Der blinde Fleck in der deutschen Investitionsdebatte
Der blinde Fleck in der deutschen Investitionsdebatte
Der blinde Fleck in der deutschen Investitionsdebatte
Der öffentliche Fokus auf den Fiskalimpuls via Sondervermögen lässt vergessen, dass es wichtiger wäre, die Investitionsbedingungen insgesamt zu verbessern.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Der fiskalische Impuls aus dem Sondervermögen kann zwar private Investitionen hebeln, aber zielführender wäre es, wenn die Bundesregierung die Investitionsbedingungen insgesamt wieder in den Fokus nimmt, statt industriepolitisch zu denken. Thema Steuern und Beiträge, Abschreibungen, bürokratische Entlastung und ein verlässliches wirtschaftspolitisches Umfeld.
Es brauchte viele politische Verrenkungen, bis das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) endlich mit den Mehrheiten des vorherigen „Ampel-Bundestags“ beschlossen war. Dafür wurde sogar das Grundgesetz geändert. Der neuen Bundesregierung wurde erlaubt, 500 Mrd. Euro zusätzlich an Krediten aufzunehmen und hierfür die Regeln der Schuldenbremse nicht beachten zu müssen. Bedingung: Das Geld muss zusätzlich für spezifizierte Investitionen hergenommen werden.
Angesichts des Zustands der deutschen Infrastruktur ein überfälliger Schritt. Denn nur auf der Basis eines intakten und modernen Standorts sind Unternehmen in der Lage, trotz hoher Arbeitskosten ihre Produkte noch zu wettbewerbsfähigen Preisen auf den Markt zu bringen. Ökonomen wie der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, und der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, hatten der Politik zuvor zu diesem Schritt geraten. Der Standort Deutschland sei in Gefahr in die zweite Liga abzurutschen, warnten sie.
Industriepolitische Züge
Die Debatte um den Fiskalimpuls nimmt aber inzwischen groteske Züge an. Als ob die staatlichen Investitionen mit einem Schlag tatsächlich in der Lage wären, die deutsche Wirtschaft aus der Umklammerung von Rezession, Produktivitätsschwäche und technologischem Biedermeier zu retten. Plötzlich gilt der industriepolitisch handelnde Staat, der Preise heruntersubventioniert, ein paar neue Brücken und Straßen baut, die Bahn ertüchtigt und die Dächer von Schulen abdichtet als Modernisierungsheld für die ganze Wirtschaft.
Auch an den Finanzmärkten wurde die „Wende“ in der deutschen Wirtschafts- und Fiskalpolitik gefeiert. Deutschland gilt nun als Bekehrter, weil das Land wie andere Volkswirtschaften auch wieder auf den Verschuldungspfad zurückgekehrt ist. Die Märkte jubelten über das frische (Kredit-)Geld, Konjunktur und Standort würden davon profitieren, so die Prophezeiung.
Multiplikatoreffekt wirkt
Der Multiplikatoreffekt staatlicher Investitionsausgaben wirkt durchaus wachstumsstärkend. Höhere Staatsausgaben entfachen zunächst ein konjunkturelles Strohfeuer, gut gezielte fiskalische Impulse führen zudem zu einer ganzen Reihe privater Folgeinvestitionen und heben das Wachstumspotenzial, und eine modernisierte physische und digitale Infrastrukturbasis steigert obendrein die Produktivität aller Unternehmen. Doch viel entscheidender ist ein anderer Akteur: die privaten Investoren selber. Deren Investitionsvolumen ist gleich um Dimensionen höher; und damit ist auch deren Hebel für Wachstum und Produktivität viel größer.
Zum Vergleich: Die privaten Bruttoanlageinvestitionen lagen im vergangenen Jahr bei knapp 18% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die staatlichen nur bei 2,9%. Und während die Ausgaben des Fiskus für Infrastruktur und Ausrüstung seit vielen Jahren schwach sind, immerhin aber immerhin ihr Niveau halten, sind die privaten Ausgaben für Ausrüstungen und Anlagen seit Jahren im Niedergang. Die ganzen 90er Jahren hindurch hatten sie noch klar über 20% des BIP gelegen.
Erfolgreicher Wachstumsbooster
Statt das Sondervermögen zum Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaftspolitik zu erklären, wäre es also viel erfolgversprechender alles zu tun, um die privaten Investitionen anzuheizen. Dazu mögen die staatlichen Investitionsausgaben beitragen, weil sie die infrastrukturelle Basis ertüchtigen, aber entscheidend ist, das Niveau der Unternehmensinvestitionen wieder langfristig auf ein höheres Niveau zu hieven.
Eines der Instrumente hierzu ist der im Juli beschlossene „Wachstumsbooster“, mit dem die Bundesregierung immerhin schon einmal die degressive Abschreibung erleichtert und erweitert sowie die Forschungszulage verbessert hat. Doch an jene Rahmenbedingungen, die nachhaltig für ein besseres Investitionsklima sorgen, hat sich die schwarz-rote Koalition noch nicht herangetraut. Bisher wurden nur Versprechen abgegeben wie die Körperschaftsteuer senken zu wollen oder die Autozulassung zu digitalisieren und zentralisieren. Oder dass die Stromkosten heruntersubventioniert werden – auch nur eine Zwischenlösung, weil das System insgesamt dysfunktional ist.
Bürokratie und Steuern
Letztlich geht es um „traditionelle“ Themen: Bürokratiekosten, Regulierung, Steuern und vor allem ein allgemein investitionsfreundlicheres Klima, auf das Investoren langfristig bauen können. Doch Debatten zur Anhebung der Erbschafts- und Vermögenssteuer, höhere Unternehmenssteuern, eine Rentenpolitik, die absehbar die Sozialabgaben steigert und damit die Arbeitskosten nach oben treibt, verunsichern Investoren. Hinzu kommt ein Klima, das Innovationen und Modernisierung eher bremst und in Richtung Anti-Kapitalismus tendiert.
Kurz: Ohne einen „Herbst der Reformen“ werden weder die segensreichen Wirkungen des Sondervermögens eintreten, weil ein Großteil in Inflation verpufft und private Folgeinvestitionen kleiner ausfallen. Noch wird der Privatsektor insgesamt genügend Vertrauen bilden, um eigenes Geld in die Hand zu nehmen, das er dann in den Standort investiert.