Prognose der EU-Kommission

Deutsche Konjunktur hinkt meisten EU-Staaten hinterher

Europas Konjunkturbild hellt sich allmählich auf, doch die größte Volkswirtschaft schwächelt: Mit ihrer Frühjahresprognose bewegt sich die EU-Kommission zwischen IWF und Bundesregierung.

Deutsche Konjunktur hinkt meisten EU-Staaten hinterher

Deutsche Konjunktur hinkt hinterher

EU-Kommission hebt Wachstumsprognosen für Europa leicht an – Deutschland dürfte erst 2024 aufschließen

Das Konjunkturbild in der EU hellt sich allmählich auf, doch die größte Volkswirtschaft schwächelt: Mit ihrer Frühjahrsprognose bewegt sich die EU-Kommission zwischen IWF und Bundesregierung. Währungskommissar Gentiloni treibt die hohe Inflation um – und die Finanzierungsbedingungen haben sich längst verschärft.

rec Brüssel

In Deutschland ist nach Auffassung der EU-Kommission dieses Jahr lediglich mit einem Mini-Wachstum zu rechnen. Erst 2024 dürfte die hiesige Konjunktur demnach zu Frankreich und anderen großen Ländern aufschließen. Die Kommissionsprognose von 0,2% für 2023 liegt zwischen der etwas optimistischeren der Bundesregierung (0,4%) und der pessimistischeren des Internationalen Währungsfonds (-0,1%).

Für Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni ist die europäische Wirtschaft in der Breite in besserer Verfassung als erwartet. Seine Volkswirte haben ihre Wachstumsprognosen für die 27 EU-Staaten geringfügig auf 1,0% in diesem Jahr und 1,7% im nächsten Jahr angehoben. Sorgen bereitet Gentiloni die unerwartet sehr hartnäckige Inflation. Schon jetzt lasteten deutlich verschärfte Finanzierungsbedingungen auf Europas Wirtschaft, so Gentiloni.

Was das Gesamtbild betrifft, zeigt der Italiener sich zufrieden. „Dank entschlossener Anstrengungen, um unsere Energiesicherheit zu stärken, eines bemerkenswert widerstandsfähigen Arbeitsmarktes und nachlassender Versorgungsengpässe konnten wir eine Winterrezession vermeiden“, konstatiert Gentiloni. Er warnt allerdings vor „Selbstzufriedenheit“.

Nachfrage lahmt

Die deutsche Wirtschaft sieht er in „kontinuierlicher Erholung vom Energiepreisschock im vorigen Jahr“. Positiv hebt Gentiloni die Industrieproduktion hervor. Gleichwohl verzeichneten die amtlichen Statistiker hier im März einen merklichen Dämpfer. Negativ stimmt Gentiloni hingegen die heimische Nachfrage, die er als „träge“ bezeichnet. Erst 2024 wird die Konjunktur in Deutschland demnach anspringen: Das prognostizierte Plus von 2024 liegt gleichauf mit dem Frankreichs.

Besorgt äußert sich Gentiloni über die nach wie vor viel zu hohe Inflation, die die Europäische Zentralbank (EZB) zu unaufhörlichen Zinserhöhungen zwingt. Besonderer Fokus liegt gegenwärtig auf der Kerninflation ohne Energie- und Lebensmittelpreise. Sie vermittelt ein aufschlussreiches Bild vom allgemeinen Preisdruck und ist im April erstmals nach langer Zeit leicht zurückgegangen. Gentiloni wertet das als Hinweis, dass der Höhepunkt des Preisdrucks seit März überschritten sein dürfte.

Dessen ungeachtet hat die EU-Kommission ihre Inflationsprognosen für EU und Eurozone ein weiteres Mal angehoben. Im Euroraum sei im laufenden Jahr mit durchschnittlich 5,8% zu rechnen, 2023 mit 2,8%. Auch das ist noch ein ordentliches Stück vom EZB-Inflationsziel von 2% entfernt. Gentiloni ließ deshalb durchblicken, dass die EZB zu weiteren Zinserhöhungen über 4% hinaus gezwungen sein könnte. Auf dem Immobilienmarkt, wo steigende Zinsen nach Boomjahren besonders stark durchschlagen, rechnet er deshalb mit rückläufigen Investitionen.

Gentiloni erwartet bis ins Jahr 2024 hinein hohe Lohnzuwächse. In etlichen EU-Staaten würden die Mindestlöhne steigen. Außerdem dürften Arbeitgeber einen Ausgleich für die gegenwärtigen Reallohnverluste einfordern. In vielen Branchen liegen die Lohnzuwächse gegenwärtig nach wie vor unter der Inflationsrate. Die Gefahr sogenannter Zweit- und Drittrundeneffekte bei der Inflation ist demnach nicht gebannt: Das hänge davon ab, ob Unternehmen höhere Lohnkosten über das laufende Jahr hinaus an Kunden weiterreichen oder sich mit geringeren Margen zufriedengeben.

Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer ist jedenfalls hoch wie selten. Europas Arbeitsmärkte präsentierten sich in der „stärksten Verfassung seit Jahrzehnten“ und die Arbeitslosenquoten würden absehbar niedrig bleiben. Gentiloni sprach davon, dass Unternehmen Angestellte wegen der Engpässe auf den Arbeitsmärkten „horten“. Das versetzt Beschäftigte und Bewerber in die Lage, hohe Lohnforderungen zu stellen.

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