NOTIERT IN WASHINGTON

"Der gefährlichste Mann der Welt"

Memoiren über sonderbare Karrierestationen, die sie als ranghohe Mitarbeiter von US-Präsident Donald Trump durchmachten, haben schon zahlreiche Autoren geschrieben. Zuletzt warf der frühere Sicherheitsberater John Bolton dem Präsidenten unter...

"Der gefährlichste Mann der Welt"

Memoiren über sonderbare Karrierestationen, die sie als ranghohe Mitarbeiter von US-Präsident Donald Trump durchmachten, haben schon zahlreiche Autoren geschrieben. Zuletzt warf der frühere Sicherheitsberater John Bolton dem Präsidenten unter anderem vor, China Handelsvorteile als Gegenleistung für Wahlmanipulation in den USA angeboten zu haben. Beispiele von ungeniertem Amtsmissbrauch zählte Bolton in Hülle und Fülle auf, verblasst mit seinen Schilderungen aber dennoch gegenüber der ersten Biografie, die ein Mitglied der Präsidentenfamilie, nämlich Trumps Nichte Mary, verfasst hat. Die Psychologin zeichnet das vernichtende Bild eines zutiefst verunsicherten Soziopathen, der seit seiner Kindheit unter der repressiven Erziehung litt, die Trumps Vater Fred ihm angedeihen ließ. Mary vergleicht das Leben ihres Onkels mit dem eines Menschen, der sein Leben lang von Ärzten laufend in neue Anstalten eingewiesen wurde. Beginnend mit der Unterdrückung im eigenen Elternhaus, gefolgt von dem Besuch einer strikten Militärakademie, dem isolierten Leben in seinem New Yorker Wolkenkratzer “Trump Tower” und seit dreieinhalb Jahren schließlich dem Weißen Haus. Der entscheidende Unterschied im Regierungssitz: Damit, dass Trump sich die Zulassung zur Universität erschlich, indem er einen Kommilitonen seine Aufnahmeprüfung machen ließ, er seine Geschwister um ihr Erbe betrog und sich schon immer über dem Gesetz wähnte, konnte er als Privatbürger und Geschäftsmann vielleicht noch durchkommen. Als Präsident steht er aber erstmals im grellen Rampenlicht, wo jedes Wort und jede politische Handlung in die Waagschale gelegt werden und Medien ihn schonungslos zur Rechenschaft ziehen. Wie auch als Geschäftsmann habe Marys Onkel das Personalkarussell folglich so lange mit der Entlassung wenig bekannter Berater bis hin zu Kabinettsmitgliedern in Bewegung gehalten, bis er nur noch von Handlangern umgeben war, die dem Präsidenten bedingungslos zur Seite stehen.Der Grund laut Trumps Nichte: Würde der Präsident als Hochstapler und Betrüger enttarnt, hätte sein “innerer Kreis” im Weißen Haus ebenfalls alles zu verlieren und würde sich daher hinter einem Mantel des Schweigens verstecken. Dasselbe gelte für den engsten Familienkreis des Präsidenten, in dem schon immer eine strikte Schweigepflicht und ein Verhaltenskodex wie in der Mafia gälten. Gegner und Kritiker, die Trump bloßstellen wollten, müssten folglich mit Einschüchterung, Prozessen, Jobverlusten und selbst Gefängnisstrafen rechnen. Gerade jene Machtfülle, über die er als Präsident verfügt, beispielsweise mit der Rückendeckung seines Justizministers William Barr Gegner anklagen oder gar inhaftieren zu lassen, mache ihn so gefährlich. Sonderbar findet Trumps Nichte vor allem, dass die Geschwister des Präsidenten, die ihn für “abstoßend und völlig ungeeignet fürs Amt” hielten, nicht mehr unternahmen, um seine Präsidentschaft zu verhindern.”Sie können auf keinen Fall geglaubt haben, dass sich Donald als Präsident weiterhin kritischer Überprüfung würde entziehen können”, ist die Nichte überzeugt. Langsam, aber sicher werde nun die dünne Fassade, mit der Korruption bisher kaschiert werden konnte, zerbrechen. “Die gut bewachte und gepolsterte Zelle, in der er lebt, beginnt sich nun aufzulösen”, fasst sie die Stimmung in einem Land zusammen, dessen Präsident in der Wählergunst immer weiter abrutscht und in weniger als vier Monaten ernsthaft um die Wiederwahl bangen muss. Einstweilen verfügt er aber weiterhin über eine kolossale Machtfülle, die Trump ausschöpft wie keiner seiner Vorgänger. Und zwar nicht selten zum eigenen Vorteil, ob politisch oder finanziell, und gleichzeitig zum Nachteil seiner Gegner. Kein Wunder, dass die Psychologin ihren Onkel den “gefährlichsten Mann der Welt” nennt.Nur dank eines Gerichtsverfahrens darf Mary nun auch Interviews geben und offen über ihr Buch reden, das schon vor der Veröffentlichung die Bestsellerlisten anführte. Wie auch bei Bolton und anderen hatten die Anwälte des Präsidenten versucht, per einstweiliger Verfügung die Publikation zu blockieren, blitzten damit aber beim Richter ab.