„Der Vorschlag eines Sondervermögens war naiv“
Im Interview: Friedrich Heinemann
„Der Vorschlag eines Sondervermögens war naiv“
ZEW-Finanzökonom kritisiert Mitnahmeeffekte und Mittelverschiebungen beim Bundeshaushalt – Mehr Überwachung nötig – Geld für „schöne Narrative“
Eine Gruppe von Ökonomen hat das Sondervermögen für die Infrastruktur vorgeschlagen, dabei aber übersehen, dass die Politik das Geld eher für Gegenwartsinteressen und Transfers verpulvert, kritisiert der Fiskalfachmann vom ZEW in Mannheim. Berlin fehlt seines Erachtens zudem die Kraft für überfällige Strukturreformen.
Herr Heinemann, die Staatsverschuldung weltweit nimmt wieder deutlich zu. Die Kritik daran scheint an den Regierungen abzuperlen. Warum ist das so? Warum sind Schulden so sexy für Staaten?
Wir sehen fiskalisch überall einen äußerst ungesunden Mix: Die alternde Bevölkerung und die geopolitische Zeitenwende erhöht den Druck auf die Staatsausgaben. Beide Entwicklungen bremsen gleichzeitig die Wachstumsmöglichkeiten und damit die Fähigkeit zur Erzielung von Steuereinnahmen. Das Arbeitsangebot und die Innovationskraft fallen in einer grauhaarigen Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die alternde Wählerschaft einen wachsenden Appetit auf Renten-, Gesundheits- und Pflegeleistungen hat.
Weder linke noch rechte Parteien wollen sich doch mit den Rentnern anlegen.
Also nicht unbedingt „sexy“.
Doch schon. Schulden waren immer schon sexy für die Politiker, weil sie Versprechungen mit dem Geld der Steuerzahler machen konnten, aber jetzt führt immer seltener ein Weg daran vorbei. Weder linke noch rechte Parteien wollen sich doch mit den Rentnern anlegen. Also gelingt keine Eindämmung in den Expansionsraten der Transfers. Höhere Steuern sind dann auch keine Lösung, weil sie den Teufelskreis aus sinkender Arbeitsbereitschaft und weiter fallendem Wachstumspotential noch anheizen würden.

ZEW
Anders gefragt: Unter welchen Bedingungen wäre Staatsverschuldung eigentlich gerechtfertigt?
Nachhaltigkeit und wachsende Staatsverschuldung wären kein Widerspruch, wenn mit den wachsenden staatlichen Verbindlichkeiten auch die Aktiva einer Volkswirtschaft zulegen würden. Ob das nun Infrastruktur, Humankapital oder Technologie ist. Dann wäre eine höhere Verschuldung vertretbar und nachfolgenden Generationen gegenüber fair. Genau das ist ja auch das Narrativ des Sondervermögens und es wird auch das Narrativ aller Reformideen für eine dauerhafte Reform der Schuldenbremse sein, zu der die Reformkommission im Herbst startet.
Die Politik wird bei jeder neuen Regel anfangen, diese kreativ zu interpretieren.
Das Sondervermögen – besser: die Sonderschulden – für Infrastruktur und Klimaneutralität in Deutschland wurden von Ökonomen erdacht, gefordert und schließlich von der Politik dankbar umgesetzt. Wie müsste man diese Sonderausgaben gestalten, damit sie zu rechtfertigen wären?
Hier kommt es auf ein kluges Design an. Das würde klare Regeln zur Zusätzlichkeit und eine unabhängige Überwachung umfassen. Eine Zusätzlichkeitsregel müsste sicherstellen, dass neue Schulden wirklich nur dann erlaubt sind, wenn die Höhe der Zukunftsausgaben im Vergleich zum Referenzwert in gleicher Höhe steigt. Ein logischer Referenzwert wäre die Höhe der Zukunftsausgaben vor Errichtung des Sondervermögens. Egal, wie genau man so eine Regel macht, die Politik würde aber sofort anfangen, diese kreativ zu interpretieren und zu umgehen. Daher müsste es zusätzlich eine unabhängige Überwachung geben, z.B. durch den Rechnungshof, die Bundesbank oder den Sachverständigenrat. Das ist leider nicht der Fall.
Das mit dem Sondervermögen ist bislang alles andere als optimal gelaufen
Erfüllt der jetzt vorgelegte Bundeshaushalt und die mittelfristige Finanzplanung für die nächsten Jahre diese Bedingungen?
Nein, überhaupt nicht! Das mit dem Sondervermögen ist bislang alles andere als optimal gelaufen. Der Referenzwert für die Zusätzlichkeit – 10% Investitionen im Kernhaushalt – war wenig ehrgeizig gewählt und ist nicht frei von Umgehungsmöglichkeiten. Schlimmer noch ist, dass sich im aktuellen Gesetzgebungsverfahren der völlige Verzicht auf eine Zusätzlichkeitsregel für die Milliarden abzeichnet, die an die Länder, Kommunen und den Klimafonds gehen. Von diesen 200 Mrd. Euro dürften dann wesentliche Teile für Mitnahmeeffekte und faktische Umnutzung für Transfers und andere Gegenwartsausgaben wie Strompreissubventionen fehlverwendet werden.
Was ist schiefgelaufen? Haben die ökonomischen Ideengeber die politischen Mechanismen unterschätzt?
Wir haben in der Politikberatung ein wachsendes Problem damit, dass viele Fachleute zwar heute exzellente Empiriker sind und auch eine hohe Expertise in der neoklassischen Theorie haben. Vertreter der politischen Ökonomie sind jedoch immer seltener in den Expertengremien anzutreffen. Das ist aber genau die Denkrichtung, die sich mit den Anreizen von Politikern, Bürokraten und Interessengruppen befasst und daher keine naiven Politikvorschläge macht.
Mit welchen Folgen?
Im Grunde war der Vorschlag eines Sondervermögens naiv, weil die Befürworter ihn nicht in ein Gesamtpaket aus Sozialstaatsreformen und unabhängiger Überwachung eingebettet haben. Die Berater dachten tatsächlich, dass die Politik 500 Mrd. Euro in die Zukunft investiert, wenn man sie darum bittet.
Es werden Schulden mit einem schönen Narrativ gemacht, die aber dann in der Realität für Transfers und Gegenwartsinteressen verpulvert werden.
Und das ist jetzt nicht der Fall.
Genau. Jetzt passiert eben genau das, was ein Politökonom immer vorhergesagt hätte: Es werden Schulden mit einem schönen Narrativ gemacht, die aber dann in der Realität für Transfers und Gegenwartsinteressen verpulvert werden.
Lässt sich daran noch etwas ändern?
Man müsste zwei Dinge korrigieren: Erstens die Zusätzlichkeitsregel schärfen und zweitens wie schon ausgeführt eine starke unabhängige Überwachung dieser Regel etablieren. Daran haben aber weder der Bund noch die Länder irgendein Interesse, so dass das nicht passieren wird. Es zeichnet sich jetzt zum Beispiel für die Expertenanhörung zum Sondervermögen ab, dass Ökonomen, die besonders stark auf solche Nachbesserungen dringen, von der Regierungskoalition nicht einmal als Experten eingeladen werden.
Sind wir also bereits in einer Phase, in der es wegen immer höherer Sozialausgaben, demografischer Veränderungen und den immer engeren Mehrheiten der Bundesregierung überhaupt keine Bewegungsfreiheit mehr für Reformen gibt?
Ja, ich fürchte, dass wir an diesem Punkt angelangt sind. Der Medianwähler in Deutschland ist um die Mitte 50 und die Wahlbeteiligung der älteren Wähler ist höher als die der jungen. Wir leben nun also in einer Gerontokratie, in der Herrschaft der Alten. Nun sind die älteren Menschen keineswegs unklug und Egomanen – aber umfassende Sozialstaatsreformen mit einer Rücknahme von Leistungen sind in dieser Gruppe einfach nicht beliebt. Man ist im Alter auch sicher nicht mehr begeistert über Reformen, die in zehn oder zwanzig Jahren eine bessere Zukunft versprechen, aber in der Gegenwart Verzicht.
Wir müssen wohl auf den berühmten TINA-Moment warten, das Gefühl „there is no alternative“ zur Reform.
Was müsste man tun, um diesen Knoten zu durchschlagen?
Leider müssen wir wohl auf den berühmten TINA-Moment warten, das Gefühl „there is no alternative" zur Reform. TINA-Momente gibt es nur in Krisen, in denen völlig klar ist, dass es so nicht weitergehen kann. Aber ich bin auch da nicht mehr sicher, dass das passiert. Denn im Zeitalter des wachsenden Populismus ist nicht einmal mehr garantiert, dass eine Gesellschaft in der Krise die richtige Abzweigung nimmt. Ich muss zugeben, dass mein Glaube an die Reformfähigkeit unseres Systems mit den vielen Posts sinkt, die ich in den Social Media so lese – leider gerade auch in jenen von jungen Menschen.
Das Interview führte Stephan Lorz.