicklungen weist insbesondere der renommierte Wirtschaftsprofessor und langjährige britische Notenbanker Charles Goodhart hin.

Hinzu kommt die beispiellose Geldflut von Staaten und Notenbanken in der Coronakrise. Auch im Euroraum wächst die Geldmenge rasant. Noch kommt das Geld kaum in der Realwirtschaft an. Aber das kann sich schnell ändern.

Im Zweifelsfall wird es dann stark auf die Reaktion der Geldpolitik ankommen. Aber nicht zuletzt das sorgt zumindest einige Beobachter mit Blick auf die aktuell enge Kooperation von EZB und Regierungen: Sie befürchten, dass die EZB im Fall der Fälle auch aus Angst vor einer Schuldenkrise auf eine Straffung der Geldpolitik verzichten könnte.

Die EZB-Oberen weisen solche Sorgen stets eindringlich zurück. Zugleich dämpfen sie aber Inflationssorgen. Der spürbare Anstieg der Teuerung in diesem Jahr sei eher ein temporäres Phänomen denn ein neuer dauerhafter Trend. Die Botschaft: An der ultralockeren Geldpolitik wird erst einmal nicht gerüttelt.

Auch an den Finanzmärkten nehmen indes die Inflationserwartungen spürbar zu. Das auch von der EZB viel beachtete langfristige Euro-Inflationsbarometer, der Five-Year Five-Year Forward, kletterte gestern auf 1,36% – den höchsten Stand seit Mai 2019. Das ist zwar noch deutlich von den 2% entfernt. Aber im März 2020 war es zeitweise auf 0,72% gefallen.