Im InterviewFriedrich Heinemann

„Am Ende des Tages wird die EZB das Notfallprogramm TPI einsetzen“

Um eine Euro-Schuldenkrise zu verhindern, dürfte die EZB mittelfristig ihr Notfallprogramm TPI aktivieren, prognostiziert ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Im Interview erklärt er außerdem, weshalb er für 2026 mit Zinserhöhungen rechnet und wieso Isabel Schnabel für ihn keine optimale Besetzung für die EZB-Präsidentschaft darstellt.

„Am Ende des Tages wird die EZB das Notfallprogramm TPI einsetzen“

Im Interview: Friedrich Heinemann

ZEW-Ökonom prangert Versäumnisse der EZB an

Heinemann befürchtet fiskalische Dominanz der Geldpolitik – „Am Ende des Tages wird die EZB das Notfallprogramm TPI einsetzen“

Um eine Euro-Schuldenkrise zu verhindern, dürfte die EZB mittelfristig ihr Notfallprogramm TPI aktivieren, prognostiziert ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Im Interview erklärt er außerdem, weshalb er für 2026 mit Zinserhöhungen rechnet und wieso Isabel Schnabel für ihn keine optimale Besetzung für die EZB-Präsidentschaft darstellt.

Herr Heinemann, ist eine Zinssenkung der EZB im kommenden Jahr für Sie vom Tisch, solange es keinen neuen inflationssenkenden Schock gibt?

Ja, ohne einen solchen Schock rechne ich nicht mehr damit. Die aktualisierten Projektionen zur Inflation weisen auch eindeutig in die Richtung, dass die Geldpolitik inzwischen locker genug ist. Es gibt wenig Argumente für eine Zinssenkung. Die Inflation ist bei rund 2%, die Arbeitslosigkeit ist nahe historischer Tiefstände und die Konjunktur gewinnt an Fahrt. Bei letzterem ist die deutsche Brille ein wenig verzerrend, da es in Deutschland um das Wachstum nicht so gut bestellt ist.

Ab nächstes Jahr sollte das Wachstum in Deutschland wegen der fiskalischen Impulse aber deutlich steigen. Ob es sich dabei um eine nachhaltige Entwicklung handelt, ist natürlich eine andere Frage.

Viel spricht für ein Strohfeuer beim Wachstum, weil die nötigen Reformen weiterhin auf sich warten lassen. Außerdem dürfte das deutsche Wirtschaftswachstum 2026 selbst mit diesen fiskalischen Impulsen schwächer ausfallen als das der gesamten Eurozone.

Unter Ökonomen und Investoren läuft inzwischen eine Debatte, ob die EZB im Laufe des kommenden Jahres die Geldpolitik wieder straffen könnte. Wie lautet Ihr Zinsausblick?

Ich rechne mit einem weiteren halben Jahr mit konstanten Leitzinsen. Nach der Sommerpause könnten dann eine oder zwei Zinserhöhungen der EZB anstehen. Aufgrund der Alterung der Gesellschaft haben wir einen strukturellen Engpass an Arbeitskräften. Dieser wird über Lohnzuwächse Inflationsdruck erzeugen. Zumal sich die Politik in Frankreich oder Deutschland Reformen verweigert, mit denen das Arbeitskräftepotenzial erhöht werden könnte. Bereits jetzt hat die EZB wegen eines höher als erwarteten Lohnwachstums die Inflationsprognose für 2026 nach oben angepasst.

Frankreich vermeidet nicht nur eine Rentenreform, sondern kämpft auch mit einer hohen Staatsverschuldung und politischer Instabilität. Wie optimistisch sind Sie, dass die Regierung die Probleme 2026 in den Griff bekommt?

Ich bin da leider sehr ratlos, wie Frankreich die Probleme lösen möchte. Die politische Mitte bröckelt und die Ränder links und rechts verweigern sich einer Konsolidierung der Haushaltspolitik. Ich rufe hier überhaupt nicht nach harscher Austerität, aber die Schuldendynamik Frankreichs ist völlig außer Kontrolle geraten und es gibt keinen politischen Konsens, daran etwas zu ändern. Die Verschuldung ist so nicht tragfähig und eine Belastung für die gesamte Eurozone.


Friedrich Heinemann ist Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft und außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Friedrich Heinemann ist Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft und außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Anna Logue Fotografie

Befürchten Sie eine neue Euro-Schuldenkrise?

Ein Blick auf die Spreads zeigt, dass Investoren derzeit nicht besorgt sind, was sich jedoch schnell ändern kann. Es gibt aber ein fundamentales Argument gegen eine Euro-Schuldenkrise, und dieses hat drei Buchstaben: die EZB. Bevor es zu einer Schuldenkrise kommt, wird die EZB über TPI Anleihen kaufen. Eigentlich ist das Instrument nur dafür gedacht, dass die Zentralbank eingreifen kann, wenn Marktbewegungen nicht durch Fundamentaldaten gerechtfertigt sind. Angesichts der Entwicklung der Staatsverschuldung in Frankreich wäre das in diesem Szenario nicht der Fall und der Einsatz von TPI daher eigentlich nicht geboten. Die Alternative wäre jedoch Panik an den Anleihemärkten. Daher wird die EZB am Ende des Tages doch das Notfallprogramm TPI einsetzen, um eine Schuldenkrise mit all ihren negativen Auswirkungen zu verhindern.

Es droht also die fiskalische Dominanz der Geldpolitik? Oder haben wir diese bereits jetzt?

Momentan lässt sich eine fiskalische Dominanz nicht nachweisen. Die EZB kann zu Recht darauf verweisen, dass ihre Geldpolitik bislang immer darauf ausgerichtet war, ihr Mandat der Preisstabilität zu erreichen. Spannend wird es, wenn die Inflation hoch ist und Frankreich gleichzeitig große fiskalische Schwierigkeiten hat. Dann entsteht ein klassischer Zielkonflikt. Und man muss sagen, die EZB ist dann erpressbar. Es wurde nach der Schuldenkrise ab 2010 versäumt, Strukturen zu schaffen, die einen Schuldenschnitt ermöglichen, ohne eine Bankenkrise auszulösen. Daher ist der Druck auf die EZB groß, mit ihrer Politik eine neue Schuldenkrise zu verhindern. Die Fiskalpolitik Frankreichs ist jedenfalls nicht darauf ausgerichtet, dies zu vermeiden.

Der Chefökonom der Commerzbank erwartet im kommenden Jahr wegen der hohen Staatsverschuldung in Europa keine Zinserhöhung der EZB, Sie schon. Ist also der Einfluss der Fiskalpolitik auf die Geldpolitik noch begrenzt?

Unterschwellig sitzt die Fiskalpolitik schon bei jeder EZB-Ratssitzung mit im Raum. Die EZB hat aber gezeigt, dass sie auch bei steigenden Staatsschuldenquoten in der Lage ist, Zinserhöhungen durchzusetzen. Jüngstes Beispiel dafür ist die deutliche Straffung der Geldpolitik ab 2022.

Würde es zu einem Kriegsende in der Ukraine kommen, wäre das natürlich eine wunderbare Nachricht, die auch Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte, die man nicht unterschätzen sollte.

Friedrich Heinemann, ZEW

Über die Löhne im Euroraum haben wir bereits gesprochen. Was sind sonst noch Aufwärtsrisiken für die Inflation?

Die Löhne sind für mich kein Aufwärtsrisiko. Hier ist aus strukturellen Gründen ja eigentlich schon sicher, dass sie den Inflationsdruck erhöhen werden. Ein Risiko geht immer mit einer Unsicherheit einher. So könnte etwa die Euro-Wirtschaft stärker wachsen als erwartet. Würde es zu einem Kriegsende in der Ukraine kommen, wäre das natürlich eine wunderbare Nachricht, die auch Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte, die man nicht unterschätzen sollte. Der Pessimismus unter Verbrauchern und Firmen rührt auch von diesem Krieg mit all seinen geopolitischen Verwerfungen. Ohne ihn dürften Konsum und Investitionen deutlich ansteigen. Das würde die Inflation erhöhen.

Bei einem Frieden in der Ukraine dürften aber auch die Energiepreise fallen, was die Inflation dämpft.

Da haben Sie recht. Bei einem Kriegsende würden die Sanktionen gegen Russland vermutlich fallen. Öl und Gas aus Russland wäre dann wieder handelbar. Ich gehe aber davon aus, dass die genannten inflationären Effekte größer sind als die disinflationären durch russische Energielieferungen.

Der Hauptgrund, weswegen die EZB 2026 mit einer Inflation unter 2,0% rechnet, sind die Energiepreise. Diese sind jedoch auch schwankungsanfällig. Wie groß ist das Risiko, dass Energie im kommenden Jahr deutlich teurer ist als die EZB erwartet?

Das Risiko halte ich für überschaubar. Der Energiemarkt ist wesentlich diversifizierter als früher. Die Golfregion hat nicht mehr die Marktmacht wie früher. Es gibt ein hohes Angebot an fossiler Energie. Die USA liefern beispielsweise verlässlich große Mengen an LNG-Gas. Zudem kommt, ein wirtschaftlicher Aufschwung führt inzwischen nicht mehr zu einem so großen Ölhunger wie früher. Bei den Energiepreisen bin ich also entspannt.

Wie sieht es mit Abwärtsrisiken für die Inflation aus?

Das größte Abwärtsrisiko ist für mich, dass sich die politische und fiskalpolitische Lage in Europa weiter zuspitzt.

Trotz der fiskalischen angespannten Lage dreht sich seit einem Interview von EZB-Direktorin Isabel Schnabel die öffentliche Diskussion über den Zeitpunkt einer möglichen Zinserhöhung. Sind Sie überrascht, wie stark Schnabel die Debatte prägt?

Nein. Sie hat sich markant positioniert in dem Interview. Ich bin zudem allgemein beeindruckt, welche Führungsrolle sie bei der Meinungsbildung einnimmt. Normalerweise führt eine längere Zugehörigkeit zum EZB-Direktorium zu einem gewissen Corps-Geist. Schnabel sticht mit ihren Argumenten jedoch immer wieder hervor.

Sie ist aber nicht wirklich repräsentativ für die geldpolitischen Einschätzungen des EZB-Rats.

Das stimmt. Dennoch hat sie großen Einfluss. Die Tauben im EZB-Rat sprechen jetzt öffentlich nicht mehr darüber, ob es eine Zinssenkung braucht, sondern warum es keine Zinserhöhung benötigt.

Wäre sie wegen ihres Einflusses eine gute EZB-Präsidentin?

Schnabel ist ein exzellentes Board-Mitglied. Die Aufgaben einer EZB-Präsidentin sind aber andere. Als EZB-Präsidentin könnte Schnabel nicht mehr so sehr ihre wertvollen geldpolitischen Impulse setzen. Stattdessen wäre es Ihre Aufgabe, innerhalb des EZB-Rats einen Konsens herzustellen.

Eine politisch abhängige Fed würde sehr schnell teuer werden für die USA.

Friedrich Heinemann, ZEW

Ich würde gerne noch einen Blick auf die Fed werfen. Wie sieht Ihr Zinsausblick für 2026 für die USA aus?

Der Inflationsdruck ist noch da in den USA. Die Geldpolitik ist meiner Einschätzung nach zudem nur noch leicht über dem neutralen Niveau. Daher sehe ich trotz der Schwäche am Arbeitsmarkt nur noch Raum für vielleicht eine Zinssenkung.

Wie groß sind Ihre Sorgen, dass die Fed 2026 stärker lockern könnte, als es die ökonomischen Daten hergeben? Stichwort politische Unabhängigkeit der Notenbank.

Ich bin bei dieser Frage optimistischer als der Mainstream. Eine politisch abhängige Fed würde sehr schnell teuer werden für die USA. Die Zinsen für Staatsanleihen würden steigen und das weltweite Ansehen des Dollar geschwächt. Die ökonomischen Zwänge durch die Finanzmärkte wären also so groß, dass es nicht dazu kommen dürfte. Zudem gibt es in solchen Institutionen wie der Fed immer eine Art peer pressure. Soll heißen, wer auch immer der nächste Fed-Chef wird, dürfte vermutlich moderater werden, sobald er Teil der Institution ist.

Als aussrichtsreicher Kandidat auf die Powell-Nachfolge gilt u.a. Kevin Hassett, Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates der USA. Wäre er eine gute Wahl?

Hassett ist mit seinen Ansichten nicht weit weg vom ökonomischen Mainstream und hat in der Vergangenheit einige wissenschaftliche Arbeiten in renommierten Publikationen veröffentlicht. So hat er sich beispielsweise fundiert mit Fiskalpolitik, Steuern und Umweltökonomik befasst. Er ist sicherlich eine geldpolitische Taube. Das könnte zu einer lockereren Geldpolitik der Fed führen. Das ist aber etwas anderes, als wenn jemand aus ideologischen Gründen Zinssenkungen befürwortet.

Das Interview führte Martin Pirkl.