Konjunktur

Die Fassade von Chinas Wirtschaft beginnt zu bröckeln

China übertrifft mit 4,8% Wachstum im 1. Quartal die Erwartungen, doch kann dies nur auf den ersten Blick beruhigen. Durch Lockdown-Maßnahmen, schwacher Baukonjunktur und Produktionsausfällen droht die nächste heftige Konjunkturabkühlung.

Die Fassade von Chinas Wirtschaft beginnt zu bröckeln

Inmitten der wachsenden Unsicherheit über heftige wirtschaftliche Verwerfungen durch Chinas hartnäckige „Corona-Nulltoleranzpolitik“ überrascht die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft mit einem unerwartet kräftigen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im 1. Quartal. Laut der am Montag vom Pekinger Statistikbüro verbreiteten neue Konjunkturdaten wuchs die Wirtschaft im ersten Quartal um 4,8% gegenüber der Vorjahresperiode. Dies übertrifft die bei 4,3% veranschlagte Konsensschätzung der Analysten um einiges. Auch beim direkten Vergleich von Quartal zu Quartal, also dem „sequenziellen“ Wachstum sieht man mit 1,3% einen wesentlich kräftigeren Anstieg, als von den Experten vermutet; sie hatten nur ein Plus um 0,6% auf dem Zettel.

Nächste Delle in Sicht

Chinas Wirtschaft hat über das vergangene Jahr hinweg immer weiter an Tempo eingebüßt, um im 4. Quartal bei nur noch 4% BIP-Wachstum zu landen. So gesehen könnte man nun von einem Turnaround sprechen, doch hat der auf den ersten Blick sehr gefällige BIP-Ausweis nur wenig Aussagefähigkeit bezüglich einer nachhaltigen Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft in diesem Jahr. Vielmehr zeichnet sich wegen der beiden neuen Herausforderungen des Ukraine-Krieges und der ersten größeren Corona-Ansteckungswelle im Reich der Mitte seit Winter 2020, bereits die nächste Delle ab.

Aus den begleitenden Wirtschaftsleistungsdaten für den Monat März geht eindeutig hervor, dass die geopolitische Unsicherheit und die harten Lockdown-Maßnahmen in chinesischen Metropolen wie Schanghai, Shenzhen und der gesamten Provinz Jilin der Wirtschaftsaktivität bereits extrem zusetzen und vor allem die Konsumkräfte lähmen. Hinzu kommen immer weitergehende Mobilitätsrestriktionen in anderen Teilen des Landes, die den Reiseverkehr unterbinden, und Dienstleistungsbranchen wie das Hotel- und Tourismusgewerbe, sowie das Messe- und Konferenzwesen praktisch stillstehen lassen. Dies prägt nicht zuletzt auch die Arbeitsmarktsituation mit einem für chinesische Verhältnisse sehr kräftigen Anstieg der (nur für die urbane Bevölkerung erhobenen) Arbeitslosenrate auf 5,8% im März nach 5,5% Februar.

Düsteres Konsumklima

Analysten bezeichnen die jüngsten Konsumdaten für März mit einem Rückgang der Einzelhandelsumsätze gegenüber dem Vorjahresmonat um 3,5% als äußerst alarmierend. In den ersten beiden Monaten des Jahres hatten die Erlöse im Retailsektor noch um 6,8% zugelegt und damit ein Stabilisierung an der Konsumfront verhießen. Nun aber zeigt sich, dass die Lockdown-Maßnahmen in Schanghai in Verbindung mit  präventiven Restriktionen in anderen chinesischen Metropolen das Konsumklima in China regelrecht vergiften, was für die weitere Entwicklung im Frühjahrsquartal Böses schwanen lässt.

Derzeit scheint sich alles um Lebensmittelversorgung zur Bewältigung von oder Vorbereitung auf Lockdown-Phasen zu drehen, während andere Konsumbedürfnisse, insbesondere größere Anschaffungen oder auch Luxusgüter völlig in den Hintergrund treten. Bestes Beispiel sind die ernüchternden Absatzzahlen im chinesischen Automarkt, wo die Pkw-Verkäufe im März um 11% gegenüber Vorjahresmonat absackten und auch über das erste Quartal hinweg um 5% schrumpften. Auch produktionsseitig gerät die Automobilindustrie ins Schlingern weil mit Schanghai und Changchun zwei besonders wichtige Produktionszentren von Werksunterbrechungen und Lieferkettenstörungen für Wochen außer Gefecht gesetzt werden, worunter auch andere Automobilstandorte leiden.

Baugewerbe unter Druck

Das Baugewerbe wiederum spürt die Effekte der laufenden Verschuldungskrise bei chinesischen Immobilienentwicklern, die sich wachsender Zurückhaltung der Wohnungskäufer in spe gegenübersehen. In den ersten drei Monaten des Jahres sind die Neubaustarts für Wohnanlagen um 20% gesunken, passend dazu sanken die Stahl- und Zementproduktion um 6 beziehungsweise 12%. Zwar ist Chinas Industrieproduktion im März mit 5% Wachstum gegenüber Vorjahr noch relativ solide dagestanden, aber auch hier dürfte die Fortpflanzung von Lockdown-Effekten in Verbindung mit wilden Rohstoffpreisschüben, die auf den Ukraine-Krieg zurückgehen, dem Verarbeitenden Gewerbe im weiteren Verlauf des Quartals fühlbar zusetzen.

Als einziger Lichtblick im neuen Datenkranz kann ein Anstieg der Anlageinvestitionen in den ersten drei Monaten des Jahres um gut 9% gelten. Er geht auf eine hohe Dynamik bei den Investitionen im Industriesektor (+15,6%) und weiter angekurbelte öffentliche Infrastrukturinvestitionen (+8,5%) zurück, während man im Immobiliensektor (+0,7%) weitgehend Stagnation sieht. Auch hier scheint eine Entschleunigung im zweiten Quartal bereits vorprogrammiert. Unter dem Strich geben die Konjunkturdaten vom Montag damit keineswegs ein Zeugnis über die Stabilität der chinesischen Wirtschaft ab, sondern lassen vielmehr vermuten, dass beim weiteren Festhalten an der rigiden Nulltoleranzpolitik zu Corona ein gewaltiger Rückschlag ins Haus steht, der im weiteren Verlauf des Jahres nur schwerlich wieder aufgeholt werden kann.

Wachstumsziel in Gefahr

Anfang März hatte die Regierung ihr offizielles Wachstumsziel für 2022 bei „etwa 5,5%“ abgesteckt und droht dieses nun vor allem wegen hausgemachter Probleme klar zu verfehlen. Ein Sprecher des Statistikbüros hielt am Montag zwar weiter an der Sichtweise der Regierung fest, dass es trotz „gegenwärtiger Schwierigkeiten und Herausforderungen“ im weiteren Jahresverlauf zu einem Neuaufschwung kommen wird, immer mehr China-Ökonomen neigen aber nun zur Sichtweise, dass Chinas Wirtschaftswachstum im Gesamtjahr nur noch mit einer Vier vor dem Komma aufwarten wird.

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