NOTIERT IN BRÜSSEL

Die letzten Tage der deutschen Präsidentschaft

Nur noch wenige Tage und dann ist auch die 13. deutsche EU-Ratspräsidentschaft schon wieder Geschichte. Und die "Corona-Präsidentschaft" wird nachhaltig in Erinnerung bleiben. Im Frühjahr musste Berlin die Prioritäten, die zwei Jahre lang...

Die letzten Tage der deutschen Präsidentschaft

Nur noch wenige Tage und dann ist auch die 13. deutsche EU-Ratspräsidentschaft schon wieder Geschichte. Und die “Corona-Präsidentschaft” wird nachhaltig in Erinnerung bleiben. Im Frühjahr musste Berlin die Prioritäten, die zwei Jahre lang vorbereitet worden waren, kurzfristig neu ausrichten. Gefragt war seit Ausbruch der Pandemie ja ausschließlich deutsches Krisenmanagement. Das Problem war allerdings, dass in Brüssel coronabedingt lediglich 30 % der üblichen Arbeitsressourcen zur Verfügung standen. Zwar hatten Diplomaten anfangs noch die Hoffnung, die Situation werde sich ab Herbst entspannen und physische Treffen würden dann wieder mehr und mehr zur Normalität werden. Leider war das Gegenteil der Fall. Nachdem die zweite Pandemiewelle vor allem auch die Stadt Brüssel mit Wucht getroffen hatte, musste die Ständige Vertretung Deutschlands Ende Oktober – mitten in der heißen Verhandlungsphase – die Reißleine ziehen. In Absprache mit den anderen EU-Ländern wurde entschieden, physische Sitzungen auf Expertenebene bis auf Weiteres auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren. Auch virtuelle Sitzungen wurden auf prioritäre Themen beschränkt. Nur “essenzielle Treffen, die für das Funktionieren der EU oder zur Koordinierung der Covid-19-Krisenreaktion notwendig sind”, konnten weiterhin noch persönlich stattfinden. *Dass die deutsche Präsidentschaft trotzdem noch das Prädikat “erfolgreich” erhalten konnte, war bis zum EU-Gipfel in der vergangenen Woche noch völlig unklar gewesen. Erst der Last-Minute-Deal im Haushaltsstreit mit Polen und Ungarn sowie die Verständigung auf ein neues Klimaziel nach einer Nachtsitzung der Staats- und Regierungschefs brachten die entscheidenden Schritte vorwärts. Nicht von ungefähr sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Anschluss, ihr sei ein Stein vom Herzen gefallen. Und nicht von ungefähr erhielt die Ständige Vertretung von Merkel öffentlich ein Extralob – auch wenn ein solches, wie sie selbst einräumte, eigentlich “unkonventionell” sei. Aber vor allem dem deutschen EU-Botschafter Michael Clauß war es zu verdanken, dass die schwierigen Abstimmungen zwischen den Mitgliedstaaten und die wochenlangen intensiven Verhandlungen mit dem EU-Parlament über den nächsten mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen, den damit verknüpften Corona-Wiederaufbaufonds und den neuen Rechtsstaatsmechanismus letztendlich erfolgreich und rechtzeitig abgeschlossen werden konnten. Dass zum Schluss der Trilog über das Budget für 2021 in einer Rekordzeit von nur zwei Stunden abgehakt werden konnte, gehört in dem Zusammenhang sicher zu den bemerkenswertesten Ereignissen. Üblicherweise ist bei den Verhandlungen über ein EU-Jahresbudget wochenlanger Streit angesagt. *Zu den Schattenseiten der Ratspräsidentschaft, die unter dem Motto “Gemeinsam. Europa wieder stark machen” stand, gehört, dass die deutsche Diplomatie vor allem in der Außenpolitik an ihre Grenzen stieß. Merkel selbst äußerte ihr Bedauern, dass es im schwierigen Verhältnis zur Türkei keine Wende zum Besseren gab. Geradezu “frustriert” ist man in der Ständigen Vertretung über die Rückschläge im Erweiterungsprozess mit Albanien und Nordmazedonien. Und dass der China-Gipfel in Leipzig gestrichen werden musste und es auch im EU-Verhältnis zu Peking nicht vorwärts geht, zählt ebenfalls zu den Enttäuschungen. Von Anfang an keine Illusionen hatten sich die deutschen Diplomaten beim Thema Migration gemacht. Trotz neuer Vorschläge der EU-Kommission für eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik ist die Situation zum Jahresende verfahren wie eh und je. Die außerordentliche Fokussierung auf die Verabschiedung des Finanzpakets hat auch weitere Themen in den Hintergrund geschoben: die Konferenz zur Zukunft der EU oder auch den Kampf für mehr Steuergerechtigkeit, wie etwa die Grünen im EU-Parlament bemängeln. Am 1. Januar übernimmt erst einmal Portugal die Ratspräsidentschaft und muss diese Themen weiter vorantreiben. Die nächste deutsche Präsidentschaft steht erst wieder im Jahr 2034 auf der Agenda.