ExklusivKonjunkturtableau

Die deutsche Wirtschaft vor einer Scheinblüte?

Ökonomen hatten mit einem leichten Aufschwung gerechnet. Doch auch im Juli sind die Industrieaufträge erneut zurückgegangen. Reihenweise werden die Wachstumsprognosen bereits nach unten revidiert. Die Prognostiker sorgen sich, dass die Investitionsimpulse des Staates nur ein Strohfeuer auslösen.

Die deutsche Wirtschaft vor einer Scheinblüte?

Die deutsche Wirtschaft vor einer Scheinblüte?

Fiskalimpulse durch Sondervermögen und Rüstung treiben das Wachstum für 2026 und 2027 – Strukturelle Probleme bleiben unangetastet

Ökonomen hatten mit einem leichten Aufschwung gerechnet. Doch auch im Juli sind die Industrieaufträge erneut zurückgegangen. Reihenweise werden die Wachstumsprognosen bereits nach unten revidiert. Die Prognostiker sorgen sich, dass die Investitionsimpulse des Staates nur zu einem Strohfeuer taugen.

lz Frankfurt

Der durch den Regierungswechsel und fiskalische Impulse erhoffte Lichtblick in der Konjunktur ist bislang ausgeblieben. Auch die jüngsten harten Wachstumsdaten zeigen noch keine Trendwende: Der Auftragseingang für die deutsche Industrie ist im Juli überraschend deutlich um 2,9% zum Vormonat gefallen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das ist bereits der dritte Rückgang in Folge – und zugleich der größte seit Januar. Ökonomen hatten vor dem Hintergrund einer bereits erkennbar wachstumsfreundlicheren Politik zumindest mit einem leichten Plus gerechnet.

Das einzige positive Signal ist, dass das Minus vor allem auf Kosten der Großaufträge geht. Werden diese ausgeklammert, hätte es im Juli immerhin zu einem leichten Plus von 0,7% gereicht. „Dies ist ein Hoffnungszeichen, aber bei weitem noch nicht die erhoffte durchgreifende Wende der Konjunktur“, schreibt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen. Insgesamt sei bisher keine wirkliche Aufwärtsbewegung zu erkennen, weder bei der Kerngröße der Auftragseingänge noch bei der alle Güter umfassenden Zeitreihe.

Wirtschaft trotzt Zöllen

Interessant vor dem Hintergrund der US-Zollpolitik ist: Die Auslandsaufträge gingen zwar im Juli um 3,1% zurück, dabei sanken die Bestellungen aus der Euro-Zone aber noch stärker um 3,8%. Die aus dem Rest der Welt gingen um 2,8% zurück. „Die US-Zölle und die sich ändernde Weltordnung bleiben für die Industrie vorerst belastend“, sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. „Der Druck zum Beschäftigungsabbau dürfte mindestens bestehen bleiben.“ Auch aus dem Inland kamen mit einem Minus von 2,5% weniger Aufträge.

Nach Ansicht von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP-Bank, ist es indes schon „erstaunlich“, dass die deutsche Wirtschaft den von Donald Trump verhängten Zöllen überhaupt so viel Widerstand entgegenbringen kann. Wichtige Konjunkturfrühindikatoren, wie etwa der ifo-Geschäftsklimaindex oder der Einkaufsmanagerindex, seien in den vergangenen Monaten sogar noch gestiegen.

Starke Schwankungen

„Die Volatilität der Auftragsentwicklung ist nach wie vor von den hohen handels- und geopolitischen Unsicherheiten geprägt“, betonte das Bundeswirtschaftsministerium. Die hohen US-Zölle auf Importe aus der Europäischen Union verteuern Waren „Made in Germany“ beim wichtigsten Exportkunden der deutschen Wirtschaft. „Die starken Schwankungen bei den Bestellungen im Sonstigen Fahrzeugbau dürften zudem auch die Fortschritte in der Beschaffung von Rüstungsgütern im In- und Ausland widerspiegeln“, so das Ministerium. 

Wachstumsprognosen gesenkt

Führende Wirtschaftsforschungsinstitute haben in dieser Woche ihre Wachstumsprognosen für Europas größte Volkswirtschaft erneut nach unten korrigiert. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet für dieses Jahr nur noch ein Mini-Plus von 0,1% beim Bruttoinlandsprodukt (bisher: +0,3%). Für 2026 wurde die Vorhersage auf 1,3% gekappt (bisher: +1,6%). „Die Triebkräfte für einen selbsttragenden Aufschwung sind weiterhin schwach“, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. „Ohne ambitionierte Strukturreformen dürften die fiskalischen Impulse über konjunkturelle Strohfeuereffekte kaum hinauskommen.“

Auch das Ifo-Institut aus München, das RWI aus Essen und das IWH in Halle haben ihre Prognosen heruntergenommen. Am Freitag hatte dann auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seine Erwartungen an die deutsche Konjunktur vorgelegt und schließt sich seinen Forschungskollegen weitgehend an – ist aber deutlich optimistischer hinsichtlich der Jahre 2026 und 2027. Hier prognostiziert das DIW jeweils ein Plus von 1,7 bzw. 1,8%.

Schwache Konjunkturbasis

„Die Bundesregierung hat die Weichen für den Aufschwung gestellt“, sagte DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik einerseits mit Blick auf die geplanten Ausgaben in Infrastruktur und Verteidigung, räumt aber ein, dass die fiskalischen Impulse andererseits die akuten Probleme in der deutschen Wirtschaft nur kaschierten: „Die einsetzende Belebung der Binnenwirtschaft darf nicht über die anhaltenden strukturellen Probleme hinwegtäuschen“, mahnte sie.

Die jüngsten Konjunkturdaten für Deutschland zeichnen ein insgesamt schwaches Bild, schreibt auch Lora Pavlova vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mit Blick auf das neue Konjunkturtableau, welches das Institut monatlich für die Börsen-Zeitung erstellt. Die Tabelle fasst die Prognosen von Instituten und Banken in einem Medianwert zusammen, um Prognoseausreißer weniger stark zu gewichten, die das Prognosebild verzerren.

Rezession tiefer als gedacht

Nach den revidierten Angaben des Statistischen Bundesamts war die Rezession in den Jahren 2023 und 2024 ausgeprägter als ursprünglich gemeldet. Im zweiten Quartal 2025 verringerte sich das BIP um 0,3% gegenüber dem Vorquartal und damit stärker als zunächst ausgewiesen. So verharrte die deutsche Wirtschaft insgesamt im ersten Halbjahr 2025 in einer Phase der Stagnation.

Vor diesem Hintergrund bleiben die Einschätzungen der Ökonomen auch für das deutsche Jahreswachstum 2025 und 2026 verhalten, schreibt die ZEW-Expertin mit Blick auf die aggregierten Daten. Während die Schätzungen für das Wachstum 2025 bei 0,2% im Median unverändert geblieben sind, seien die Aussichten für 2026 um 0,1 Prozentpunkte zum Vormonat auf 1,3% leicht nach unten revidiert worden.

Einziger starker Treiber des Wachstums ab 2026 ist auch nach ihren Worten – ähnlich wie die Argumentation der großen Forschungsinstitute – die expansive Finanzpolitik. So erwarten die Prognostiker, dass der Staatskonsum 2026 um 1,8% anzieht. Und auch die Anlageinvestitionen, die zuletzt negativ ausgefallen sind (minus 1,4% im zweiten Quartal 2025), dürften sich mit einem Wachstum von 3,3% merklich beleben. 

Handelsstreit drückt Ausblick

Trotz der am 21. August veröffentlichten gemeinsamen Erklärung im Handelsstreit zwischen der EU und den USA bleibt der Ausblick für die deutschen Exporte insgesamt eingetrübt. Zwar wurden die Erwartungen für 2025 von minus 0,9 auf minus 0,6% merklich nach oben revidiert, sie liegen jedoch weiterhin im negativen Bereich und sind von hoher Unsicherheit geprägt.

Bei der Inflation deutet sich in Deutschland eine Stabilisierung an. Im August lag die Preissteigerungsrate bei 2,2%. Bei ihrer letzten geldpolitischen Sitzung hat die EZB ihre Leitzinsen unverändert belassen vor dem Hintergrund hoher Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Inflationsrate in der Währungsunion. Die leichte Anhebung der Zinserwartung in den Prognosen deutet darauf hin, dass die Ökonomen insgesamt von einem etwas weniger ausgeprägten Lockerungspfad der EZB ausgehen als zuvor erwartet.