Deutsche Inflation sinkt stärker als erwartet
Deutsche Inflation sinkt stärker als erwartet
Teuerung geht im Mai von 7,6 Prozent auf 6,3 Prozent zurück – Hoffnungsschimmer für Verbraucher – EZB-Debatte über Zinskurs
Hoffnungsschimmer für die inflationsgeplagten Verbraucher in Deutschland und im Euroraum insgesamt: Die Teuerung geht weiter spürbar zurück. Das EZB-Inflationsziel von 2,0% bleibt aber in weiter Ferne. Die Euro-Notenbanker dürften ihre Leitzinsen deshalb vorerst weiter anheben. Wie stark, das ist unklar – und umstritten.
ms Frankfurt
Die Inflation in Deutschland ist im Mai deutlich und sogar stärker als ohnehin erwartet zurückgegangen. In EU-harmonisierter Berechnung (HVPI) ging sie von 7,6%% auf 6,3% zurück und in nationaler Rechnung (VPI) von 7,2% auf 6,1%. Das ist eine gute Nachricht für die Verbraucher und für die Wirtschaft. Zugleich liegt die Teuerung aber weiter viel höher als in früheren Jahren und deutlich oberhalb des EZB-Inflationsziels von 2,0%. Ganz ähnlich ist die Entwicklung auch im gesamten Euroraum. Das nährt Erwartungen über weitere Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB), aber auch an ein absehbares Ende des aktuellen Zinszyklus.
Belastung für Konjunktur
Die Inflation in Deutschland und im Euroraum ist in den Jahren 2021 und 2022 deutlich angestiegen und hat zeitweise Niveaus wie seit 40 Jahren oder sogar wie noch nie erreicht. Seit Herbst geht die Teuerung zurück, aber nicht ganz so stark wie erhofft. Die hohe Inflation dämpft den Konsum, was ein wesentlicher Grund für die technische Rezession im Winterhalbjahr ist. Die EZB hat seit Juli ihre Leitzinsen angehoben wie nie zuvor. Inzwischen nehmen aber die Sorgen zu, dass die Euro-Wirtschaft komplett ausbremst. Im EZB-Rat gehen die Meinungen über den weiteren Kurs teils auseinander.
Die deutschen Inflationszahlen für den Mai sind nun ein Hoffnungsschimmer. Volkswirte hatten in EU-harmonisierter Rechnung mit einem Rückgang auf 6,7% und in nationaler Rechnung auf 6,3% gerechnet. Beide Werte wurden nun laut der Vorabschätzung von Destatis deutlich untertroffen. Im Vormonats- statt im Vorjahresvergleich sanken die Preise sogar erstmals seit langer Zeit – um 0,1%. „Das sind gute Nachrichten von der Inflationsfront“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Auch das Bundeswirtschaftsministerium lobte am Mittwoch den positiven Trend bei der Teuerung.

Für Entspannung sorgte die Entwicklung der Energiepreise: Diese stiegen gegenüber Vorjahr um 2,6%. Noch im April hatte das Plus da bei 6,8% gelegen. Das Tanken war in vielen Bundesländern sogar billiger als im Mai 2022. Auch das zu Monatsbeginn eingeführte 49-Euro-Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr dämpfte die Inflation, schließlich sinken dadurch die Beförderungskosten für die bereits mehr als 10 Millionen Käufer. Nahrungsmittel verteuerten sich zwar mit 14,9% erneut deutlich, allerdings nicht mehr so stark wie im April mit 17,2%. Dienstleistungen kosteten im Schnitt 4,5% mehr als ein Jahr zuvor (April: 4,7).
Die Kerninflation, die die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, ging laut Commerzbank-Berechnung im Mai ebenfalls deutlich zurück – von 5,8% auf 5,3%. Die Kernrate gilt vielen als besserer Indikator für den zugrundeliegenden Preisdruck und die hartnäckig hohen Raten hatten zuletzt auch viele Notenbanker besorgt.
Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer und andere Ökonomen sehen aber trotz der positiven Entwicklung keinen Grund zur Entwarnung. So könnte die Inflationsrate in den nächsten Monaten auch wegen Basiseffekten sogar noch einmal anziehen. Im Sommer 2022 hatte die Bundesregierung mit dem 9-Euro-Ticket und dem Tankrabatt für Entlastung gesorgt. Zum anderen ist zumindest eine schnelle Rückkehr zum mittelfristigen 2-Prozent-Ziel unsicher – nicht zuletzt wegen der anziehenden Lohndynamik.
Auch deshalb geht die Diskussion über weitere Zinserhöhungen der EZB weiter. Inzwischen wird verbreitet erwartet, dass die Euro-Notenbanker bei ihren Sitzungen im Juni und Juli ihre Leitzinsen erneut um jeweils 25 Basispunkte anheben werden – nach 375 Basispunkten seit Juli 2022. Diese Erwartung nährte am Mittwoch auch das estnische Ratsmitglied Madis Müller. Die große Frage ist, ob es danach weitere Schritte gibt. Einige Hardliner („Falken“) im EZB-Rat liebäugeln damit. Die „Tauben“ dagegen mahnen verstärkt zur Vorsicht. Italiens Notenbankchef Ignazio Visco forderte am Mittwoch ein graduelles Vorgehen. Ein „exzessives“ Bremsen von Konsum und Investitionen müsse verhindert werden.
Mit Spannung wird auch deshalb nun am heutigen Donnerstag die erste Schätzung für die Euro-Inflation im Mai erwartet. Im April hatte sie bei 7,0% gelegen. Wie in Deutschland sind auch die Teuerungsraten in Frankreich und Spanien im April deutlich stärker zurückgegangen als erwartet. In Italien dagegen ging es nicht ganz so stark nach unten wie gedacht.