„Das ist nicht fair, und das ist nicht generationengerecht“
Im Interview: Sebastian Schäfer
„Nicht fair und nicht generationengerecht“
Der Grünen-Haushaltsexperte kritisiert die Schuldenpolitik der Bundesregierung und fordert einen stärkeren Fokus auf Sozialreformen und Finanzkriminalität
Der Grünen-Haushaltsexperte im Bundestag, Sebastian Schäfer, kritisiert, dass die schwarz-rote Koalition mit den Rekordschulden auch bestehende Programme und Wahlgeschenke finanziert. Er fordert im Interview, stattdessen stärker auf den Mehrwert der Ausgaben zu schauen und bei der Konsolidierung etwa auf Sozialreformen zu setzen oder auch die Finanzkriminalität stärker in den Blick zu nehmen.
Herr Schäfer, die Bundesregierung hat sich mit der EU-Kommission auf einen Nettoausgabenpfad bis 2029 verständigt. Die mittelfristige Finanzplanung der Koalition ist nach aktuellem Stand damit mit den EU-Fiskalregeln vereinbar. Alles in Butter also?
Die Erwartungshaltung der gesamten EU war lange, dass Deutschland mehr tun muss, mehr für die Verteidigungsfähigkeit, mehr für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Wir Grüne haben die Koalition im März genau dazu befähigt, indem wir das Sondervermögen und die Anpassung der Schuldenbremse bei den Ausgaben für unsere Sicherheit gemeinsam beschlossen haben. Jetzt muss die Koalition liefern und wirklich zusätzlich investieren. Das erwartet auch die EU-Kommission und so verstehe ich die Einigung auf den Ausgabenpfad mit der Bundesregierung.
Sie hatten den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das laufende Jahr als mutlos bezeichnet. Was kritisieren Sie genau?
Die Einigung aus dem März war klar: Wir brauchen zusätzliche Investitionen für Infrastruktur und Klimaschutz – neues Geld für neue Projekte. Wir haben jetzt die historische Chance, unser Land zukunftsfest zu machen. Wir sehen aber, dass die 100 Mrd. Euro für die Länder keinerlei Vorgaben zur Zusätzlichkeit beinhalten. Außerdem werden munter Programme aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen und in den Klimafonds verschoben. Das Geld fehlt dann für Klimaschutz, für Infrastruktur, für Digitalisierung, für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Stattdessen werden Wahlgeschenke finanziert, ohne Wachstumsrendite. Das können wir uns schlichtweg nicht leisten.
Am Mittwoch wird der Haushaltsentwurf für 2026 vorgelegt. Was erwarten beziehungsweise erhoffen Sie sich von dem Entwurf?
Ich wünsche mir einen Haushalt, der die Probleme im Land angeht, der entschlossen in die Zukunft investiert und der die Lasten fair verteilt. Schulden sind dann gerechtfertigt, wenn sie einen Mehrwert in der Zukunft bieten, wenn die volkswirtschaftliche Rendite höher ist als die Aufwendungen für Zinsen. Die Koalition nimmt aber Rekordschulden auf und finanziert damit bestehende Programme und Wahlgeschenke. Das ist nicht fair, und das ist nicht generationengerecht.
An welchen Stellen sollte Ihrer Ansicht nach eine Konsolidierung ansetzen?
Ich mache es mir nicht so einfach wie die Union, die alles – und wir sehen jetzt, dass es Wählertäuschung war – über Kürzungen beim Bürgergeld gegenfinanzieren wollte. Das ist einfach unseriös. Die wirtschaftliche Lage bleibt schwierig, die Unsicherheit für unsere Unternehmen ist groß. Deshalb braucht es eine Konzentration auf das Wesentliche. Kernthema muss immer unsere Wettbewerbsfähigkeit sein. Und wir müssen uns auch die Einnahmen anschauen. Deutschland ist immer noch ein Geldwäscheparadies. Und es muss um mehr Gerechtigkeit gehen. Es ist einfach nicht fair, dass 300 Wohnungen steuerfrei vererbt werden können oder der Gewinn bei Immobiliengeschäften steuerlich keine Rolle spielt.
Die Koalition spricht viel über Strukturreformen, ist aber noch nicht konkret geworfen. An welchen Stellen würden die Grünen mit Reformen ansetzen?
Die Bekämpfung von Finanzkriminalität habe ich bereits angesprochen. Darüber hinaus müssen wir unsere Sozialsysteme auf sichere Füße stellen. Deutschland wird älter, wodurch die Renten, die Pflege und die Krankenkassen zusätzlich belastet werden. Wir sehen, wie die öffentlichen Haushalte durch die Demografie unter Druck geraten. Das lässt sich nicht auf Dauer aufrechterhalten. Die Koalition verschiebt die Lösung dieser schwierigen Kernfragen immer weiter in die Zukunft. Dadurch werden die Probleme nur größer.
Sie schauen als Haushälter sicherlich auch nach Brüssel, wo die EU-Kommission jetzt ihre Vorstellungen für den nächsten mittelfristigen Finanzrahmen der Europäischen Union vorgestellt hat. Wie lautet Ihre erste Einschätzung dazu?
Wir brauchen in einer unsicheren Welt mehr Europa statt weniger. Die EU-Kommission hat mit der Trump-Regierung verhandelt, um Zölle zu verhindern. Sie setzt Sanktionen gegen Russland um, damit Putin nicht die Ukraine einnimmt. Wenn wir eine starke EU wollen, die auch neue, dringende Aufgaben wie im Verteidigungsbereich übernimmt, dann muss sich das auch im Haushalt widerspiegeln. Der unionsinterne Konflikt zwischen Ursula von der Leyen und Friedrich Merz darf die Europäische Union nicht lähmen.
Die Fragen stellte Andreas Heitker.
Die Fragen stellte Andreas Heitker.