Coronakrise schlägt Schuldenbremse

Regierung will Ausnahme aktivieren - 40 Mrd. Euro für Solo-Selbständige

Coronakrise schlägt Schuldenbremse

sp/Reuters Berlin – Die Bundesregierung ist in einer Notsituation wie der Coronakrise nach eigener Einschätzung nicht an die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse gebunden. Das geht aus einem Schreiben aus dem Haus von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) an den Bundestagsabgeordneten Sven Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) hervor, aus dem die Nachrichtenagentur Reuters zitiert. Drei Voraussetzungen müssten dafür laut Grundgesetz erfüllt sein, heißt es in dem Schreiben: “Die Notsituation muss außergewöhnlich sein, ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und sie muss die staatliche Finanzlage und den Haushalt erheblich beeinträchtigen.” Eine Pandemie dürfte nach Einschätzung von Experten alle drei Punkte erfüllen. 2,15 Millionen KurzarbeiterDie Bundesregierung hat bereits das Kurzarbeitergeld ausgeweitet, das nach der jüngsten Einschätzung des Arbeitsministeriums von bis zu 2,15 Millionen Beschäftigten in Anspruch genommen werden könnte. Das wäre eine noch nie dagewesene Zahl von Kurzarbeitern. Den von der Krise betroffenen Unternehmen hat die Regierung bereits vor einer Woche Liquiditätshilfen in praktisch unbegrenztem Umfang über Kredite der Förderbank KfW und Bürgschaften sowie liquiditätswirksame Steuererleichterungen in Aussicht gestellt. Beide Maßnahmen werden Milliarden kosten, auch wenn die genaue Summe erst nach der Krise absehbar werden dürfte. Darüber hinaus schnürt die große Koalition einen sogenannten Solidaritätsfonds im Volumen von mindestens 40 Mrd. Euro für Solo-Selbständige und Kleinstunternehmen, der am Montag im Kabinett beschlossen werden könnte. Sie sollen zeitlich befristet Hilfen erhalten, um Mieten und Leasinggebühren zahlen sowie betrieblichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Damit sollen Insolvenzen verhindert werden.Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bestärkte die Regierung in ihren Plänen. “Das ist das völlig richtige Signal in einer extrem schwierigen Situation”, sagte DIHK-Chef Eric Schweitzer. “Wenn der Umsatz über Nacht auf null rauscht, stehen sonst Hunderttausende Unternehmen, Kleinstbetriebe und Solo-Selbständige innerhalb von Wochen vor dem Nichts.”Eine mit den Plänen vertraute Person sagte Reuters, das 40-Milliarden-Paket könne die Bundesregierung nur mit Schulden finanzieren. Daher werde das Kabinett bei der Schuldenbremse die Ausnahme für Notfälle aktivieren. Geplant sei, dass das Kabinett am Montag einen Beschluss dazu treffen und der Bundestag diesen anschließend mit der Kanzlermehrheit verabschieden werde.In dem Schreiben des Finanzministeriums, das von der Parlamentarischen Staatssekretärin Bettina Hagedorn (SPD) verfasst wurde, heißt es, eine Obergrenze der zusätzlichen Verschuldungsmöglichkeiten sei nicht festgelegt, sobald alle Kriterien für Notfälle erfüllt seien. Zusätzlich habe der Bund auch für Nachtragshaushalte die Möglichkeit, die nach der Schuldenbremse zulässige Verschuldungsobergrenze um weitere 3 % der veranschlagten Steuereinnahmen zu überschreiten, wenn es unerwartete Entwicklungen auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite gebe. Das entspreche derzeit einem Betrag von rund 10 Mrd. Euro. Scholz hatte bereits am Freitag vergangener Woche, als er den von der Krise betroffenen Unternehmen zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unbegrenzte Liquiditätshilfen zusagte, die Möglichkeit eines Nachtragshaushalts nicht ausgeschlossen.Mit dem Parlamentsbeschluss zum Überschreiten der regulären Obergrenze in Höhe von 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes müsse ein Tilgungsplan erarbeitet werden, heißt es im Schreiben von Hagedorn weiter. Die Rückzahlung der Kredite müsse innerhalb eines “angemessenen Zeitraums” erfolgen.Die Bundesregierung hat erst in dieser Woche Eckwerte für die Haushaltsplanung 2021 und den Finanzplan bis 2024 beschlossen, ohne dabei die Belastungen der Coronakrise zu berücksichtigen. In dem Beschluss vom Mittwoch geht das Finanzministerium noch davon aus, dass der Bund ohne Nettokreditaufnahme auskommt. Im Kabinettsentwurf für den Eckwertebeschluss machte Finanzminister Olaf Scholz indessen bereits deutlich, dass die Pandemie erhebliche Auswirkungen auf die Haushaltsplanung haben wird. “Die Bundesregierung wird mit aller Kraft den wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise entgegentreten”, schrieb Scholz im Entwurf. Ziel müsse es sein, neben der vorrangigen Stärkung des Gesundheitssystems Unternehmen und Arbeitsplätze zu sichern. Dafür seien zahlreiche Maßnahmen mit Auswirkungen auch auf die Haushalte 2021 bis 2024 erforderlich. “Die dafür erforderlichen Mittel werden zusätzlich bereitgestellt.”