Teuerung

Deutsche Inflation hebt Richtung 10 Prozent ab

Einmal mehr steigt die Inflation in Deutschland stärker als erwartet. Bundesbankchef Nagel dringt darauf, weitere kräftige Zinserhöhungen nicht hinauszuzögern. Ökonomen erwarten einen „heißen Herbst“.

Deutsche Inflation hebt Richtung 10 Prozent ab

rec Frankfurt

Nach kurzem Sinkflug in luftiger Höhe hebt die Inflation in Deutschland wieder ab. Laut Statistischem Bundesamt ist die Teuerungsrate nach EU-harmonisierter Berechnung auf 8,8% gestiegen. Der sogenannte HVPI-Index ist das einschlägige Maß für die Europäische Zentralbank (EZB), deren mittelfristiges Inflationsziel 2% ist. Er hat somit den höchsten Stand seit Einführung des Euro 1999 erreicht. In nationaler Rechnung (VPI) verzeichneten die Statistiker einen Anstieg auf 7,9%.

Der neuerliche Schub fällt einmal mehr stärker aus als erwartet. Das ist ein Hinweis, dass die Inflation in der Eurozone im August die 9-Prozent-Marke übertroffen haben könnte. Eine Schnellschätzung veröffentlicht das Statistikamt Eurostat diesen Mittwoch. In Spanien hat sich die Inflation über 10% gehalten – ein Niveau, das sich laut Bundesbank für das vierte Quartal auch in Deutschland abzeichnet.

Die Daten verstärken den Handlungsdruck auf die EZB. Das verdeutlichen Äußerungen von Bundesbankchef Joachim Nagel. „Die Geldpolitik muss entschlossen reagieren, um die Glaubwürdigkeit des Inflationsziels zu bewahren“, forderte Nagel am Dienstagabend laut Manuskript bei einer Rede in Berlin. Er habe die erste Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt im Juli unterstützt, weil „ein größerer Zinsschritt die Gefahr einer Loslösung der Inflationserwartungen“ verringere. Dieses Risiko sei gestiegen. „Auch weitere Zinsschritte sollten wir aus Furcht vor einer möglichen Rezession nicht hinauszögern“, sagte Nagel.

Knapp eine Woche vor der nächsten EZB-Ratssitzung gilt eine Zinserhöhung als ausgemachte Sache, wobei die Debatte über die Größenordnung in vollem Gange ist. Neue Inflationsdaten könnten dabei eine entscheidende Rolle spielen, weil der EZB-Rat von nun an Sitzung für Sitzung und stärker in Abhängigkeit von der Datenlage entscheiden will.

Am Dienstag machten sich weitere Notenbanker für eine kräftige Zinserhöhung stark. Der niederländische Notenbankchef Klaas Knot sagte der Nachrichtenagentur Reuters zufolge: „Zum Herumbasteln ist keine Zeit. Wir müssen kraftvoll das immer noch wachsende Problem der anhaltend hohen Inflation angehen.“ Er neige zu einer Erhöhung um 75 Basispunkte, worauf immer mehr Akteure am Geldmarkt setzen, sei aber offen für Diskussionen. Auch Estlands Notenbankchef Madis Müller stimmte in den Chor derer ein, die eine Erhöhung um 75 Basispunkte als Option zur Diskussion stellen wollen. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane plädiert strikt gegen eine noch stärkere Erhöhung als im Juli. Er scheint damit allerdings zunehmend in der Minderheit zu sein – jedenfalls, was die öffentlichen Wortmeldungen im Vorfeld der Sitzung betrifft.

Zur Inflation in Deutschland betonen Ökonomen, dass die Phase leichter Entspannung vorbei ist. Und das, obwohl befristete staatliche Rabattaktionen wie das 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn und der Tankrabatt sowie die Abschaffung der EEG-Umlage noch preisdämpfend wirkten. Mit Kurs Richtung 10-Prozent-Marke verdichten sich die Hinweise, dass die Inflation im vierten Quartal zweistellig wird – zumal die umstrittene Gasumlage die Inflation ab Oktober zusätzlich treiben wird.

Haupttreiber der Inflation sind Preise für Energie, Lebensmittel und Wohnen. Aber die Verbraucherpreise steigen längst auf breiter Front mit Raten weit jenseits des EZB-Inflationsziels von mittelfristig 2%. Deutschland stehe ein heißer Herbst bevor, hieß es unter Beobachtern.

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