Weltwirtschaft

Container-Schifffahrt funkt SOS

Krieg in der Ukraine, Chaos in Schanghai: Die Allianz-Tochter AGCS schlägt Alarm. Der Weltwirtschaft drohen schwere Schäden. Und Warnungen vor einer globalen Ernährungskrise werden immer eindringlicher.

Container-Schifffahrt funkt SOS

rec Frankfurt

Zwei Jahre nach dem Pandemieschock befindet sich die Containerschifffahrt abermals im Alarmzustand. Die kompromisslose Corona-Nulltoleranzpolitik der chinesischen Regierung zusammen mit Russlands Angriffskrieg in der Ukra­ine haben schwere Verwerfungen ausgelöst. Große Häfen rund um den Globus sind überlastet, berichtet der Industrieversicherer AGCS, eine Allianz-Tochter. Über das menschliche Leid hinaus zeichnen sich schwere Schäden für die Weltwirtschaft ab. Eine globale Ernährungskrise droht.

Unternehmen wickeln weite Teile ihres Welthandels auf dem Seeweg ab. Jüngste Signale aus der Branche dürften deshalb für zusätzliche Be­unruhigung sorgen. Das gilt nicht zuletzt für die deutsche Wirtschaft: Sie sitzt auf dicken Auftragspolstern und kommt mit der Produktion nicht hinterher, weil wichtige Teile fehlen.

Schifffahrtsexperten von AGCS funken im Jahresbericht SOS: „Der Krieg hat zu weitreichenden Störungen in der weltweiten Schifffahrt geführt und dürfte die durch die Covid-19-Pandemie verursachte Un­terbrechung der Versorgungsketten, die Überlastung der Häfen und die Besatzungskrisen noch verschärfen.“ Containerstaus verfestigten sich auf hohem Niveau, meldet das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt, der Krieg werde die hohen Frachtkosten noch weiter treiben. Und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) dringt auf eine Wiedereröffnung ukrainischer Häfen. Nur so lasse sich verhindern, dass die globale Hungerkrise außer Kontrolle gerät.

Der Ukraine-Krieg wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung des Landes für die weltweite Ernährungssicherheit. Die Ukraine ist einer der wichtigsten Weizenproduzenten. Laut WFP sind die Lager voll, aber das Getreide kommt nicht außer Landes. Der stellvertretende Infrastrukturminister der Ukraine Juri Waskow sagte vor wenigen Tagen bei einem Briefing: „In Friedenszeiten wurden über 75% des Außenhandels der Ukraine auf dem Seeweg abgewickelt.“ Bei Weizen sind es fast 100%.

Waskow zufolge fallen gegenwärtig vier Fünftel der Hafenkapazitäten in der Ukraine aus. Ein halbes Dutzend Häfen seien gesperrt, andere durch militärische Angriffe blockiert. „Über 90% des gesamten Handels wurden über diese Häfen abgewickelt.“ In Odessa, dem größten Hafen der Ukraine, kommt laut Auswertungen des IfW bereits seit Anfang März keine Ladung mehr an. Die östlich gelegene Hafenstadt Mariupol hat Russland in Schutt und Asche gelegt.

Die Ukraine vom Welthandel abzuschneiden dürfte nach Ansicht von Experten eines der taktischen Ziele Russlands im Südosten der Ukraine sein. Zu einer Offensive auf Odessa von Land oder zu Wasser ist das russische Militär nach Auffassung des US-Verteidigungsministeriums jedoch nicht in der Lage. Das berichten US-Medien mit Verweis auf Quellen im Pentagon übereinstimmend. Russlands Truppen treffen auf unverminderten Widerstand der vom Westen hochgerüsteten Ukrainer. Allerdings bombardieren sie seit dem Wochenende verstärkt Ziele in Odessa. Bei Raketenangriffen gab es laut der Nachrichtenagentur Reuters Tote und Verletzte.

Der zweite Auslöser für neuerliche Verwerfungen im Welthandel ist Schanghai. Der anschwellende Stau im weltgrößten Containerhafen (siehe Grafik) wird die Lieferketten nach Einschätzung der Schifffahrtsexperten der Allianz noch monatelang durcheinanderbringen. Der Corona-Lockdown in der Wirtschafts- und Finanzmetropole legt den Hafen weitgehend lahm. „Das kann nicht schnell gelöst werden“, sagt Justus Heinrich, der bei der Allianz-Tochter AGCS für Schiffskasko zuständig ist. Es werde mindestens ein bis drei Monate dauern, bis man die Lage in der Griff bekomme. Ohnehin erlebe die Schifffahrt derzeit eine noch nie dagewesene Überlastung der Häfen, deretwegen Crews und Hafenpersonal unter großem Druck stünden.

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