„Die EZB sollte ihr Pulver trocken halten“
Im Interview: Florian Heider
„Abwarten lohnt sich“
Ökonom Heider rät EZB zu Zinspause im September – Inflationsrisiko nach unten größer
Der Wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE und frühere EZB-Mitarbeiter Florian Heider hält das Inflationsrisiko nach unten für größer als eine zu hohe Teuerung. Dennoch rät er nach jetzigem Stand der EZB dazu, keine Zinssenkung im September zu beschließen.
Herr Heider, der Widerstand im EZB-Rat gegenüber einer Zinssenkung im September scheint größer als gedacht zu sein. Wie lautet derzeit Ihre Zinsprognose?
Stand heute würde ich das Zinsniveau so lassen wie es ist. Die Inflation ist weitgehend unter Kontrolle. Jedoch ist das Umfeld für die EZB von hoher Unsicherheit geprägt. Es gibt bei der Inflation Gefahren auf beiden Seiten. Das Risiko einer zu niedrigen Inflation schätze ich allerdings höher ein. Die Projektionen der EZB im September werden einen großen Einfluss darauf haben, wie die weitere Geldpolitik ausfällt.
Bis zur Zinssitzung im September haben wir alle hoffentlich Klarheit, wie der Zollkonflikt zwischen den USA und der EU ausgegangen ist. Welchen Einfluss wird das auf den Inflationsausblick haben?
Das ist eine sehr komplexe Fragestellung, die sich nicht einfach beantworten lässt. Die Zölle beeinflussen die Inflation in beide Richtungen. Zunächst mal führen Zollaufschläge zu höheren Preisen, wobei sich die Frage stellt, ob es ein einmaliger Effekt ist oder dies eine Spirale auslöst. Auf der anderen Seite belasten die Zölle die Konjunktur, was die Inflation senkt. Auch mehr billige Importe aus China wegen der Neuordnung im Welthandel könnten den Inflationsdruck senken. Ich gehe davon aus, dass die Zölle unter dem Strich kurzfristig eher inflationär sind. Das lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen, da wir eine vergleichbare Situation noch nie hatten in der Vergangenheit.
Die EZB betont selbst, wie komplex die Zusammenhänge zwischen Zöllen und Inflation sind. Hat sie darüber im September überhaupt mehr Klarheit, selbst wenn die gegenseitigen Zollsätze bis dahin bekannt sein sollten?
Auch dieses Argument spricht dafür, dass sich Abwarten aktuell lohnt. Bis Dezember sollte klarer sein, wie sich die Zölle tatsächlich auf die Preise im Euroraum auswirken.
Die EZB sollte sich ihr Pulver trocken halten, um mit Zinssenkungen reagieren zu können, sollte sich die Inflation im Euroraum deutlich unter 2% festsetzen.
Florian Heider
Gehen wir mal für einen Moment bei den Zöllen vom schlimmsten Szenario aus. Es gibt keine Einigung und die EU beschließt daher Gegenzölle, die wiederum die USA Gegenzölle beschließen lassen. Erwarten Sie in einem solchen Szenario eine Notfall-Sitzung der EZB im August?
Das dürfte von den Marktreaktionen abhängen. Grundsätzlich haben die Finanzmärkte bereits eingepreist, dass sich die Weltwirtschaft neu justiert und Zollsätze in einer gewissen Höhe bleiben werden. Sollte das Ausmaß der Zölle zu einem starken Einbruch der Finanzmärkte führen, könnte die EZB in einer Sondersitzung vielleicht wieder ihre Anleihekäufe hochfahren.
Sie sprechen von Anleihekäufen, nicht aber von einer Zinssenkung.
Eine Zinssenkung um 25 Basispunkte hätte in einem solchen Szenario keinen großen Effekt. Außerdem sollte sich die EZB ihr Pulver trocken halten, um mit Zinssenkungen reagieren zu können, sollte sich die Inflation im Euroraum deutlich unter 2% festsetzen. Je näher die Leitzinsen an 0% liegen, desto schwerer würde es der EZB fallen, gegen eine zu niedrige Inflation zu steuern. Diese Erfahrung hat sie ja bereits in der letzten Niedrigzinsphase gemacht.
Es besteht die Gefahr, dass die Bundesregierung wegen des Wahlergebnisses und der Meinungsverschiedenheiten strukturell zu schwach ist, um die richtigen Impulse zu setzen.
Florian Heider
Es gibt Ökonomen, die wegen struktureller Faktoren wie des demografischen Wandels oder der grünen Transformation der Wirtschaft von einem höheren Inflationsdruck in den nächsten Jahren ausgehen. Deshalb sei die Gefahr einer dauerhaft zu niedrigen Inflation gering. Überzeugt Sie diese Argumentation?
Das sind schon valide Argumente. Allerdings glaube ich nicht, dass die angesprochenen Faktoren bereits in den kommenden Jahren eine große Rolle spielen. Zudem halte ich den demografischen Wandel eher für disinflationär. Denn entweder werden die Renten sinken, was den Konsum und damit die Inflation reduziert. Oder der Staat muss noch mehr Steuermittel in das Rentensystem investieren, sodass weniger Geld für fiskalische Impulse auf die Konjunktur übrig bleibt. Auch das würde deflationär wirken.
Wie beurteilen Sie die Konjunktur in Deutschland?
Es fehlt weiterhin an privaten Investitionen. Unternehmen investieren wegen der Unsicherheit rund um die Zölle wenig. Daran ändern auch die Zinssenkungen der EZB in diesem Jahr nichts. Da ist die Politik gefragt, positive Impulse zu setzen.

Uwe Dettmar, SAFE
Was die Bundesregierung mit ihrer Investitionsoffensive versucht.
Ich bin sehr froh, dass die Schuldenbremse überarbeitet wurde. Die Bundesregierung muss mit dem Geld jedoch auch das Richtige machen und keine Geschenke an ihre Wählerklientel machen.
Ihr Zwischenfazit ist also negativ?
Es ist noch kein Desaster. Aktuell gebe ich die Schulnote 3. Aber es besteht die Gefahr, dass die Bundesregierung wegen des Wahlergebnisses und der Meinungsverschiedenheiten strukturell zu schwach ist, um die richtigen Impulse zu setzen. Die Risiken sind also nach unten gerichtet, genau wie bei der Inflation.
Das Interview führte Martin Pirkl.
Das Interview führte Martin Pirkl.