„Der schwächere Dollar ist ein Risiko für Europa und die EZB“
„Der schwächere Dollar ist ein Risiko für Europa und die EZB“
Im Interview: Mahmood Pradhan
„Der schwächere Dollar ist ein Risiko für Europa“
Der Head of Global Macro des Amundi Investment Institute blickt pessimistisch auf die europäische Wirtschaft und erwartet weitere Zinssenkungen der EZB
An den Finanzmärkten wird inzwischen mehrheitlich davon ausgegangen, dass die EZB keine weiteren Zinssenkungen mehr beschließt. Mahmood Pradhan sieht das anders. Der Head of Global Macro des Amundi Investment Instituts hält die Effekte der Zölle für größer als allgemein angenommen. Wie sein Zinsausblick für EZB und Fed aussieht, erläutert er im Interview.
Herr Pradhan, die Finanzmärkte erwarten derzeit Zinssenkungen der Fed um 50 Basispunkte bis Ende des Jahres. Wie sieht Ihr Zinsausblick für die USA aus?
Die Markterwartungen sind derzeit volatil. Vor kurzem haben Investoren wegen möglicher Veränderungen im Federal Reserve Board noch sechs Zinssenkungen der Fed bis Ende 2026 eingepreist. Wir erwarten eine etwas langsamere Lockerung mit zwei Zinsschritten bis Ende 2025 und zwei weiteren im kommenden Jahr. Dies vor allem, weil sich die US-Wirtschaft abschwächt und die Geldpolitik weiterhin restriktiv ist. Sollte es zu einer wesentlichen Veränderung im Board der Federal Reserve kommen, könnten weitere Zinsschritte folgen.
Die Inflation in den USA liegt bereits über dem Zielwert der Fed und die Zölle dürften ihre preistreibenden Effekte noch gar nicht voll entfaltet haben. Sind da überhaupt mehrere Zinssenkungen angemessen?
Wir erwarten, dass sich die Zölle eher negativ auf das US-Wachstum als auf die Inflation auswirken werden. Der Arbeitsmarkt schwächt sich bereits ab. Und obwohl die Investitionen im Tech-Sektor, gerade bei KI, boomen, ist dies kein Sektor, der mehr Arbeitskräfte einstellt. Der Einsatz dieser neuen Technologien wird im Gegenteil wahrscheinlich eher dafür sorgen, dass Arbeitskräfte abgebaut werden.
Welche Folgen hätten Zinssenkungen der Fed, die angesichts der Inflations- und Konjunkturdaten nicht gerechtfertigt sind?
Sollte die Fed die Zinsen zu stark senken, würden die Inflation und vor allem die Inflationserwartungen steigen. Sie würde zu höheren Renditen für längerfristige US-Staatsanleihen führen und wäre ein Problem für die US-Regierung, da dies den Schuldendienst erheblich erhöhen könnte.
Sind Sie überrascht, dass sich die Zölle bislang wenig auf die US-Inflation auswirken?
Nein, bin ich nicht. Zum einen wurden die Zölle erwartet. US-Unternehmen haben daher Importe vorgezogen. Zum anderen sind die Zölle teilweise deutlich niedriger als es den Anschein macht. Nehmen wir Kanada, hier gilt ein Basiszollsatz von 25%. Allerdings fallen 90% der US-Importe aus Kanada unter das Freihandelsabkommen USMCA. Diese sind von den Zöllen ausgenommen. Über alle Güter hinweg liegt der effektive US-Zollsatz auf kanadische Exporte daher nur bei rund 6%. Ähnlich sieht die Lage im Handel mit Mexiko aus.
Meine Sorge gilt nicht einer erhöhten Inflation, sondern den gedämpften Wachstumsaussichten – auch angesichts fehlender wichtiger Reformen.
Mahmood Pradhan, Amundi Investment Institute
Ökonomen sind sich einig, dass die Zölle die US-Inflation erhöhen werden, für die Eurozone fallen die Analysen unterschiedlicher aus. Was ist Ihre Prognose?
Da die EU keine Gegenzölle verhängt hat, sind die Nettoeffekte für die Eurozone disinflationär. Die US-Zölle reduzieren die Exporte der EU, was sich preisdämpfend in Europa auswirken wird. Meine Sorge gilt nicht einer erhöhten Inflation, sondern den gedämpften Wachstumsaussichten – auch angesichts fehlender wichtiger Reformen. Offizielle Prognosen der Europäischen Kommission und der EZB sind mir etwas zu optimistisch.
Weshalb?
Sie erwarten, dass das Handelsabkommen mit den USA die Unsicherheit verringert, das Verbrauchervertrauen stärkt und den Konsum ankurbelt. Ich befürchte jedoch, dass die Unsicherheit im Handel anhalten wird. Das Wachstum der europäischen Wirtschaft hängt also von den Verbrauchern ab. Auch, wenn diese hohe Ersparnisse haben, und prinzipiell mehr ausgeben könnten, blieb der Konsum bereits seit zwei Jahren hinter den Erwartungen zurück.
Viele Finanzmarktteilnehmer erwarten inzwischen keine Zinssenkung der EZB mehr. Wenn ich Ihre Ausführungen so höre, rechnen Sie mit etwas anderem, oder?
Ich gehe von einer Zinssenkung im Dezember und einer weiteren im ersten Halbjahr 2026 aus. Der Inflationsdruck in der Eurozone ist gering und der Lohndruck hat sich abgeschwächt. Die Inflationsprognosen der EZB für 2026 und 2027 liegen außerdem unter dem Zielwert von 2%. Daher erwarte ich, dass die EZB im Falle einer Wachstumsabschwächung die Zinsen senken könnte.
Der Euro hat in diesem Jahr deutlich gegenüber dem Dollar aufgewertet, ein Trend, der sich fortsetzen könnte. Könnte das ein Argument für eine Zinssenkung der EZB werden?
Der schwächere Dollar ist ein Risiko für Europa und die EZB. Bei einem Kurs von 1,25 Euro je Dollar würde die EZB meiner Meinung nach ihre Inflationsprognose senken und sich auch Sorgen um die Nachfrage machen. Angesichts des hohen Anteils der EU-Exporte in die USA ist der US-Dollar-Euro-Wechselkurs nach wie vor für Europa zentral. Die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Exporte hat bereits unter effektiven Zöllen von etwa 15 bis 20 Prozent und einer Aufwertung des Euro um 10 Prozent gelitten. Wenn der Dollar weiter an Wert verliert, wird dieser Effekt noch größer sein.
Die Anwendung des TPI wäre weder angemessen noch notwendig.
Mahmood Pradhan, Amundi Investment Institute
Frankreich steckt in einer tiefen politischen Krise und tut sich schwer mit der Konsolidierung der Fiskalpolitik. Wird dies Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB haben? Immerhin ist Frankreich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone.
Die in Frankreich zur Diskussion stehenden fiskalischen Anpassungen sind nicht so umfangreich, und die Auswirkungen auf die französische Wirtschaft sind überschaubar. Wichtig ist ebenfalls, dass wir keine Ansteckungseffekte auf den Rest der Eurozone festgestellt haben. So sind beispielsweise die Kreditkosten Italiens, Spaniens und Portugals weiter gesunken. Ich sehe somit keine Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB.
Immer wieder kommt es am Finanzmarkt zu Diskussionen, ob die EZB wegen Frankreich ihr Programm TPI aktivieren und Staatsanleihen kaufen könnte – auch wenn die Notenbank stets betont, dass sie sich damit nicht beschäftigt.
Die Hürden für das TPI-Programm sind absichtlich hoch. Das Design der EZB schreibt vor, dass die Spreads eines Landes weit über dem liegen müssen, was anhand der wirtschaftlichen Fundamentaldaten gerechtfertigt ist. Davon sind wir sehr weit entfernt. Außerdem liegt das Defizit Frankreichs etwas über den von der EU festgelegten Grenzen. Zusammengenommen bedeuten dies, dass die Anwendung des TPI weder angemessen noch notwendig wäre.
Das Interview führte Martin Pirkl.