Im InterviewVolker Wieland

„Das Risiko, dass die EZB die Zinsen zu spät senkt, halte ich nicht für groß“

Der Geldpolitik-Experte Volker Wieland hält das aktuelle Zinsniveau in der Eurozone für nicht besonders restriktiv. Vieles spreche daher dafür, die Leitzinsen nicht vor Juni zu senken.

„Das Risiko, dass die EZB die Zinsen zu spät senkt, halte ich nicht für groß“

Im Interview: Volker Wieland

„Das Risiko, dass die EZB die Zinsen zu spät senkt, halte ich nicht für groß“

Geldpolitik-Experte plädiert für Geduld bei Zinssenkungen und verweist auf weiter hohen Inflationsdruck in der Eurozone

Der Ökonom Volker Wieland hält das aktuelle Zinsniveau in der Eurozone für nicht besonders restriktiv. Vieles spreche daher dafür, die Leitzinsen nicht vor Juni zu senken. Dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) zum weiteren Kurs ab dem Sommer sehr bedeckt hält, ist für den Geld- politik-Experten die richtige Ent- scheidung.

Herr Wieland, welche Botschaft geht für Sie vom gestrigen Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) aus?

Die EZB ist noch nicht so weit, dass sie die Zinsen senken könnte. Vieles spricht dafür, dass im Juni eine Lockerung anstehen könnte. Das war zwar schon vorher die Erwartung vieler Beobachter, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist nun gestiegen. Eine Zinssenkung bereits im April ist unwahrscheinlicher geworden.

Weshalb?

Ein Hinweis dafür ist, dass Lagarde betont hat, dass erst bis zum Juni deutlich mehr Daten – etwa zur Lohnentwicklung – vorliegen werden. Diese Daten abwarten zu wollen ist nachvollziehbar.

Die Inflationsprognose für 2024 hat die EZB von 2,7 auf 2,3% gesenkt. Für Sie ein Signal, dass der Spielraum für eine frühe Zinssenkung größer geworden ist?

Zunächst mal ist es erfreulich, dass die Inflation weiter zurückgeht und auch in den kommenden Monaten nachlassen dürfte. Ich halte allerdings den Blick auf die Kernrate für wichtiger. Hier ist der Rückgang bei der Prognose von 2,7 auf 2,6% deutlich geringer. Auch an der inländischen Inflation sieht man, wie persistent die Teuerung noch ist.

Die hohe inländische Inflation, bei der die Importpreise herausgerechnet werden, hat Lagarde auch explizit erwähnt auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid.

Das begrüße ich sehr. Hierauf sollte die EZB einen stärkeren Blick werfen.

Letztlich ist es ja auch die inländische Inflation, welche die EZB mit ihrer Geldpolitik beeinflussen kann. Auf die Preisentwicklung der importierten Güter hat sie ja wenig Einfluss.

Das würde ich so nicht sagen. Die Geldpolitik wirkt sich auf die Wechselkurse aus, was wiederum die Importpreise beeinflusst.

Sie weisen darauf hin, dass der Inflationsdruck nach wie vor hoch ist. Heißt das, dass Sie die Gefahr, dass die EZB die Zinsen zu spät senken könnte, für gering halten?

Es besteht dieses Risiko. Allerdings halte ich es tatsächlich für nicht groß. Denn die Geldpolitik ist derzeit nicht besonders restriktiv. Die Marktzinsen liegen bei knapp unter 4%. Die Realzinsen in der Eurozone sind damit niedrig. Die Kernrate liegt nicht mal 1 Prozentpunkt darunter, die Gesamtrate weniger als 1,5 Prozentpunkte. In den USA ist das Zinsniveau höher, bei einer ähnlichen Inflationsrate.

Allerdings läuft die Konjunktur in der Eurozone schlechter als in den USA.

Das Risiko, dass die Geldpolitik der EZB zu einer Rezession im Euroraum führt, ist dennoch gering. In Deutschland könnte es 2024 eine Rezession geben, aber hier haben wir auch einiges angestellt, dass die Wirtschaft schlecht läuft. Das ist nicht die Schuld der EZB.

Sie sprechen von verfehlter deutscher Wirtschaftspolitik?

Ja. Die Bürokratie nimmt zu, und die Steuerbelastung für Unternehmen ist zu hoch. Es fehlt eine angebotsorientierte Politik die die Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessert. Außerdem war es ein Fehler, die Kernenergie abzuschalten, ohne ausreichende Alternativen zu haben. Die energieintensive Produktion ist aufgrund hoher Gas- und Strompreise stark zurückgegangen. Einer der wenigen Wettbewerbsvorteile, den Deutschland noch hat, ist, dass die Zinsen relativ niedrig sind. Staatsanleihen werden wegen der verhältnismäßig geringen Verschuldung der Bundesrepublik gering verzinst. Die hohe Bonität des Staates führt auch dazu, dass Unternehmen hierzulande sich im internationalen Vergleich relativ günstig Kapital leihen können.

Kommen wir zurück zum Thema Zinssenkungen. Sollte die EZB tatsächlich im Juni wie allgemein erwartet die Zinsen senken, könnte sie eventuell vor der Fed lockern. Halten Sie es für realistisch, dass die EZB bei der Zinswende den ersten Schritt macht?

Die Fed könnte durchaus noch vor der EZB die Zinsen senken. In der Vergangenheit war es häufig so, dass die Fed zuerst eine Richtungsänderung der Geldpolitik beschlossen hat. Aber nur weil es die Regel ist, heißt das nicht, dass es davon keine Ausnahmen geben kann.

Lagarde hat nach dem Zinsentscheid auch betont, dass die EZB ihre Geldpolitik nicht abhängig von den Entscheidungen der Fed mache. Sie halten diese Aussage also für glaubwürdig?

Ja, wenn die EZB zu dem Schluss kommt, dass es anhand ihrer Daten Zeit für eine Zinssenkung ist, dann wird sie diese beschließen, unabhängig davon, ob die Fed bis dahin bereits ihre Leitzinsen gesenkt hat oder nicht.

Die EZB hält sich bedeckt, wie der weitere Kurs nach der ersten Zinssenkung aussieht. Auch dann werde sie datenabhängig entscheiden. Würden Sie sich mehr Hinweise wünschen?

Ich halte es für richtig, dass sich die EZB von der Forward Guidance verabschiedet hat. Die Festlegung, wie genau die Geldpolitik in den kommenden Monaten aussieht, war mit ein Grund dafür, weshalb die EZB 2022 zu spät die Zinsen erhöht hat. Sie hatte sich mit ihren Ankündigungen quasi selbst eingemauert. Daher halte ich es für richtig – und eigentlich auch selbstverständlich –, dass sie jetzt die Datenabhängigkeit betont und sich alle Optionen offenlässt.

Lagarde hat am Donnerstag angekündigt, dass die EZB wahrscheinlich in der kommenden Woche ihr überarbeitetes geldpolitisches Rahmenwerk präsentiert. Was erwarten Sie da?

Sie wird wohl nicht mehr zum Rahmen von vor der Finanzkrise zurückkehren. Aber es wäre wünschenswert, wenn sie ihre Bilanz und ihr Anleiheportfolio deutlich verkleinern würde.

Halten Sie eine höhere Mindestreserve für Banken für sinnvoll?

Der springende Punkt dabei ist, dass diese nicht verzinst wird. Das Argument, dass die Banken an der Zinswende sehr viel verdienen, während die Notenbanken nun hohe Verluste einfahren, halte ich für zu kurz gegriffen. Die Geschäftsbanken Europas sind im internationalen Vergleich nicht sonderlich profitabel. Eine starke Erhöhung der Mindestreserve kann man als Steuer auf die Banken sehen. Das würde die Profitabilität weiter senken. Mit Blick auf die Finanzstabilität halte ich das nicht für sinnvoll. Dass es nach der Pleite einiger US-Regionalbanken keine Pleite einer größeren Bank im Euroraum gegeben hat, liegt möglicherweise auch an der relativ großzügigen Politik der EZB gegenüber den Banken.

In den vergangenen Tagen ist auch die Frage wieder hochgekocht, ob die EZB das Thema Nachhaltigkeit bei der Geldpolitik berücksichtigen sollte. Wie sehen Sie das?

Die EZB hat Kontrolle über ihre eigenen Treibhausgasemissionen und kann sich hier die Frage stellen, wo es sinnvoll ist, einzusparen. Ihren Einfluss auf die Emissionen des Euroraums halte ich jedoch für sehr gering. Hier sind die Instrumente der CO2-Steuer und des Emissionshandels wesentlich effektiver als etwa die Politik bei den Anleihekäufen der EZB.

Die Fragen stellte Martin Pirkl.

Volker Wieland ist Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stablity (IMFS). Zuvor war er unter anderem Professor für Geldpolitik und Geldtheorie an der Goethe-Universität Frankfurt und von 2013 bis 2022 „Wirtschaftsweiser“.