Der heikle Umgang der EZB mit dem Klimawandel
Der heikle Umgang der EZB mit dem Klimawandel
EZB-Zielkonflikte bei ihrer „Klimapolitik“
Umweltveränderungen wirken sich auf Finanzstabilität, Inflation und Wirtschaftswachstum aus – Kompetenzüberschreitung?
Die EZB steht bei einigen Investoren und Ökonomen in der Kritik, sich bei ihrer Arbeit zu sehr auf den Klimawandel zu konzentrieren. Die Notenbank hat jedoch auch einige Argumente parat, weshalb sie das für nötig erachtet. Der Umgang mit dem Thema ist ein Balanceakt.
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Die EZB zieht in der Bankenaufsicht die Daumenschrauben an. Vergangene Woche verhängte sie eine Geldstrafe gegen die spanische Bank Abanca, weil sie Klimarisiken in ihren Büchern nicht ausreichend bewertet und dokumentiert habe. Ein ähnliches Schicksal droht der Crédit Agricole. Zudem gilt ab dem kommenden Jahr ein Klimafaktor für Sicherheiten, die Geschäftsbanken bei der EZB hinterlegen. In der Geldpolitik nehmen die ökonomischen Klimarisiken in den Diskussionen eine immer größere Rolle ein.
Eine zu große, nach Ansicht einiger Finanzmarktteilnehmer und Ökonomen. So warnt etwa der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing, die EZB sollte sich auf ihr Kernmandat Preisstabilität konzentrieren. Alles andere wäre eine Überschreitung ihrer Kompetenzen und würde damit Legitimität einer politisch unabhängigen Notenbank untergraben. Sie sollte die Folgen des Klimawandels auf Inflation, Wachstum und Finanzstabilität zwar berücksichtigen. Klimaschutz sollte sie aber der Politik überlassen.
Sekundäres Mandat der EZB
„Die EZB verfügt anders als die Regierungen nicht über geeignete Instrumente zur Begrenzung des CO₂-Ausstoßes“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Es ist nicht die Aufgabe der EZB, Klimapolitik zu betreiben“, sagt Volker Wieland, Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) der Goethe-Universität Frankfurt, und ergänzt: „Sie hätte dafür auch nicht die richtigen Instrumente.“
EZB-Direktor Frank Elderson hält dagegen. Es sei sehr wohl die Aufgabe der EZB, den Klimawandel in ihrer Geldpolitik stark zu berücksichtigen. Er verweist auf das sekundäre Mandat der EZB gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). So soll die EZB, sofern es dem primären Mandat der Preisstabilität nicht entgegen spricht, mit ihren Maßnahmen die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU unterstützen.
Preisstabilität mit Klimafokus
Welche Ziele die Wirtschaftspolitik der EU verfolgt, ist in Art. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) beschrieben. Mit dabei ist ein „hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität“. „Wir tun nur, was unser Mandat erfordert“, sagte Elderson kürzlich auf einer Konferenz in Frankfurt. Der Niederländer im EZB-Direktorium ist zudem Co-Vorsitzender der „Taskforce on Climate-related Financial Risks“ des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht.
„Wir helfen Banken dabei, resilient zu sein und kümmern uns um die Preisstabilität“, sagte Elderson. Dies könne die EZB nicht gewährleisten, wenn sie den Klimawandel ignoriere. „Dann würden wir uns weigern, unseren Job richtigzumachen.“ In der Bankenaufsicht ginge es zudem nicht darum, Banken Investitionen in umweltschädliche Branchen zu verbieten. Das sei nicht die Aufgabe der EZB. Es gehe darum, die Banken dazu zu bringen, Klimarisiken in ihrer Risikovorsorge ausreichend zu berücksichtigen und so die Finanzstabilität zu erhöhen.
Folgen für die Finanzstabilität
Für eine Notenbank ist der Umgang mit dem Thema Klimawandel in jedem Fall heikel. „Eine geldpolitische Unterstützung der Wirtschaftspolitik kann die Verfolgung des Primärziels der Preisstabilität stören“, schreibt Johann Walter, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen in einer Analyse. Es können also klassische Zielkonflikte entstehen.
Drohender Zielkonflikt für die EZB
Walter hält es jedoch für möglich, diese zu vermeiden. „Die EZB könnte z. B. grüne Anleiheankäufe in einem inflationsneutralen Volumen realisieren, während sie gleichzeitig regionale Ziele durch spezifische Kreditgeschäfte verfolgt, ohne das ‚inflationsneutral‘ gewählte Niveau der Refinanzierungszinsen grundsätzlich zu ändern.“
Kehrtwende der Fed
Das Network for Greening the Financial System (NGFS), ein Netzwerk von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden aus aller Welt, warnte kürzlich „vor steigenden wirtschaftlichen Kosten der Untätigkeit im Klimabereich, mit erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Risiken, die Auswirkungen auf die Kernaufgaben der Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden haben.“
Das NGFS ist seit seiner Gründung Ende 2017 mit acht Mitgliedern – darunter die Bundesbank – stetig gewachsen. Nach eigenen Angaben waren im Oktober 148 Institutionen Mitglieder und 23 hatten einen Beobachter-Status. Nicht mehr mit dabei ist die Fed. Sie verließ Anfang des Jahres das Netzwerk. Dessen Tätigkeiten würden über das Mandat der US-Notenbank hinausgehen, sagte Fed-Chef Jerome Powell zum Austritt. Es sei nicht die Aufgabe der Fed zur Unterstützung der grünen Transformation der Wirtschaft beizutragen. Offen ist, welche Rolle der politische Wechsel im Weißen Haus bei dem Austritt gespielt hat. Auch wenn Powell jeglichen Zusammenhang bestreitet.
Hohe wirtschaftliche Schäden
Dass der Klimawandel erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht und die Preisentwicklung beeinflusst, darüber herrscht wissenschaftlicher Konsens. Die Höhe der Effekte sind jedoch schwer vorauszusagen. Viele der Schätzungen deuten jedoch auf gravierende wirtschaftliche Schäden hin. Die Allianz kommt in einer aktuellen Untersuchung zum Schluss, dass die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung von natürlichen Ressourcen abhängt. Sollte sich der Verlust der Biodiversität bis 2030 im aktuellen Tempo fortsetzen, wäre das globale BIP 2,3% niedriger als in einer hypothetischen Welt, in der die Biodiversität weiter auf dem Stand von 2020 ist.

Die wirtschaftlichen Schäden, die Kosten der grünen Transformation der Wirtschaft und wetterbedingte Auswirkungen auf Ernten, dürften allesamt Effekte auf die Preisentwicklung im Euroraum haben. Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der EZB, könnten allein die steigenden Temperaturen die globale Lebensmittelinflation um 3,2 Prozentpunkte und die Gesamtinflation um 1,18 Prozentpunkte jährlich bis 2035 erhöhen.
